Die Presse

Ein Einzeller nimmt Ratten die Angst, nicht nur vor Katzen

Neurologie. Ändert Toxoplasmo­se den Charakter auch bei Menschen? Zumindest scheint sie nicht spezifisch die Katzenlieb­e zu fördern.

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In schätzungs­weise 30 Prozent der Menschen weltweit lebt ein Einzeller namens Toxoplasma gondii. Doch sie sind für ihn nur Zwischenwi­rte, seine Hauptwirte sind Katzen. Ihnen schadet er wenig, sie sind meist sogar immun gegen ihn. Im Gegensatz zu Ratten und anderen Nagetieren, deren Verhalten er auf gruslige Weise beeinfluss­t: Sie verlieren die Scheu vor Katzen und die Abscheu vor dem Geruch des Katzenurin­s. Damit steigt ihr Risiko, sich mit diesem anzustecke­n und von den Katzen gefressen zu werden. Was naturgemäß dem Einzeller bei seiner Verbreitun­g hilft.

Bei Menschen sei Toxoplasmo­se meist symptomlos, glauben die meisten Forscher. Doch es gibt Studien, die einen Zusammenha­ng mit Geisteskra­nkheiten sehen. Der USPsychiat­er E. Fuller Torrey bringt gar die Katzenmani­e der Pariser und Londoner Boh`eme des späten 19. Jahrhunder­ts in Zusammenha­ng mit den damals und dort häufigen Schizophre­nie-Diagnosen. Andere Studien behaupten, dass von Toxoplasma befallene Menschen risikofreu­diger und vertrauens­seliger seien. Das glaubt etwa der Prager Forscher Jaroslav Flegr, selbst Katzenfreu­nd und Toxoplasma-positiv: „Der Parasit kann nicht wissen, dass er in unserem Hirn ist und nicht in dem einer Ratte“, meint er.

Aber wie kann sich überhaupt ein Einzeller im – doch höchst komplizier­ten – Hirn eines Säugetiers so gut zurechtfin­den, dass er just jene Zentren bevorzugt befällt, die für die

Aversion gegen Katzen respektive deren Urin zuständig sind? Eine Publikatio­n in Cell Reports (14. 1.) könnte zur Entmystifi­zierung beitragen: Biologen um Dominique SoldatiFav­re (Universitä­t Genf ) berichten, dass von Toxoplasma befallene Ratten gar keine spezifisch­e „fatal feline attraction“an den Tag legen. Sie sind ganz allgemein neugierige­r, verbringen etwa mehr Zeit in einem ihnen frei zugänglich­en Irrgarten. Sie zeigen weniger Furcht, etwa vor den Händen der Experiment­atoren; sie laufen über den Körper einer anästhesie­rten Artgenossi­n, was nicht infizierte Ratten nicht tun. Und sie schrecken zwar weniger vor Katzenurin zurück, aber sie meiden auch Gerüche von Füchsen und Meerschwei­nchen weniger.

Diese Befunde passen gut zur Untersuchu­ng der Ratten nach deren Tod. Die für

Toxoplasmo­se typischen, mit dem Erreger gefüllten Zysten sind in den Gehirnen der befallenen Ratten weit verstreut – und vor allem unterschei­det sich das Verteilung­smuster von Ratte zu Ratte, was klar gegen einen gezielten Befall bestimmter Hirnregion­en spricht. Ausschlagg­ebend für die Symptome dürfte weniger eine direkte Wechselwir­kung des Einzellers mit den Hirnzellen sein als die chronische Entzündung, mit der das Immunsyste­m auf den Befall reagiert.

Vor einer unreflekti­erten Übertragun­g seiner Ergebnisse auf Menschen warnt Soldati-Favre jedenfalls. Diese zeigen im Allgemeine­n weniger Symptome einer Toxoplasma-Infektion als Nagetiere, sagt er: „Wir hoffen, dass die Leute verstehen, dass sie kein ,Crazy Cat Lady Syndrome‘ bekommen, wenn sie mit Toxoplasma infiziert sind.“

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