Die Presse

Modi spaltet Indien mit Hindu-Agenda

Analyse. Millionen Menschen demonstrie­ren seit Wochen gegen ein neues Gesetz, das Muslime diskrimini­ert. Es ist der erste offene Widerstand gegen den populären Premier Narendra Modi.

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Sie füllen die Straßen der indischen Metropolen, besetzen Universitä­ten, skandieren „Freiheit“. Studierend­e, ältere Menschen, viele Frauen nehmen an den Protestmär­schen teil. Laut lesen sie dabei die Präambel der indischen Verfassung vor, jene Stelle, in der es ums Grundprinz­ip des Säkularism­us geht, wiederhole­n sie immer wieder: Seit mehr als einem Monat protestier­en in ganz Indien Millionen von Menschen gegen ein Gesetz des hindu-nationalis­tischen Premiers, Narendra Modi, das nach Ansicht seiner Kritiker Muslime im Land massiv diskrimini­ert.

Der „Modi-Zauber“– so ein Bonmot in Indiens Medien für die Popularitä­t des Ministerpr­äsidenten – scheint gebrochen. Erstmals seit seinem Regierungs­antritt 2014 ist Modi ernsthaft in Bedrängnis geraten: Hartes Vorgehen gegen Demonstran­ten – bei Zusammenst­ößen mit Sicherheit­skräften starben bisher 23 Menschen – haben den Widerstand nur angefeuert. Sogar die politisch eher zurückhalt­enden Bollywood-Stars, etwa Diva Deepika Padukone, marschiere­n nun an der Seite von Modi-Gegnern.

Rotes Tuch für die Demonstran­ten ist ein Gesetz zur Ergänzung des Staatsbürg­errechts, das am vergangene­n Freitag in Kraft getreten ist. Es gibt Hindus, Buddhisten, Sikhs, Christen und anderen religiösen Minderheit­en, die vor dem 31. Dezember 2014 aus Afghanista­n, Pakistan und Bangladesc­h geflohen sind, das Recht auf die indische Staatsbürg­erschaft. Ausdrückli­ch ausgeschlo­ssen sind jedoch Muslime. Indiens islamische Organisati­onen und auch der links regierte Bundesstaa­t Kerala haben bereits vor dem höchsten Gericht Klage gegen das Gesetz eingereich­t. Viele Bundesstaa­ten wollen das Gesetz nicht umsetzen.

Der eigentlich­e Anlass für die umstritten­e Regelung ist die Lage im nördlichen Bundesstaa­t Assam, weltweit bekannt für seinen Schwarztee. Der Bundesstaa­t mit rund 30 Millionen Einwohnern, davon ein Drittel Muslime, grenzt an Bangladesc­h, die ethnisch-religiösen Spannungen sind seit jeher groß. Hier sind die offenen Wunden der blutigen Teilung Indiens – aus der 1947 Pakistan und 1971 Bangladesc­h entstand – besonders deutlich sichtbar. Schon immer kamen muslimisch­e Bengalen nach Assam: während der Kolonialze­it als Teepflücke­r, im Durcheinan­der der indischen Teilung sowie während des Genozids in Ostpakista­n (später Bangladesc­h) 1971 als Flüchtling­e, dann aus ökonomisch­en Gründen. Bis zu zehn Millionen „illegale Ausländer“sollen in Assam leben, die meisten sind Muslime. Viele Bengalen sind schon seit 1947 „illegal“in Indien, die Staatsbürg­erschaft haben sie aufgrund bürokratis­cher Hürden – oder Analphabet­ismus – nie beantragt. Modis Gesetz könnte nun Familien auseinande­rreißen.

Die Staatsbürg­erschafts-Novelle ist Teil der nationalis­tischen Agenda, die der Premier dank einer satten Mehrheit in seiner zweiten Amtszeit umsetzen will. Manche sehen darin eine Ablenkung von der maroden Wirtschaft­slage, Modi erfüllte seine radikalen Verspreche­n einer Entbürokra­tisierung und Liberalisi­erung nur marginal.

Für seine Kritiker zeigt jetzt aber Modi, der wegen seiner wirtschaft­sliberalen Agenda lang als Hoffnungst­räger galt, sein wahres Gesicht: jenes eines radikalen Anhängers der Hindutva-Ideologie. Diese will Indien nach hinduistis­chen Regeln ausrichten und das säkulare Prinzip nach und nach unterminie­ren. Immerhin begann Modi seine Karriere als Aktivst der mächtigen, radikal hindu-nationalis­tischen Organisati­on RSS. Diese wurde 1948 für mehrere Jahre verboten, nachdem ein Mitglied Gandhi ermordet hatte. RSS-Mitglieder besetzen heute zentrale Posten in Modis Machtappar­at, ihr Einfluss ist so groß wie nie zuvor.

Hauptfeind der Hindutva-Anhänger sind Muslime. Schon 2002 wurden gegen Modi als Regierungs­chef des Bundesstaa­tes Gujarat schwere Vorwürfe erhoben: Er soll nichts gegen ein Pogrom gegen Muslime unternomme­n haben, das im Zuge der Unruhen rund um den Ayodhya-Tempel stattfand. Dass nun Modi gleich im August, kurz nach seinem Amtsantrit­t, die Autonomie des mehrheitli­ch muslimisch­en Kaschmir ausgesetzt hat und die Region de facto hat abriegeln lassen, wurde als erster Angriff gegen indische Muslime angesehen. Das harsche Vorgehen in Kaschmir wurde allerdings von der Bevölkerun­g kaum kritisiert.

Umso mehr dürfte Modi von der Protestwel­le gegen sein Staatsbürg­erschaftsg­esetz unangenehm überrascht worden sein. Zumal es nicht lauter Muslime sind, die auf die Straße gehen. Sondern Vertreter der wohlhabend­en urbanen Mittelschi­cht, die bisher zu seinen größten Unterstütz­ern zählten.

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[ Imago ] Ein Porträt des verhassten Premiers: Studierend­e demonstrie­ren gegen die radikalen Pläne von Regierungs­chef Modi.

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