Die Presse

Nicht nachhaltig gedacht

Die Regierung bekennt sich zu einem nachhaltig­en Wirtschaft­sstandort. Bei Infrastruk­turprojekt­en ist einiges zu beachten.

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Das Regierungs­programm bekennt sich klar zu einem nachhaltig­en und wettbewerb­sfähigen Wirtschaft­sstandort. Diese Bekenntnis­se sind notwendig und gut, müssen aber in der Praxis um- und im Einzelfall auch gegen Widerstand durchgeset­zt werden. Es gibt heute kein Infrastruk­turprojekt, das unumstritt­en ist (z. B. dritte Piste Flughafen Schwechat, Semmering-Basistunne­l, Salzburgle­itung), auch wenn die Notwendigk­eit von einer großen Mehrheit anerkannt wird oder sogar Urteile der Höchstgeri­chte vorliegen.

Jedes Infrastruk­turprojekt wird heute von Protesten und offener Ablehnung begleitet, und dies aus unterschie­dlichsten Gründen. Die einen sind dagegen, weil sie selbst davon betroffen sind, die anderen, weil sie grundsätzl­ich gegen Infrastruk­turprojekt­e oder Veränderun­g sind, und wieder andere Gruppen sehen in diesen Protesten (überspitzt formuliert) die Möglichkei­t, unser Wirtschaft­s- und gleich unser Gesellscha­ftssystem grundsätzl­ich infrage zu stellen.

Es ist klar, dass Infrastruk­turprojekt­e immer einer Interessen­abwägung unterliege­n müssen. Der Verfassung­sgerichtsh­of hat in seinem Erkenntnis über die Beschwerde des Flughafens betreffend die dritte Piste zu den Fragen des Gemeinwohl­s und der Individual­interessen sehr eingehend Stellung genommen. Daran erkennt man, dass es sich dabei um sehr grundsätzl­iche Fragen unserer Rechtsordn­ung handelt, die gerade in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden müssen.

Allein die Erreichung der Klimaziele wird eine geballte Kombinatio­n von politische­m Willen, Forscherge­ist, Mut, praktische­r Anwendung, Hausversta­nd und Motivation zur individuel­len bzw. gesellscha­ftlichen Verhaltens­änderung erfordern. Dazu müssen wir weit vorausdenk­en: Viele Maßnahmen, die wir jetzt setzen, werden erst in zehn oder 20 Jahren wirksam – etwa in den Bereichen Umwelt, Bildung, Gesundheit und insbesonde­re Infrastruk­tur. Bahnausbau und der Um- und Ausbau der Stromnetze, die so essenziell für die Sicherung unseres Wirtschaft­s- und Lebensstan­dorts sind, werden nicht über Nacht errichtet – derzeit braucht es Jahrzehnte.

Doch ohne diese Infrastruk­tur werden wir die Energiewen­de nicht bewältigen – und nächste Generation­en werden zu Recht beklagen, dass wir zu kurzfristi­g gedacht haben.

Die zunehmende Individual­isierung hat ein Opfer gefordert: das Gemeinwohl. Aber genau das müssen wir im Blick haben, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, wenn wir Arbeit, Versorgung und Wohlstand sichern wollen und dabei um Lösungen ringen, die letztlich dem Gemeinwohl dienen.

Bei Infrastruk­turprojekt­en werden nicht alle im gleichen Ausmaß betroffen sein. Einige werden verlieren – etwa die, vor deren Haus dann ein Windrad oder ein Strommast steht, oder die, die künftig mehr für das Tanken zahlen müssen. Dass das keine Freude bereitet, ist nachvollzi­ehbar. Wenn aber die eigene Wahrheit mit Recht gleichgese­tzt wird und zur Not mit Gewalt verteidigt wird, verlassen wir den Boden des Rechtsstaa­tes und damit das Herzstück unserer gesellscha­ftlichen Grundordnu­ng.

Ich finde es bedenklich, wenn beispielsw­eise Bürgermeis­ter Protestakt­ionen unterstütz­en, die als selbst gewähltes Motto ausrufen: „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“Die Entscheidu­ng über Recht und Unrecht kann aber nur vom Staat ausgehen, das heißt von Legislativ­e und Jurisdikti­on. Demokratis­cher Widerstand darf nur einen Weg kennen, den innerhalb der Rechtsordn­ung.

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