Ein Münchner Trauerstunde für den Westen
Sicherheitskonferenz. Deutschlands Bundespräsident Steinmeier warnte vor finsteren Zeiten, wenn niemand die Auflösung der internationalen Ordnung stoppe. Österreichs Kanzler Kurz versuchte es mit Optimismus.
Im Baalsaal des Bayerischen Hofs war die Stimmung auch schon einmal besser. Der Auftakt des 56. Münchner Sicherheitskonferenz glich einer Trauerstunde für den Westen. Als Soundtrack der Veranstaltung hätte sich Chopins Trauermarsch angeboten. Ein Redner nach dem anderen beugte sich besorgt über den transatlantischen Patienten. Die Diagnose stellte gleich zu Beginn der Gastgeber und Oberarzt: Der Westen stecke in einer Identitätskrise. Nicht nur die Welt, auch der Westen selbst werde weniger westlich, sagte Wolfgang Ischinger, der Leiter der Sicherheitskonferenz.
In seiner Eröffnungsrede lotete der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Krise bis zum bitteren Grund aus. Er zeichnete ein düsteres Bild der Welt, in der wieder das Recht des Stärkeren gilt und die alte Ordnung im Ringen rivalisierender Großmächte zerbricht.
„Wir werden Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik“, erklärte der Ex-Außenminister und knöpfte sich die drei Weltmächte vor. Russland habe mit der Annexion der Krim die gewaltsame Verschiebung von Grenzen wieder als Mittel der Machtpolitik eingeführt. China akzeptiere das Völkerrecht nur selektiv, es verstöre mit seinem Vorgehen im Südchinesischen Meer die Nachbarn und mit seinem Vorgehen gegen die uigurische Minderheit die ganze Welt. Und die USA? Die derzeitige Regierung erteile der Idee der internationalen Gemeinschaft eine Absage, so Steinmeier.
Ein solcher Rückzug in nationalistisches Denken führe in eine Sackgasse, in finstere Zeiten. Ausgerechnet jetzt, wo im existenziellen Kampf gegen den Klimawandel globale Zusammenarbeit unerlässlich sei, würden die internationalen Institutionen geschwächt. Steinmeier nannte ihn nicht, doch er meinte Donald Trump.
Der deutsche Bundespräsident war bedacht, den Partner jenseits des Atlantiks nicht zu provozieren. Für die USA sei Europa nicht mehr so zentral wie früher, analysierte er. Der Fokus habe sich nach Asien vorschoben, schon vor Trump. Europas Sicherheit gründe jedoch immer noch im Bündnis mit Amerika. Gleichzeitig werde nur ein Europa, das sich auch selbst schützen könne, die USA langfristig in der Nato halten. Da wusste Steinmeier sich auf einer Linie mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, zu dem er wiederholt rhetorische Nähe suchte.
Es war greifbar: Steinmeier wünscht, dass der deutsch-französische Motor wieder auf Touren kommt und Berlin mehr außenpolitische Verantwortung übernimmt, aber immer nur im europäischen Rahmen: „In der Mitte Europas darf kein ängstliches Herz schlagen.“Deutschlands Aufgabe sei es, Europa zusammenzuhalten, erklärte der deutsche Bundespräsident, der für einen realistischen – und keinen moralisierenden - Blick auf die Welt plädierte. Selbstbewusst, aber nicht sendungsbewusst sollten Deutschland und Europa auf der Weltbühne auftreten.
Mehr als 140 Präsidenten, Regierungschefs und Außenminister waren nach München gepilgert – aus Amerika, aus Asien, Afrika und allen Ecken Europas. Die große Welt schrumpfte für ein paar Stunden zusammen auf einen kleinen Saal. das gespaltene Amerika war gleich doppelt vertreten. Durch Kongressabgeordnete der US-Demokraten und Proponenten der Trump-Regierung, die jedoch, angeführt von Außenminister Mike Pompeo erst am Samstag das Mikrofon ergreifen. Am Freitag sprach die Antithese zu Donald Trump, die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi.
Sie rief dazu auf, die Demokratie und das Klima zu schützen. In einem Punkt vertrat sie indes dieselbe Linie wie der USPräsident: China dürfe nicht gestattet werden, über Huawei und die 5G-Technologie sein autokratisches Modell zu verbreiten. Das rief im Auditorium eine Vertreterin der chinesischen KP auf den Plan. Sie fragte, wovor der Westen Angst habe. Die chinesische Regierung habe doch auch Microsoft zugelassen.
Auf dem Podium nahmen später neben dem kanadischen Premier Justin Trudeau und der norwegischen Regierungschefin Erna Solberg auch der österreichische Kanzler Sebastian Kurz Platz. Sie schlugen, moderiert vom Historiker Timothy Garton Ash, optimistischere Töne an. Solberg wies darauf hin, dass der Westen immer noch attraktiv sei, sonst zöge es nicht so viele Migranten nach Europa. Kurz betonte, das westliche Modell müsse auch wirtschaftlich erfolgreich sein, wenn es als Vorbild taugen solle.
Gleichzeitig dürfe der Westen sich nicht selbst schlecht reden und schleunigst wieder Verbindendes vor Trennendes stellen. Gefragt nach Ungarn, meinte Kurz, bei Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Medienfreiheit dürfe es keine Kompromisse geben. In anderen Bereichen, etwa in puncto Migration oder auch beim Klimaschutz, müssten jedoch offene Debatten möglich sein.
Den Beschluss der Schwesterpartei CDU, nicht mit der rechten AfD zu paktieren, unterstützte Kurz übrigens öffentlich. Den Vergleich mit der FPÖ, mit der er selbst koaliert hatte, wollte er nicht gelten lassen.