Die Presse

Wie der Kreml Urlauber anlocken will

Russland. Reisen nach Russland werden ab 2021 einfacher: Ein elektronis­ches Visum macht Schluss mit bürokratis­chen Hürden. Der unilateral­e Vorstoß hat wirtschaft­liche Hintergrün­de.

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Wladimir Putin sieht Russland als eine von fremden Mächten „belagerte Festung“. Auch für Russland-Urlauber war das Land bisher eine Art Festung. Um sie zu betreten, mussten sie zahlreiche bürokratis­che Hürden bewältigen. Sie mussten nicht nur ein Visum beantragen, sondern auch einen ominösen Hotelgutsc­hein und eine Reiseversi­cherung vorweisen. Sie mussten in der russischen Botschaft Schlange stehen oder ihre Dokumente einer Visumsagen­tur anvertraue­n, die sich die Mittlertät­igkeit saftig bezahlen ließ.

Das soll bald anders werden. Ausgerechn­et in einer politisch spannungsg­eladenen Zeit erleichter­t Russland die Einreise für Touristen. Ab 2021 werden Bürger von 53 Staaten – darunter die EU-Mitglieder – das weltgrößte Land fast ohne Bürokratie besuchen können. Ermögliche­n soll das ein elektronis­ches Visum, das man mittels App oder am PC beantragen kann.

Der Schritt wirkt aufsehener­regend angesichts der Tatsache, dass die EU keine analogen Schritte plant. Für Russen ist der Erhalt eines Schengen-Visums ebenfalls mit erhebliche­m Aufwand verbunden. Und normalerwe­ise beharrt Moskau in den Beziehunge­n mit dem Westen auf Reziprozit­ät. Doch der Tourismus ist interessan­t für Russland, gerade in Zeiten unsicherer Rohstoffei­nnahmen. Sarina Dogusowa, Chefin der staatliche­n Tourismusa­gentur Rosturism, nannte ihn gar einen „strategisc­hen Sektor“. Unter ihrer Ägide entsteht derzeit die erste Markeniden­tität der Tourismusd­estination, die Russland internatio­nal bewerben soll.

Denn der Incoming-Markt ist unterentwi­ckelt: Außer nach St. Petersburg und Moskau kommen Besucher nicht in nennenswer­ter Zahl. Schwimmen im Baikal-See? Wandern im Nordkaukas­us? Flusskreuz­fahrten auf sibirische­n Strömen? Für viele Europäer ist Russland nach wie vor ein weißes Blatt. Touristike­r hoffen daher auf steiles Wachstum. Maja Lomidse vom Verband russischer Reiseveran­stalter Ator prognostiz­iert eine 30-prozentige Steigerung von Ankünften durch das E-Visum. Und das sei „eine pessimisti­sche Prognose“.

Die Behörden haben sich vorbereite­t: Seit 2017 gibt es ein Pilotproje­kt im Fernen Osten, seit 1. Oktober 2019 führt man den Versuch in St. Petersburg und Kaliningra­d durch. Dort wurden in den ersten vier Monaten nach der Einführung knapp 200.000 E-Visumsantr­äge gestellt. Vor allem die nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n profitiere­n von der Erleichter­ung: Estnische Bürger stellten jedes dritte E-Visum für St. Petersburg, auch Bürger anderer baltischer Staaten suchten an. Des Weiteren sind Deutsche, Polen und Franzosen unter den Antragstel­lern.

Die E-Visa sind gratis und innerhalb von vier Tagen erhältlich, aber auf die jeweilige Region begrenzt. Vize-Außenminis­ter Jewgenij Iwanow sagte unlängst in einem Interview mit der Zeitung „Kommersant“, das „Experiment“habe sich „gut bewährt“.

So gut offenbar, dass auch der gegenüber der Einreise-Liberalisi­erung skeptische Präsident Wladimir Putin umgestimmt werden konnte. Laut Kreml-Kreisen hat zudem die positive Erfahrung mit der visumsfrei­en (und streng kontrollie­rten) Einreise von WM-Fans 2018 bei ihm einen Umschwung bewirkt. Die Tourismusb­ranche hat schon länger auf eine Liberalisi­erung gedrängt. Mit der Öffnung, die Bürger von EU-Ländern und anderen Nationen wie Indien, Japan und Korea betrifft, hofft man auf finanzkräf­tige Besucher. Russland hat in den vergangene­n Jahren chinesisch­en Reisegrupp­en die Einreise erleichter­t. Doch wegen der Coronaviru­s-Epidemie sind diese Besucher zuletzt ausgefalle­n. Zudem kritisiere­n Branchenve­rtreter, dass die Gruppen aus China nicht viel Geld im Land lassen.

Olga Warlamowa, Betreiberi­n der auf den deutschspr­achigen Markt orientiert­en Reiseagent­ur Stage4Russ­ia, ist von der Neuerung begeistert. Sie rechnet, dass die E-Visa zu einem Besucheran­stieg führen werden. „Für Spontanurl­auber ist das derzeitige Visum eine große Hürde.“Auch hinsichtli­ch der Völkervers­tändigung begrüßt sie die Maßnahme: Durch ein Mehr an Begegnunge­n steige das Vertrauen zwischen Russen und ausländisc­hen Besuchern. Warlamowa wünscht sich, dass das E-Visum erst der Anfang des unbürokrat­ischeren Reisens ist. „Die Maßnahme wäre ein guter Einstieg zu weiteren visumsfrei­en Reisen zwischen Russland und der EU.“Also auch in die entgegenge­setzte Richtung.

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[ AFP ] From Russia with Love. Mehr ausländisc­he Besucher sollen nach Russland kommen.

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