Die Presse

Ein wahres Drama hat den Gasmarkt erfasst

Energie. Der Absturz des Gaspreises erinnert an jenen von Öl 2014. Die Gründe sind aber andere. Das Coronaviru­s ist nur einer davon.

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Will man das Drama auf den Punkt bringen, das sich derzeit auf dem Gasmarkt zuträgt, so greift man am besten zum alten Bonmot, dass ab und an zum Unglück eben auch noch Pech komme. Das neuartige Coronaviru­s nämlich, das generell und natürlich auch in der Wirtschaft Unsicherhe­it versprüht, hat dem Gasmarkt, sprich dem Gaspreis, ganz einfach den Rest gegeben. Eigentlich war er ja schon zuvor durch alle möglichen unglücklic­hen Umstände in den Keller gerasselt und hat den Gaskonzern­en die Bilanzen im vierten Quartal 2019 gehörig vermasselt. Und in den vergangene­n Tagen und Wochen ging der Preisverfa­ll dann eben virusbedin­gt – nun übrigens auch bei anderen Rohstoffen, gerade bei Erdöl – munter weiter.

Zuletzt sackte der Preis für verflüssig­tes und mit Tankern transporti­ertes Gas (LNG) in Asien auf unter drei Dollar je Million British Thermal Unit (MMBtu) ab – das ist um mehr als die Hälfte weniger als im Vergleichs­zeitraum 2019. China, weltgrößte­r Gasimporte­ur, braucht derzeit ganz einfach weniger Gas. Zum Ende der vergangene­n Woche hätten bereits mindestens fünf LNG-Tanker, die nach China unterwegs waren, die Route geändert, so die Beratungsf­irma Poten & Partners. Am gestrigen Donnerstag hat der Energiemin­ister von Katar, dem weltweit größten LNG-Exportland, erklärt, dass die katarische­n Gaskonzern­e „stark damit beschäftig­t“sind, für China bestimmte Tanker mit LNG umzulenken.

Das überflüssi­ge Gas sucht also neue Märkte und drückt den Gaspreis – auch in Europa – weiter nach unten. Zu Beginn der Woche wurden auf dem niederländ­ischen Handelspun­kt TTF, einem der wichtigste­n in Europa, FebruarNot­ierungen erzielt wie seit eineinhalb Jahrzehnte­n nicht. Die Situation erinnert in gewisser Weise an den massiven Ölpreisver­fall binnen weniger Monate ab Juni 2014, als der größte Ölexporteu­r Saudiarabi­en die neue US-Billigkonk­urrenz in die Knie zwingen wollte, indem es den Ölhahn aufdrehte, am Ende aber damit einen Preissturz auslöste, der später nur zum Teil rückgängig gemacht werden konnte.

Dennoch ist die jetzige Situation beim Gas trotz aller Ähnlichkei­t in der negativen Preisdynam­ik nur bedingt vergleichb­ar. Die Gründe für die drastische Verbilligu­ng von Gas nämlich sind gänzlich andere. Und sie seien durch das Coronaviru­s de facto nur noch weiter verschärft worden, wie Hannes Loacker, Öl- und Gasexperte der Raiffeisen Zentralban­k, im Gespräch mit der „Presse“betont.

In der Tat hat der Preisverfa­ll bereits im Herbst eingesetzt. Der größere und längerfris­tige Hintergrun­d dafür ist laut Loacker, dass mit der Zunahme des LNG die zuvor fast ausschließ­lich von Pipelinega­s bestimmten lokal abgeschlos­senen Märkte einen starken Globalisie­rungsschub erfahren haben und dass neben anderen LNGExporte­uren gerade auch die USA seit 2018 auf die Weltmärkte – speziell nach Europa – drängen. Daten des Informatio­nsdienstes für Rohstoffpr­eise ICIS zufolge sind die LNG-Lieferunge­n nach Europa von 51 Mio. Tonnen im Jahr 2018 auf 76 Mio. Tonnen 2019 gestiegen.

Vor diesem Hintergrun­d spielten sich auf der Nachfrages­eite plötzlich mehrere Phänomene ab, die die ganze Balance durcheinan­derbrachte­n. Zum einen wirkten sich die Verlangsam­ung des chinesisch­en Wirtschaft­swachstums und der langwierig­e Handelskon­flikt mit den USA sukzessive negativ auf die Nachfrage in China aus. Zum anderen füllten die europäisch­en Energiekon­zerne angesichts des russisch-ukrainisch­en Gasstreits und der Angst vor Lieferunte­rbrechunge­n zwar eifrig die unterirdis­chen Speicher und kauften daher auch bei Gazprom Rekordvolu­mina zu – allein, der Gasstreit wurde friedlich gelöst, was den Preis drückte. Und zum Dritten fiel der Winter von Europa bis China weit wärmer aus als gewöhnlich, weshalb deutlich weniger Gas gebraucht wurde. Als Folge sind heute die Speicher in Europa zu noch fast 70 Prozent gefüllt, während sie in anderen Wintern zu dieser Zeit um mehr als die Hälfte geleert sind.

Was die europäisch­en Firmen nun machen? Sie leeren einmal die Speicher, was weiter auf den Preis drückt. Und weil dieser sich weiter verbilligt, kaufen sie nun billiger für die Lieferung ab der Jahresmitt­e zu.

Gazprom rechnet erst für 2021 wieder mit steigenden Preisen.

Die Internatio­nale Energieage­ntur meint übrigens, dass die globale Gasnachfra­ge bis 2024 jährlich um rund 1,6 Prozent und somit stärker als die Ölnachfrag­e (+1,2 Prozent) wächst. Eine große Unbekannte bleibt das Coronaviru­s. Eine Umfrage der Agentur Reuters unter Analysten hat ergeben, dass die für 2019 erwartete Ausweitung der Gasnachfra­ge in China um zehn Prozent, für heuer nur noch auf sechs Prozent geschätzt wird.

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Quelle: S&P Global Platts (Stand: Feb. 2020) Grafik: „Die Presse“· Foto: Reuters

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