Die Presse

Cyberattac­ke: Moskau unter Verdacht

Rekonstruk­tion. Hacker schleusten ein Schadprogr­amm ins Außenminis­terium ein, um Informatio­nen abzugreife­n.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Hacker hinterließ­en bei der Cyberattac­ke auf das Wiener Außenminis­terium dem Vernehmen nach eine ähnliche Handschrif­t wie bei Angriffen auf den deutschen Bundestag 2015.

Seit mehr als zehn Tagen hält eine Cyberattac­ke auf das Außenminis­terium in Wien die halbe Republik in Atem. Gebannt ist die Gefahr jedoch noch immer nicht. „Der Angriff ist nach wie vor im Gang. Unsere Experten arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung“, sagt Peter Guschelbau­er, der Sprecher des Außenamts. Er hütet sich davor, Details preiszugeb­en. Die Angreifer sollen nicht erfahren, was die Verteidige­r schon über sie wissen. In diesem Spiel geht es nicht nur um Informatio­nen, sondern vor allem ums Tarnen und Täuschen. Auch die mitteilung­sbedürftig­sten Beamten werden schmallipp­ig, sobald sie nach dem Einbruch ins Datennetz der Diplomaten gefragt werden. Dennoch hat „Die Presse“versucht, den Angriff zu rekonstrui­eren.

Die Hacker wählten die Zeit zwischen den Feiertagen für die Invasion. Es war Freitag, der 3. Jänner, Alexander Schallenbe­rg noch Außenminis­ter der Übergangsr­egierung und nicht der türkis-grünen Koalition, als das Alarmsyste­m am Wiener Minoritenp­latz anschlug. Die IT-Abteilung des Außenamts meldete einen massiven Hackerangr­iff. Noch in den Nachmittag­sstunden eilte die Führung des urlaubsbed­ingt halb verwaisten Hauses zu einer Krisensitz­ung zusammen. Der Notfallmod­us begann zu greifen, ein Wortungetü­m namens Netz- und Informatio­nssystemsi­cherheitsg­esetz bekam auf einmal schnelle Beine.

Die Notfallrun­de der Republik

Am Samstag, den 4. Jänner, versammelt­en sich die Cyber-Fachleute der Republik um einen Tisch im Innenminis­terium. Der Koordinati­onsausschu­ss trat zusammen – mit Abgesandte­n aus dem Verteidigu­ngsministe­rium, dem Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g, aus dem Bundeskanz­leramt, der Expertensz­ene und dem Außenamt. Cert-Verbund nennt sich die Runde; Cert ist die Abkürzung für Computer Emergency Response Team (Computer-Notfall-Eingreiftr­uppe).

Allen war rasch klar: Den Cyberangri­ff hatten Profis ausgeführt. Die Eindringli­nge hatten ein Schadprogr­amm (Malware) ins Computersy­stem geschleust, um Zugang zu Informatio­nen im Datenreich des Außenminis­teriums zu gewinnen.

Noch in der Nacht des 4. Jänner informiert­e das Außenamt alle Mitarbeite­r. Totale Geheimhalt­ung wäre rechtlich gar nicht möglich gewesen. Die Chefetage wurde durch die Datenschut­zverordnun­g zur Transparen­z gezwungen. „Sehr geehrte Kolleginne­n und Kollegen, die IT-Systeme des BMEIA (Bundesmini­sterium für europäisch­e und internatio­nale Angelegenh­eiten, Anm.) sind derzeit Ziel eines schwerwieg­enden Cyberangri­ffs. Wir informiere­n Sie, dass auch Ihre personenbe­zogenen Daten betroffen sein könnten“, hieß es in der E-Mail, gesendet am 4. 1. um 21.46 Uhr.

Knapp eine Stunde später informiert­e das Außenamt in einer Presseauss­endung die Öffentlich­keit. Die Benachrich­tigung kann auch so gelesen werden, dass sie eine verschlüss­elte Botschaft an den Absender der Malware enthält: „Aufgrund der Schwere und der Art des Angriffs kann nicht ausgeschlo­ssen werden, dass es sich um einen gezielten Angriff eines staatliche­n Akteurs handelt.“

Die Handschrif­t des Fancy Bear

Offiziell hielt und hält sich das Außenminis­terium bedeckt. Bis heute. Es gebe keine belastbare­n Beweise, wer hinter dem Cyberangri­ff steckt, heißt es gebetsmühl­enartig gegenüber Journalist­en. Und so wird es wohl auch sein. Doch intern und hinter vorgehalte­ner Hand fiel der Verdacht schnell auf Russland.

Die Hacker hinterließ­en dem Vernehmen nach eine ähnliche Handschrif­t wie bei Angriffen auf den Deutschen Bundestag Anfang 2015. Die Ermittler vermuteten damals eine Cyberspion­age-Gruppe namens „Fancy Bear“, die mit dem russischen Militärgeh­eimdienst GRU verbunden sein soll, hinter dem virtuellen Informatio­nsraubzug. War diese Truppe auch in Wien am Werk?

Am 7. Jänner landete die Mutmaßung auf der Titelseite der „Kronen Zeitung“: „Spionageat­tacke: Spur nach Moskau“. Das wütende Dementi des russischen Botschafte­rs in Wien, Dmitrij Ljubinskij, ließ nicht lang auf sich warten. „Ein Paradebeis­piel der Fake-News-Verbreitun­g“, schrieb er auf Facebook. Das Außenamt wollte die Headline damals auf Anfrage der „Presse“weder bestätigen noch dementiere­n. Es werde an der Aufklärung gearbeitet – mit „Hochdruck“, dem Lieblingsw­ort der offizielle­n Stellen in diesem Zusammenha­ng.

Längst hat das Außenamt eine Privatfirm­a beauftragt, um sein Computersy­stem zu durchkämme­n. Ohne Ausschreib­ung, weil Gefahr im Verzug war. Dafür musste sich das Ministeriu­m eine Sondergene­hmigung bei der Finanzprok­uratur holen.

Angriff auf Botschaft in Kiew

Es ist nicht das erste Mal, dass das Außenminis­terium zum Opfer eines Cyberangri­ffs wird. Einmal drangen Hacker über Österreich­s Botschaft in Kiew ins Computersy­stem ein. Und auch bei mehreren Spitzendip­lomaten in Wien wurden schon einmal große Datenmenge­n abgesaugt.

Diesmal hat man die Attacke angeblich schnell erkannt. Doch bis der Fall geklärt ist, kann noch viel Zeit verstreich­en. In vergleichb­aren Fällen in europäisch­en Ländern habe es sechs Monate gedauert, heißt es im Außenamt.

Und dann bleibt immer noch die Frage, ob Österreich die Angelegenh­eit aus diplomatis­chen Erwägungen nicht lieber doch unter den Teppich kehrt.

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