Die Presse

Schönheit im Angesicht des Todes

Joe Henry. Als er „The Gospel According To Water“schrieb, saß der große US-Songwriter quasi am Schoß des Quiqui. Sie klingen intim, karg und seltsam optimistis­ch.

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Besonders sinnfällig wird die von Costello konstatier­te Schönheit in „Green Of The Afternoon“, das mehr nach englischem Folk a` la Nick Drake und John Martyn klingt als nach Americana. Mit gepresster Stimme offenbart Henry, worum es ihm in seiner Kunst geht: „I mean to sing of love that goes uncured, you come to me and silence every word. But what goes unspoken may not go unheard.“In schwierige­n Zeiten kann das Schweigen also durchaus an Gewicht gewinnen. Was die Liebe anlangt, so lebt Henry, der in seiner Kunst gern das Indifferen­te idealisier­t, seit Jahrzehnte­n in klaren Verhältnis­sen. Als Schüler in der Highschool von Rochester war er in einer Clique mit Madonna und ihrer Schwester Paula. Dieser borgte er ein paar Bücher, doch sie wechselte zur Uni und beauftragt­e ihre jüngere Schwester Melanie Ciccone mit der Rückgabe. Nach einigen Irrungen und Wirrungen kamen Melanie und Joe zusammen und sind seither ein Paar. Sie peitschte ihn jetzt zum Arzt, kurz bevor es zu spät gewesen wäre.

Der gemeinsame Sohn Levon spielt auf dem neuen Album Saxofon und Klarinette. Es sind meist nur kleine Motive, die die karge Anmutung des Albums dezent würzen. Aufs Schlagzeug verzichtet Henry diesmal völlig. Auf früheren Alben haben ihn Jazzgrande­n wie Ornette Coleman, Don Cherry und Marc Ribot begleitet. Diesmal wird die große instrument­ale Expression ausgespart, Henrys Stimme wird zum Hauptinstr­ument. Diese Maßnahme erhöht die Intensität.

Im Februar 2019 fiel Henry der erste Song für „The Gospel According To Water“ein. Erst der Text im Bett, tags darauf im Auto die Musik. Henry hielt den Wagen an und sang in sein iPhone: „I came here for the funeral of all sorrow, last in line, but in time for tomorrow.“Das Lied „In Time For Tomorrow (Funeral For Sorrow)“wurde zum emotionale­n Wendepunkt in der Phase der Entstehung der Lieder. Statt sich selbst zu bemitleide­n, entschloss sich Henry, auch in diesen schwierige­n Zeiten der Welt seine Seele zu offenbaren, wenngleich meist von etwas Fiktion camouflier­t. In „Bloom“umkreist er zu leisen Akustikgit­arrenkläng­en das Phänomen der verschwind­enden Zeit. „,Oh, where has gone the time?‘, we say, even as it moves, over and up ending everything we say it proves.“Auch wenn die Zeit alles kippt und ins Chaos stürzt, ist „Bloom“kein Lied des Bedauerns, sondern eine Art taoistisch­e Hymne, die den Weg, nicht das Ziel feiert.

Im nachdenkli­chen Titelsong steht das Wasser als Chiffre für permanente Veränderun­g. Das ist nichts Neues, aber es wurde selten so subtil ausgeführt wie von Henry hier. „There’s beauty in the making of what will go unseen“, lautet eine schöne Wendung, die wohl mit etwas Bitterkeit aufgeladen ist. Henrys eigene Platten sind nämlich weniger populär als seine – mit bisher vier Grammys bedachte – Arbeit als Produzent für andere. Möge die Schönheit seiner Lieder nicht ungehört bleiben.

 ?? [ Earmusic ] ?? „I came here for the funeral of all sorrow“, singt Joe Henry. Die Lieder seines
15. Albums schrieb er im November 2018, nachdem er eine niederschm­etternde Krebsdiagn­ose erhalten hatte.
[ Earmusic ] „I came here for the funeral of all sorrow“, singt Joe Henry. Die Lieder seines 15. Albums schrieb er im November 2018, nachdem er eine niederschm­etternde Krebsdiagn­ose erhalten hatte.

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