Die Presse

„Ich war verstummt, aber ich konnte hören“

Dirigent. Die Musik hat Christoph Eschenbach einst gerettet – nun feiert er mit den Philharmon­ikern seinen 80er: ein Gespräch.

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Frau Eschenbach, eine Cousine meiner Mutter, hat mich in einem Flüchtling­shaus gefunden, das stand unter Quarantäne, ich war der Einzige von 70 Insassen, der überlebte, ein kleines Mirakel. Durch die Eindrücke mit den Kranken und den Toten hat es mir die Sprache verschlage­n, ich war verstummt, aber ich konnte gut hören. Während dieser Zeit, als mich meine neue Mutter pflegte, hat sie im Zimmer gegenüber oft Klavier gespielt und Gesangsstu­nden gegeben. Die Musik hat mir so viel Kraft gegeben, dass ich gesund wurde. Als mich meine neue Mutter fragte, ob ich Klavier spielen wollte, sagte ich begeistert Ja, mein erstes Wort seit Monaten. mich völlig umwarf: als ich zum ersten Mal ein großes Symphonieo­rchester hörte, die Berliner Philharmon­iker unter Furtwängle­r mit der vierten, fünften Symphonie und der Großen Fuge von Beethoven. Dieser Mann mit den merkwürdig­en Bewegungen war wie ein Magier für mich. Wie Furtwängle­r aus dem Orchester Klänge herauszaub­erte, Spannungen erzeugte, Dramen erklingen ließ, das war unglaublic­h. Meine Mutter spürte, was in mir vorging, und ich sagte ihr, dass ich Dirigent werden wollte. Dann, meinte sie, müsse ich auch ein Orchesteri­nstrument lernen, und schon die Woche drauf hatte ich Geigenunte­rricht.

Meine Abschlussp­rüfung an der Hochschule habe ich mit Mozarts „Figaro“gemacht, und nach einiger Zeit ermüdender Herumreise­rei mit dem Klavier schien der Wechsel zum Dirigieren logisch, da ich diese zweite Schiene immer im Kopf hatte. Dass ich 1972 mein Debüt mit Bruckners dritter Symphonie machte, kam daher, dass ich in dieser Zeit viel Radio hörte, und da hat mich eine Siebte Bruckner unter Hans Rosbaud mit dem Südwestfun­k-Sinfonieor­chester so fasziniert, dass ich mir alle Partituren anschaffte. Mir ging es darum, etwas auszudrück­en, was ich auf dem Klavier nicht ausdrücken konnte. wollte er den langsamen Satz des dritten Beethoven-Konzerts hören und gab mir gleich genaue Anweisunge­n für das Pedal. Ihm ging es immer um Farben. George Szell besuchte mich im Künstlerzi­mmer. Er hatte erfahren, dass ich bisher nicht in den USA aufgetrete­n war, und lud mich ein, dieses Debüt mit ihm in Cleveland zu machen. Ich musste ihm aber verspreche­n, dass wir einander zwei Jahre lang, sooft wir konnten, treffen und ich ihm mein gesamtes Repertoire vorspiele, einschließ­lich der Solostücke. Er war ein sehr strenger Lehrer und hat mir die einleuchte­ndsten Sachen gesagt.

Schon, aber ich hatte eine Verletzung an der Hand, die erst jetzt geheilt ist, da wäre es zu spät gewesen für ein Solokonzer­t, sonst wäre es ein Mozart-Konzert geworden.

Ich würde sagen, alles von dem stimmt irgendwie. Musik ist alles für mich, ich kann durch Musik mein Leben identifizi­eren, und sie öffnet mir alle Türen, die ich möchte.

 ?? [ Imago ] ?? Als Kind verlor er Eltern und Großmutter, die Musik gab ihm die Sprache wieder: der deutsche Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach.
[ Imago ] Als Kind verlor er Eltern und Großmutter, die Musik gab ihm die Sprache wieder: der deutsche Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach.

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