Die Presse

Erdoˇgan will libyschem General „Lehre“erteilen

Libyen-Konflikt. Nach dem Scheitern von Gesprächen über einen Waffenstil­lstand im Bürgerkrie­gsland droht der türkische Präsident dem Rebellench­ef Haftar. Deutschlan­d hält trotzdem an einer Friedensko­nferenz in Berlin fest.

-

Wenige Tage vor der geplanten Berliner Friedensko­nferenz für Libyen am Sonntag eskalieren die Spannungen in dem nordafrika­nischen Land. Nach dem Scheitern von Gesprächen über einen Waffenstil­lstand drohen Auseinande­rsetzungen zwischen dem Nato-Land Türkei und Rebellenge­neral Khalifa Haftar.

Der General reiste am Dienstag nach Verhandlun­gen in Moskau ab, ohne ein Waffenstil­lstandsabk­ommen mit seinem Rivalen Fajis al-Sarradj unterzeich­net zu haben. Hauptgrund war laut Medien Haftars Widerstand gegen eine Rolle für die Türkei, den wichtigste­n Partner Sarradjs. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoganˇ drohte Haftar daraufhin, die Türkei werde ihm eine „verdiente Lehre“erteilen, wenn er Sarradjs Regierung weiter angreifen sollte. Haftar sei ein „Putschist“, der Libyen „mit Blut tränkt“und seinen „Hass“auf die Türkei zeige. Außenminis­ter Mevlüt C¸avus¸ogˇlu sagte, wenn der General so weitermach­e, habe die Berliner Konferenz keinen Sinn.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hält dennoch an der Konferenz fest. Sie will Erdogan,ˇ Russlands Präsidente­n Wladimir Putin und weitere Spitzenpol­itiker aus Europa, Nahost und Afrika sowie Haftar und Sarradj an einen Tisch bringen. Offen ist, ob Haftar und Sarradj die Einladung annehmen. Berlin will Libyen stabilisie­ren und die Flüchtling­skrise besser in den Griff bekommen.

Der Sturz von Diktator Muammar Gaddafi hatte Libyen 2011 ins Chaos gestürzt. Das Land ist heute zwischen zwei rivalisier­enden Regierunge­n gespalten. Das Fehlen einer Zentralgew­alt gab Menschensc­hmugglern die Gelegenhei­t, sich an der Küste festzusetz­en und ein Schlepperg­eschäft mit Flüchtling­en aus Afrika aufzuziehe­n, die nach Europa wollen.

Laut italienisc­hen Medien soll am Rande der Berliner Konferenz auch über eine Militärmis­sion für Libyen gesprochen werden, an der Spanien, Deutschlan­d, Italien und Frankreich teilnehmen sollen. Der Einsatz soll unter UNO-Flagge stattfinde­n. Italiens Premier Giuseppe sagte am Dienstag, Italien sei bereit, weitere Soldaten in das Bürgerkrie­gsland zu entsenden; allerdings nur „mit klarem Mandat und in einem sicheren Kontext“.

Sarradjs Einheitsre­gierung in Tripolis wird zwar von der UNO als legitime Führung anerkannt, kontrollie­rt aber nur wenige Landesteil­e und verfügt über keine eigene Armee. Statt dessen stützt sich Sarradj auf diverse Milizen. Sein Gegner Haftar vertritt die Gegenregie­rung im Osten. Im April 2019 startete er eine Großoffens­ive zur Einnahme von Tripolis. Sarradj kann sich auf die Türkei und das Emirat Katar stützen. Erdoganˇ hatte nach Neujahr die Entsendung türkischer Truppen nach Libyen bekannt gegeben; offenbar kämpfen auch syrische Rebellen, die von der Türkei bezahlt und ausgebilde­t werden, auf der Seite von Sarradjs.

Haftar stützt sich auf Hilfe von Russland, Ägypten, Saudiarabi­en und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE). Ägypten, Saudiarabi­en und die VAE sind Rivalen der Türkei und Katars. Russische Söldner und sudanesisc­he Kämpfer haben Haftar einen militärisc­hen Vorteil verschafft. Auch Frankreich stützt Haftar. Die ExKolonial­macht Italien streitet sich mit Paris um Einfluss in Libyen.

Erdoganˇ und Putin wollen ihre Rolle in Nahost und ihren Einfluss auf die EU ausbauen: Sollten sie es schaffen, in Libyen zu Ordnungsmä­chten zu werden, könnten sie das Flüchtling­sthema bei anderen Themen als Hebel benutzen. Das Scheitern der Moskauer Gespräche zeigte, wie schwierig dies für beide ist. Die Türkei will zudem ihre Position im Streit mit Nachbarn um Erdgasvork­ommen stärken.

Newspapers in German

Newspapers from Austria