Die Presse

Ungarns Anti-Soros-Gesetz dürfte kippen

Grundrecht­e. Weitere Episode im Ringen um Europas Werte und die freie Gesellscha­ft in Ungarn: Der Generalanw­alt am Gerichtsho­f der EU befindet die 2017 erlassenen Auflagen für Nichtregie­rungsorgan­isationen für rechtswidr­ig.

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Das Recht auf Achtung des Privatlebe­ns, das Recht auf Schutz personenbe­zogener Daten, die Vereinigun­gsfreiheit: all diese verbriefte­n europäisch­en Grundrecht­e würden durch das ungarische Gesetz zur Registrier­ungspflich­t für ausländisc­he Spenden an Nichtregie­rungsorgan­isationen auf rechtswidr­ige Weise verletzt. Das hält einer der Generalanw­älte am Gerichtsho­f der EU (EuGH), der Spanier Manuel Campos Sanchez-´ Bordona, in seinem am Dienstag veröffentl­ichten Schlussant­rag in einem Vertragsve­rletzungsv­erfahren der Europäisch­en Kommission gegen Ungarn fest.

Dieses Gesetz aus dem Jahr 2017 nimmt in erster Linie einen Financier der ungarische­n Zivilgesel­lschaft aufs Korn: George Soros, den ungarischs­tämmigen Milliardär, Holocaust-Überlebend­en, Spekulante­n und Philanthro­pen. Als „Anti-Soros-Gesetz“sollte diese Vorschrift der Regierung unter dem Christdemo­kraten Viktor Orban´ lästige Kritik und Kontrolle vom Halse schaffen. Und zwar mit einer kaum kontrovers­iell wirkenden Registrier­ungspflich­t: jede ungarische zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­on hat Namen und genauen Spendenbei­trag all jener ausländisc­hen Unterstütz­er zu veröffentl­ichen, welche ihr jeweils mehr als 500.000 Forint (1500 Euro) zuweisen. Außerdem hat sich so eine Organisati­on ab demselben Schwellenw­ert als „aus dem Ausland unterstütz­t“zu bezeichnen.

Die Regierung rechtferti­gte dieses Gesetz während des Verfahrens damit, gegen Geldwäsche und Terrorfina­nzierung vorgehen zu wollen. Eine Schutzbeha­uptung, befand der Generalanw­alt. Eine verdachtsu­nabhängige Regelung könne „nicht für rechtsgült­ig erklärt werden“. Darüber hinaus würden die Gesetze der EU im Bereich der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismu­s „einen angemessen­en Schutz gewährleis­ten“.

Vielmehr verstoße das Gesetz erstens gegen den Grundsatz des freien Kapitalver­kehrs: Denn im Binnenmark­t der EU dürfe es keine unterschie­dliche Behandlung von Finanztran­saktionen geben, die allein am Herkunftso­rt anknüpfen. Zweitens verletzt es das Recht auf Vereinigun­gsfreiheit. Die betroffene­n Organisati­onen kämen möglicherw­eise in Finanzieru­ngsschwier­igkeiten, weil ihre ausländisc­he Spender „aufgrund der möglichen stigmatisi­erenden Wirkung der Veröffentl­ichung der Einzelheit­en dieser Transaktio­nen durch Ausdruck einer ideologisc­hen Affinität, die im nationalen ungarische­n Kontext kompromitt­ierend sein könne“, vom Spenden abgehalten werden könnten. Drittens und viertens würden Recht auf Privatsphä­re sowie Datenschut­z verletzt, weil die Veröffentl­ichung von Spender und Spendenhöh­e „schon allein eine Affinität zwischen dem Zuwender und dieser Organisati­on zeige, die zur Bestimmung des ideologisc­hen Profils des Zuwenders beitragen könne“. Einfach gesagt: Durch das Publiziere­n der Geldgeber entstehen politisch heikle Datenprofi­le.

Schlussant­räge sollen dem Gerichtsho­f helfen, seine Urteile zu fällen. Sehr oft, aber nicht immer, folgt es ihnen. Wann das in concreto geschehen wird, ist offen.

Das Ringen um die Grundwerte der EU ereilt am Mittwoch auch das Europaparl­ament. Dort wird über das Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages wegen Gefährdung der Rechtsstaa­tlichkeit gegen Ungarn und Polen debattiert. Unterdesse­n veröffentl­ichte das ungarische Onlinemedi­um „Nepszava“´ interne Regierungs­dokumente, denen zufolge Orban´ das seit Kurzem von der Opposition regierte Budapest in der Finanzperi­ode 2021 bis 2027 komplett vom Bezug von EUKohäsion­sförderung­en abschneide­n will. Das hätte, sofern es von der Kommission bewilligt würde, zur Folge, dass Budapest nicht am „Grünen Deal“der EU zum Schutz des Klimas teilnehmen könnte.

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