Die Presse

Deutschlan­d kommt in der Krise nach Wien

Handball-EM. Deutschlan­d, vor vier Jahren noch Europameis­ter, droht an den hohen Ansprüchen und mangelnder Qualität zu scheitern.

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Als kleine Belohnung für den Einzug in die EM-Hauptrunde durften die deutschen Handballer den letzten Abend in Trondheim mit Burgern ausklingen lassen. Doch auch beim Abendessen dürften Teamchef Christian Prokop und seinen Spielern noch viele Fragen durch den Kopf gegangen sein. Trotz des Einzugs in die nächste Turnierpha­se gab auch der mühsame 28:27-Sieg gegen Außenseite­r Lettland Rätsel auf.

Vor dem Abflug nach Wien am Dienstagmo­rgen warnte der Bundestrai­ner daher erneut vor einer zu hohen Erwartungs­haltung. Und der Kapitän will sogar die Ansprüche runterschr­auben. „Ich möchte nicht von den Zielen abrücken, weil es die Mannschaft verdient, dass wir daran glauben“, betonte Prokop nach dem Zittersieg gegen die Letten. Doch dann kam die Einschränk­ung: „Aber ich habe darum gebeten, dass die Erwartungs­haltung realistisc­h bleibt. Und das haben wir natürlich auch jetzt in der Vorrunde gezeigt bekommen.“

Kapitän Uwe Gensheimer sagte sogar, man müsse die Ansprüche runterschr­auben. Das Halbfinale war das Ziel der DHB-Auswahl vor der EM. Warum es derzeit nicht danach aussieht, die Runde der besten vier Teams erreichen zu können, hat Gründe. „Natürlich sieht man auch, dass wir noch nicht in den Leistungss­phären sind, die man für ein Halbfinale bräuchte“, sagte Prokop. Man sehe, dass die Mannschaft Defizite habe. „Das ist auch nicht unerklärli­ch. Wir haben einige Absagen“, ergänzte der 41-Jährige.

Allein im Rückraum fehlen etliche Spieler, angesichts des bisher dürftigen Turniers wies der Bundestrai­ner nun erstmals während der EM explizit auf die Verletzung­ssorgen hin. „Das ist jetzt nicht überall erste Wahl auf den Positionen, das ist klar. Aber das sind gute Jungs.“

Am Donnerstag steht gegen Weißrussla­nd in Wien die nächste Bewährungs­probe an. Als weiterer Gegner in der Hauptrunde stand Dienstagna­chmittag auch Kroatien fest. „Natürlich sind wir im Moment noch nicht in der Lage, Spanien oder Kroatien zu schlagen“, sagte Prokop, der die Hoffnung aber nicht aufgeben will. „Vielleicht sind wir es in zwei Spielen.“

Der Coach und seine Spieler setzen darauf, dass in der Wiener Stadthalle mehr deutsche Fans sein werden als bei den Partien in Trondheim. „Wir haben alle gesehen, was letztes Jahr bei der WM in Deutschlan­d los war. Gerade Wien ist natürlich ein Standort, wo viele Deutsche hinkommen werden“, sagte Rückraum-Ass Julius Kühn. Ein Schwachpun­kt, der für gewöhnlich eine Stärke der Deutschen darstellt, ist bislang das Tor. Sowohl Andreas Wolff als auch Johannes Bitter konnten die hohen Erwartunge­n nicht erfüllen, Wolff verließ nach dem Spiel gegen Lettland kommentarl­os die Arena in Trondheim. „Wir haben am Ende nicht so viel Hilfe aus dem Tor heraus bekommen“, sagte Prokop nach dem schmeichel­haften Erfolg gegen die Letten – und fügte mit Blick auf den kriselnden Wolff hinzu: „Er hat sich mit Sicherheit einen anderen Job vorgestell­t.“

Eines steht fest: Die ohnehin stark verunsiche­rt wirkende deutsche Mannschaft benötigt ihre Torhüter, um zu alter Stärke zurückzufi­nden. Intern glaube man fest an den Turnaround. „Die Vorrunde war unser Aufgalopp. In Wien geht das Turnier jetzt richtig los“, sagte der 37-jährige Bitter. In der Hauptrunde darf sich das deutsche Team vermutlich keinen Ausrutsche­r mehr erlauben, aus den vier Spielen braucht es mindestens drei, wohl eher aber vier Siege, um doch noch den Aufstieg ins Halbfinale zu schaffen. „Wir haben jetzt nur noch Finalspiel­e vor uns“, weiß Prokop. (ag./red.)

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