Leitartikel von Oliver Grimm: Bei diesem EUBudget gibt es nur Verlierer
Der Brexit hätte Anlass sein müssen, die Finanzierung der Union von Grund auf zu überdenken. Die Staats- und Regierungschefs haben das verabsäumt.
Als vor dreieinhalb Jahren nach der Brexit-Volksabstimmung zu sickern begann, dass der Abschied des zweitgrößten Beiträgers zum Haushalt der Europäischen Union die Erstellung desselbigen schwierig machen dürfte, witterten die Reformgeister in Europa ihre große Chance. Die Brexit-Lücke von jährlich mindestens acht Milliarden Euro sollte Anstoß sein, die Finanzierung des Einigungswerks auf neue Fundamente zu setzen.
Drei Leitsätze folgten aus dem Zusammenspiel von Brexit, Klimakrise und dem Bekenntnis, die EU solle endlich „weltpolitikfähig“werden (so nannte dies Jean-Claude Juncker, der frühere Kommissionspräsident). Erstens sei die Zeit gekommen, das Budget zu „modernisieren“: ein Codewort dafür, die Agrar- und Regionalsubventionen, welche gemeinsam rund zwei Drittel des Unionsbudgets ausmachen und letztlich Umverteilungspolitiken aus den 1960er- und 70er-Jahren sind, auf einen zeitgemäßen Umfang zurechtzustutzen. Zweitens solle die EU angesichts ihrer sinkenden Zollerträge neue eigene Geldquellen erhalten, um das jährliche würdelose Geschacher zwischen nationalen Regierungen, Kommission und Europaparlament wenigstens ein bisschen einzudämmen. Drittens sollte der Wegfall des britischen Rabatts bei den Beitragszahlungen auch die durch ihn gerechtfertigten Rabatte von fünf anderen Nettozahlerstaaten (Deutschland, Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden) abschaffen.
Doch wenn sich die 27 Staats- und Regierungschefs kommenden Donnerstag in Brüssel versammeln, um erstmals über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 zu verhandeln, wird von diesen Forderungen nichts übrig bleiben. Die Geldtöpfe für Agrar- und Kohäsionssubventionen wurden zwar sowohl im ursprünglichen Vorschlag der Kommission als auch in den überarbeiteten Versionen des finnischen und des kroatischen Ratsvorsitzes gekürzt. Doch das Gejammer der einschlägigen Lobbys darf nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass selbst nach dem Brexit, im Angesicht der klimapolitischen Herausforderungen und trotz des Bekenntnisses, die EU geopolitisch aufzurüsten, mehr als 60 Prozent für diese beiden traditionellen Umverteilungspolitiken ausgegeben werden.
Ernsthafte neue Eigenmittel wird die EU zweitens nicht bekommen. Die erhofften Mehreinnahmen aus dem Handel mit Emissionszertifikaten sind bereits längst in den nationalen Haushalten verplant. Die „CO2-Grenzsteuer“, welche Junckers Nachfolgerin, Ursula von der Leyen, noch vor Weihnachten im Rahmen ihres EU Green Deal angekündigt hat, ist politisch tot: Zu groß ist die Angst vor allem in Berlin, neue Handelskonflikte mit den USA und China auszulösen. Von der sachlich richtigen Idee der Kommission, einen kleinen Teil einer konsolidierten gemeinsamen Berechnungsbasis für die Körperschaftsteuer gleichsam als Mitgliedsbeitrag für die Teilnahme am Binnenmarkt einzufordern, spricht Budgetkommissar Johannes Hahn gar nicht mehr. Einzig eine Abgabe auf Plastikmüll hat realistische Chancen, zum Budget beizutragen. Doch sie wäre rein symbolisch und, da sie das politische Ziel verfolgt, Plastikmüll zu verringern, keine nachhaltige Finanzierungsquelle. Und drittens wird es auch die Rabatte weiterhin geben: Darauf werden die Nettozahler pochen.
Und so wird es nächste Woche (oder bei einem weiteren Sondergipfel) nur Verlierer geben. Erstmals wird kein Land mehr Geld als in der vorherigen Finanzperiode erhalten. Und alle werden, nominell betrachtet, mehr zahlen müssen: Das ist logisch, wenn man erwartet, dass die Wirtschaft in der EU bis 2027 weiterhin wächst. Doch jenseits des peinlichen Gezerres um die Frage, ob das EU-Budget nun ein Prozent oder 1,05, 1,07 oder 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens ausmachen soll, scheinen die Staats- und Regierungschefs die Schlüsselfragen aus den Augen verloren zu haben: Was genau wollen wir gemeinsam in der EU schaffen? Der Krampf um diesen Haushalt ist auch ein Symptom dafür, dass man sich darüber auf Chefebene nicht einig ist.