Wenn die EU sparen muss
Österreichs Regierung will einen sparsamen EU-Haushalt. Aber was wären die in Zahlen gegossenen Konsequenzen, wenn sich der Bundeskanzler am kommenden EU-Gipfel damit durchsetzt?
Wer möchte schon mehr zahlen? Obwohl Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt Kompromissbereitschaft signalisiert hat, hält er an seinem Ziel fest, beim EU-Sondergipfel am kommenden Donnerstag zum mehrjährigen Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 einen Sparkurs durchzusetzen. Er fordert, dass die EU nicht mehr ausgeben soll als bisher – also maximal 1,0 Prozent des gemeinsamen Bruttonationaleinkommens (BNE). Die EUKommission argumentiert hingegen, dass für die von allen Mitgliedstaaten gewünschten Politikfelder – insbesondere für Klimaschutz, Außengrenzschutz und Digitalisierung – künftig diese Grenze auf 1,114 Pro
zent erhöht werden müsste. Das EU-Parlament und einige EU-Länder wünschen sich sogar 1,3 Prozent. Die Berechnung in Anteilen des Bruttonationaleinkommens der EU ist abstrakt, deshalb legt „Die Presse“hier erstmals die Auswirkungen in Geldwerten und konkreten Zahlen vor:
1 Wie viel würde sich Österreich an EU-Beiträgen ersparen?
Noch liegen die Positionen klar auseinander. Bundeskanzler Kurz hat Verbündete in den Niederlanden, in Dänemark, Schweden und Deutschland gefunden, um einen Sparhaushalt durchzusetzen. Doch vor allem jene Länder, die bisher vom EU–Haushalt pprofitiert haben, halten dagegen. Setzt sich Öster
reichs Regierungschef durch, würde sich das Land rund 550 Millionen Euro pro Jahr gegenüber dem Kommissionsvorschlag ersparen, gegenüber jenem des EU-Parlaments (1,3 Prozent BNE) sogar 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Allerdings betrifft das nur den Bruttobeitrag an das Gemeinschaftsbudget – nicht den Nettobeitrag, der die Rückflüsse einbezieht. 2019 flossen beispielsweise 3,1 Mrd. Euro an die EU und 1,37 Mrd. Euro von Brüssel wieder zurück nach Österreich. „Kürzungeng wirken sich dann natürlich auch auf Österreich aus“, so der Budgetexperte der EU-Kommission, Marc Fähndrich. Soll heißen: Ein kleinerer Haushalt wird auch die Rückflüsse verringern.
2 Was wären die Auswirkungen dieser Kürzungen?
Das EU-Budget würde sich mit dem österreichischen Vorschlag von durchschnittlich rund 130,04 Mrd. Euro pro Jahr auf 114,14 Mrd. Euro (Preisniveau 2018) verkleinern. Das würde Kürzungen auch in jenen Bereichen notwendig machen, von denen Österreich und seine Bürger profitieren. Budgetexperten der EU-Kommission berechneten für die „Presse“die Auswirkungen eines solchen Sparkurses. Für den siebenjährigen Haushaltsplan würde das bedeuten, dass EU-weit 5500 Forschungsprojekte und 4200 geförderte Forschungsplätze weniger als geplant finanziert werden könnten. Die Zahl an Klein- und Mittelbetrieben, die von der EU unterstützt werden, würde um 50.000 sinken. 2,4 Millionen weniger Bürger aus der EU und ihren Partnerländern könnten am Austauschprogramm Erasmus+ teilnehmen. Und auch der von Österreich unterstützte Aufbau des gemeinsamen EUGrenzschutzes mit 10.000 Beamten bis 2027 wäre gefährdet.
3 Weniger zahlen, aber hohe Agrarhilfen: Wie geht das zusammen?
Österreich möchte trotz Sparhaushalt keine weiteren Kürzungen im Agrarbudget der EU hinnehmen. Dies verwundert nicht, denn es geht um die Existenz vieler heimischer
Agrarbetriebe. Wie das Finanzministerium in seinem jährlichen „Bericht zum EU-Haushalt“auflistet, ist die „Landwirtschaft jener Sektor, der mit Abstand am meisten Förderungen aus dem EU-Haushalt generiert“. Im vergangenen Jahr erhielt Österreich 664 Mio. Euro an Direktzahlungen für bäuerliche Betriebe und 563 Mio. Euro an Hilfen für die ländliche Entwicklung. Eine deutliche Einsparung im EU-Budget ist nur erreichbar, wenn die großen Ausgabentöpfe – Agrarpolitik und Kohäsionspolitik – gekürzt werden. Die EU-Kommission hat in ihrem Vorschlag zwar hier bereits Einsparungen vorgesehen – siehe Grafik. Aber für den gewünschten Sparhaushalt würde das nicht ausreichen.
4 Braucht eine kleinere EU nicht sowieso weniger Geld?
Schon die türkis-blaue Regierung hat damit argumentiert, dass eine nach dem Brexit kleinere EU auch weniger Geld benötige. Dies ist nur teilweise richtig. Denn das ausgetretene Großbritannien war Nettozahler. Das heißt, es leistete mehr Beiträge, als es zurückbekam. 2018 hat London rund 13 Mrd. Euro an die EU überwiesen und im Gegenzug 6,6 Mrd. Euro zurückerhalten. Das wiederum bedeutet, dass mit dem Brexit ein Loch im EU-Haushalt entstanden ist, das vom Rest der Mitgliedstaaten gefüllt werden muss. Die meisten Mitgliedstaaten werden allein deshalb mehr bezahlen als bisher.