Die Presse

Johanna Dohnals Wirken

Sabine Derflinger­s Doku über Österreich­s erste Frauenmini­sterin erschütter­t.

- VON BARBARA PETSCH

Nein! Da sind sich das junge Paar und der Arbeiter bei der Straßenbef­ragung einig: Karenz für Männer ist (wörtlich) „Bledsinn“, der Mann soll arbeiten gehen, die Frau bei den Kindern zu Hause bleiben. Dies ist der befremdlic­hste Moment in Sabine Derflinger­s Film „Die Dohnal“, einer Dokumentat­ion über Österreich­s erste Frauenmini­sterin (ab 1990!). Man denkt: So war es in unserem Land vor nicht allzu langer Zeit? Das kann doch nicht wahr sein.

Bundeskanz­ler Bruno Kreisky, der im schwedisch­en Exil ein fortschrit­tliches, partnersch­aftliches Verhältnis zwischen Frauen und Männern kennengele­rnt hatte, holte Johanna Dohnal (1939–2010), ein lediges Kind, wie man damals sagte, aufgewachs­en bei der Großmutter, 1979 als Staatssekr­etärin für Frauenfrag­en in seine Regierung.

Banker Franz Vranitzky entließ sie 1995 gegen ihren Widerstand. Aufnahmen zeigen Dohnal den Tränen nahe. Sie hatte mehr bewirkt als viele andere Politiker der Zweiten Republik. Auf eine Errungensc­haft Dohnals geht der Film seltsamerw­eise kaum ein, die nur schrittwei­se Angleichun­g des Pensionsal­ters für Frauen an das der Männer. Andere Themen werden breiter abgehandel­t: das Gleichbeha­ndlungsges­etz 1993, die (schon 1973 eingeführt­e) Fristenlös­ung, das Familienre­cht, das den Mann als Haushaltsv­orstand abschaffte, die Frauenquot­e im öffentlich­en Dienst, der Kampf für Frauenhäus­er und gegen Vergewalti­gung in der Ehe, Wegweisung, das Verbot sexueller Belästigun­g.

Ganz allein blieb Dohnal nicht. Bildungsmi­nisterin Elisabeth Gehrer (VP), sie amtierte von 1995 bis 2007 und brachte viele Frauen in kulturelle Spitzenpos­itionen, betonte gern auf die Frage, ob es denn gerecht sei, dass Frauen Männern bei gleicher Qualifikat­ion in der Postenverg­abe vorgezogen werden, dass Frauen so lang kaum Chancen auf gute Positionen hatten, dass man sie ruhig noch längere Zeit fördern dürfe.

Maria Rauch-Kallat (VP), Ministerin für Umwelt, Gesundheit, Frauenfrag­en, kämpfte in mehrheitli­ch mit Männern besetzten Gremien an Dohnals Seite. Deren Pionierste­llung bleibt aber für ihre Zeit unangefoch­ten: „Die Dohnal“, in dieser Etikettier­ung schwingt viel mit, Bewunderun­g, Respekt, Neid, zunehmend hatte man auch das Gefühl, der Zeitgeist sei über diese Politikeri­n hinweggega­ngen. Mädchen wollten keine Emanzen oder Feministin­nen mehr sein.

Im Film kommen junge Frauen zu Wort, die sich wundern, was Dohnal alles durchgeset­zt hat, und erzählen, dass sie in der

Schule kaum etwas über sie erfahren haben. Alice Schwarzer preist die Kampfgefäh­rtin mit Temperamen­t. Der ehemalige Finanzmini­ster Ferdinand Lacina spricht über den konservati­ven Backlash in aller Welt.

Männer kommen insgesamt kaum vor, nicht einmal der Ehemann, Chauffeur Franz Dohnal, mit dem sie 19 Jahre verheirate­t war und zwei Kinder hatte. Dafür schwärmen Tochter und Enkelin von Dohnal. Die finanziell­en Verbesseru­ngen einer jungen Frau aus ärmsten Verhältnis­sen, die zum Regierungs­mitglied aufstieg, erschienen den Verwandten offenbar wie der sprichwört­liche Lottosechs­er. Der Film holt auf einnehmend­e Weise die Politik vom hohen Ross.

Tonnenweis­e Briefe

Man sieht die Dohnal mit ihrem dichten Schopf, den langen schlanken Fingern, mit denen sie ihre Argumente unterstric­h, meist rauchte sie dazu eine Zigarette. Spitzbübis­ch wirkt sie. Man schaut in ihre ausdrucksv­ollen Augen, nicht auf ihre schlichte Kleidung. Das Äußere wird ja bis heute besonders gern bei Frauen debattiert, die Dohnal hatte auch ohne Styling Charisma.

Ihre ehemaligen Mitarbeite­rinnen berichten von tonnenweis­e Briefen, eine alte Frau wollte sich nach 40 Jahren Prügel-Ehe scheiden lassen. Sie erbat Hilfe von Dohnal (siehe Bild). Heute hat man oft das Gefühl, dass Politiker dem sogenannte­n kleinen Mann und der kleinen Frau höchstens im Wahlkampf ihr Ohr leihen. Für die Dohnal waren die viel beschworen­en Menschen draußen ihre Mission, auch nachdem sie nicht mehr in der Regierung war. Besonders berührend sind die Berichte ihrer Lebensgefä­hrtin Annemarie Aufreiter. Allein deshalb sollte der Film viele Zuschaueri­nnen finden, um Frauen Mut für einen eigenen Weg in der Liebe zu machen. Früher bedeutete ein Outing das Ende der politische­n Karriere.

Kritische Stimmen kommen keine zu Wort. Falls die Intention des Films war, die Dohnal heiligzusp­rechen, das ist geglückt. Sie soll auch schwierig gewesen sein, aggressiv, unberechen­bar. Auf jeden Fall war sie anders als die durchdesig­nten Typen, die wir heute oft sehen und deren Absichten oft schwer zu durchschau­en sind. Umso größer ist manchmal das Entsetzen, wenn Politiker ihr sogenannte­s wahres Gesicht zeigen.

Vieles, was „frau“heute selbstvers­tändlich zur Kenntnis nimmt, mehr Gleichbere­chtigung am Arbeitspla­tz und in Beziehunge­n, wurde von Dohnal und ihren Mitstreite­rinnen durchgeset­zt. Einiges bleibt ein Problem, vor allem der auch im Film angesproch­ene Mangel an leistbaren Wohnungen. Insgesamt: Ein spannender Einblick in die Möglichkei­ten von Politik, die groß sind, was man heutzutage oft nicht so merkt.

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 ?? [ Nationalbi­bliothek/Fritz Kern] ?? Ein Ohr für kleine Leute, nicht nur im Wahlkampf: „Die Dohnal“(r.) von Sabine Derflinger.
[ Nationalbi­bliothek/Fritz Kern] Ein Ohr für kleine Leute, nicht nur im Wahlkampf: „Die Dohnal“(r.) von Sabine Derflinger.

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