Die neue Technik hat auch ihre Tücken
Bei der Digitalisierung von Bauprozessen sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen.
Die Vision zur Digitalisierung des Bauwesens klingt bestechend: Ein virtueller Zwilling, der alle Details seines realen Pendants beinhaltet, begleitet ein Bauvorhaben von der ersten Planungsphase bis zur laufenden Betreuung des fertigen Gebäudes durch das Facility-Management. BIM – Building Information Modeling – nennt sich die Technologie, bereits eine Reihe von Projekten wurde auf dieser Basis realisiert. Nach der Anfangseuphorie machen sich jetzt aber die Mühen der Praxis bemerkbar. Denn Bauen 4.0 hat auch seine Tücken.
Ein Grund hierfür sei die Vielfalt der Software, erklärt Marcus Wallner, Lehrbeauftragter und Forscher auf dem Gebiet BIM an der TU Graz: „Setzen die am Projekt Beteiligten – Architekten, Statiker oder Bauunternehmen – Software unterschiedlicher Hersteller ein, ist das Austauschformat der kleinste gemeinsame Nenner.“Dadurch gehen bei der Datenübergabe vom einen zum anderen Gewerke bei dieser Open BIM genannten Arbeitsweise Daten verloren. Behörden und Planungsbüros nutzen oft diese Lösung.
Die Alternative nennt sich Closed BIM, hier nutzen alle Beteiligten dieselbe Softwarebasis, der digitale Zwilling ist auf einem zentralen Rechner abgelegt. Vor allem Bauindustrie und große Planungsbüros setzen auf diese Lösung, bei der die Kooperation bereits relativ gut funktioniert. Christine Horner, Architektin bei Solid Architecture und Autorin des Buchs „BIM kompakt“, bestätigt die Aussagen von Wallner: „Im hausinternen little-closed BIM funktioniert die digitale Lösung bereits sehr gut.“Wie Wallner sieht sie aber noch Probleme bei der Übertragung der Daten von einem Fachplaner zum anderen. Neben noch nicht optimal abgestimmter Software fehle es an eingespielten Planungsabläufen ebenso wie an
Rechtsgrundlagen. Die Wiener Bauordnung etwa müsse erst BIM-fit gemacht werden. Horner meint, dass es für den Einstieg sinnvoll sei, nicht gleich den digitalen Gesamtzwilling ins Visier zu nehmen, sondern sich auf einzelne klar abgegrenzte Teilmodelle zu konzentrieren, die geometrisch deckungsgleich, aber inhaltlich unterschiedlich strukturiert sind. Die am Bauprozess Beteiligten, vom Architekten über den Auftraggeber bis zur bauausführenden Firma, hätten schließlich verschiedene Aspekte des Bauwerks im Fokus. Für Teilmodelle spricht außerdem die gigantische Datenmenge, die bei einem virtuellen Gesamtzwilling anfällt. Jedes einzelne Bauelement könne in einem solchen Modell in allen Details beschrieben werden. „Allein einem einzelnen Fenster lassen sich über 50 Parameter zuordnen“, sagt Horner. Aber je größer die Datenmenge ist, die man zwischen den Planungs- und Projektbeteiligten austauschen möchte, umso mehr interdisziplinäres und programmtechnisches Wissen werde benötigt, um einen reibungslosen Datenaustausch zu bewerkstelligen, erläutert die Architektin.
Wissenschaftler Wallner weist in diesem Zusammenhang auf eine weitere Herausforderung bei der Realisierung von BIM auf breiter Ebene hin: gemeinsame Standards für alle beim Bauen verwendeten Komponenten vom Wandelement bis zum Türgriff. Pionierarbeit, die Vorbild für eine europäische Norm war, leistete hier das Innsbrucker Planungsbüro Achammer. Aber Interessengruppen wollen jetzt wieder andere Klassifizierungen durchsetzen. „Dieser Lobbyismus macht es schwierig, sich auf europaweit einheitliche Standards zu einigen“, bedauert Wallner. Trotz solcher und anderer Herausforderungen werde BIM aber nicht aufzuhalten sein, betonen sowohl Horner als auch Wallner. Der TU-Wissenschaftler verweist darauf, dass es zehn bis zwanzig Jahre dauerte, bis vom Planzeichnen mit Tusche flächendeckend auf CAD umgestellt wurde.
Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer des Bau-Gesamtdienstleisters Delta, ist ebenfalls der Ansicht, dass BIM die Zukunft gehöre, aber die Umstellung der Branche auf digitale Technik nicht in wenigen Monaten realisierbar sei. BIM öffne weiter die Tür für andere Technologien wie Virtual Reality, Mixed Reality sowie 3-D-Druck und Robotik, betont Kradischnig. „Da kommt Interessantes auf uns zu. Etwa die Steuerung von Baumaschinen, die den Erdbau mehr oder weniger autonom durchführen, aber auch der 3-D-Druck für die Herstellung von Gebäuden.“Kradischnig ist überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren hier vieles bis zur Marktreife entwickeln werde. Natürlich werde der 3-D-Druck konventionelle Techniken nicht verdrängen, Bauten aus Ziegel, Holz oder Stahl ließen sich schließlich nicht drucken. „Aber im Gewerbe- und Industriebau und dort, wo sehr unter Zeitdruck gebaut werden muss, werden sich solche Technologien in absehbarer Zeit durchsetzen.“