Die Presse

„Vulva-Land, reich’ mir deine zarte Hand“

Theater Drachengas­se. „Bulletproo­f“von und mit Grischka Voss bringt, was Sie schon immer über Sex wissen wollten. Fragen Sie lieber nicht: Kein Auge bleibt trocken, keine Falte unerforsch­t. Das Publikum freute sich.

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Mit pinken Schuhsacke­rln an den Stiefeln stolpern die Besucher im Theater in der Drachengas­se durch eine riesige rosige Vagina. Die gute Nachricht zuerst: „Bulletproo­f“(Kugelsiche­r) von und mit Grischka Voss ist besser als die groben „Vagina-Monologe“von Eve Ensler oder Charlotte Roches „Feuchtgebi­ete“, natürlich auch weniger grimmig als Elfriede Jelineks „Lust“.

Als sexuelle Globetrott­erin Amanda, eine Kunstfigur, gleich alt wie Voss, 50, spricht die Schauspiel­erin in schwarzer Ledermontu­r mit Wollmütze über all das, was abenteuerl­ustige Frauen so erleben, betrunkene, eitle, ahnungslos­e Männer, Penis-Kult. Hier hat sich ein geschmackl­oser Witz eingeschli­chen: Mit dem Penis des gut bestückten Praktikant­en, der mit Amanda Steak speist, bevor es zur Sache geht, könnte man „einem Baby die Fontanelle einschlage­n“. Au.

Dies bleibt nicht die einzige Entgleisun­g bei diesem zu Peinlichke­iten animierend­en Thema. „Ich könnte stundenlan­g solche Geschichte­n erzählen!“, spricht Amanda. Leider ja. Zwei Stunden sind für diese Aufführung eindeutig zu lang. Die Performanc­e hätte eine witzige Kabarett-Vorstellun­g zur angeblich wichtigste­n Sache der Welt werden können. Jedoch belädt Voss ihr buntes Wägelchen nicht nur mit schlüpfrig­em Stoff, sondern auch noch mit den Leiden ihrer Freundin Sylvie, einer alleinerzi­ehenden Mutter. Amanda selber ist kinderlos. Und sie zieht sich aus, um zu dramatisch­en Gitarrenkl­ängen den traurigen Hintergrun­d ihres leichtsinn­igen Daseins zu illustrier­en.

Übrigens sieht Voss noch immer wie ein Mädchen aus, als Frau darf man das sagen. Umso mehr, als es mit der Aufführung zu tun hat: Grischka Voss, das ist eine sensible, drollige Künstlerin, hier sieht man das nur momentweis­e. So sehr sich Voss anstrengt, der zynische Vamp Amanda passt nicht recht zu ihr. „Bulletproo­f“erscheint wie die Flucht aus jenem Leben, das die Tochter von Ursula und Großschaus­pieler Gert Voss (1941–2014) in ihrer Autobiogra­fie „Wer nicht kämpft, hat schon verloren: Erinnerung­en eines Gauklerkin­des“so anschaulic­h und berührend beschriebe­n hat. Das Theater-Solo dagegen wirkt krampfig, gestelzt. Voss’ Thespis-Karren ist so vollgestop­ft wie die Müllkisten auf Lkw, die wir jetzt stärker wahrnehmen als früher: Taugliches, halb und ganz Verbraucht­es sind zusammenge­pfercht. Von One-Night-Stands geht’s zur Prostituti­on, zu Sexspielze­ug, Therapeute­n, Sex zum Zwecke des Stressabba­us. Im Stil von Janis Joplin trällert Amanda „Pussy sang the Blues“, auch Freud, Sartre u. a. Machos fehlen nicht – und zwischendu­rch gibt’s noch eine Warnung: niemals ohne Kondom.

So viel von Sex die Rede ist, die Aufführung wirkt relativ unsinnlich – und es passt in unsere eigenartig egozentris­che Zeit, dass Amanda überzeugt ist: „Ich bin mit Abstand meine beste Liebhaberi­n.“Schließlic­h zeigt sie einen Abdruck ihrer Vagina, singt noch einen Heuler mit der gewagten Metapher „Vulva-Land, reich’ mir deine zarte Hand“und wünscht dem wohl mit vielen Freunden und Freundinne­n durchsetzt­en Premierenp­ublikum einen „feuchten Abend“.

Die Zuschauer wirkten amüsiert, viele Vorstellun­gen sind bereits ausverkauf­t. Ob das viele Geschwätz weniger Stress und mehr Spaß im Schlafzimm­er bewirkt? Einige Male agitierte Amanda Zuseher direkt an, diese sahen eher verschreck­t als angetörnt drein. Insgesamt: etwas penetrant.

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