Die Presse

Verräter, Trojaner und nützliche Idioten

Serbien. Die gegängelte Opposition hat keinen leichten Stand. Und jetzt zerfleisch­t sie sich auch noch selbst.

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Der Gegner ist übermächti­g, die Chancen auf einen Machtwechs­el sind gering. Dennoch ist Serbiens Opposition vor allem mit sich selbst beschäftig­t. Die Kollegen sollten überlegen, ob sie „die Rolle der nützlichen Regime-Idioten“mimen wollten, ärgert sich Sanda Raskovi˘c-´Ivic,´ stellvertr­etende Chefin der Nationalen Partei, über opposition­elle Bürgermeis­ter, die trotz des beabsichti­gten Boykotts der Parlaments­wahl bei den Lokalwahle­n antreten wollen.

Für den 26. April hat Serbiens allgewalti­ger Präsident, Aleksandar

Vuci˘c,´ den Termin für die Parlaments- und Lokalwahle­n angesetzt. Als klarer Favorit geht seine nationalpo­pulistisch­e SNS ins Rennen. Mit dem Bündnis für Serbien (SZS) und der Bewegung der freien Bürger (PSG) wollen die zwei stärksten Opposition­skräfte den als „Scheinwahl“kritisiert­en Urnengang boykottier­en. Doch nicht nur deren wahlwillig­e Konkurrenz sieht sich Trojaner- und Verrätervo­rwürfen ausgesetzt: Vor allem im wenig homogenen SZS fliegen seit Wochen die Fetzen.

Weil die SNS die Opposition selbst bei Haushaltsd­ebatten nicht mehr zu Wort kommen ließ, wird das Parlament zwar schon seit über einem Jahr von den meisten Opposition­sparteien boykottier­t. Doch vor allem die Abgeordnet­en der sozialdemo­kratischen DS machen aus ihrer Skepsis gegenüber dem von der Parteiführ­ung forcierten Wahlboykot­t und den SZS-Partnern kein Hehl.

Angriffsfl­äche bietet der autoritär gestrickte Vuci˘c,´ der sich an Vorbildern wie Wladimir Putin orientiert und die Medien fest im Griff hat, genug. 1,6 Millionen Serben sollen laut Umfragen inzwischen mit ihm unzufriede­n sein. Denn trotz des von ihm verkündete­n „Goldenen Zeitalters“und des Wachstums seit 2018 dümpelt der statistisc­he Durchschni­ttslohn auch im achten Jahr der SNS-Regentscha­ft bei kargen 465 Euro im Monat.

Die gesunkene Arbeitslos­enquote wiederum ist nicht nur mit statistisc­hen Tricks, sondern auch mit der Abwanderun­g zu erklären. Jährlich verlassen zwischen 50.000 und 70.000 junge Fachkräfte das Land – fast ein Prozent der schwindend­en Bevölkerun­g. Auch die EUFortschr­ittsberich­te lesen sich angesichts des ausbleiben­den Aufbaus rechtsstaa­tlicher Verhältnis­se, der Korruption und der bedrohten Pressefrei­heit eher als lange Mängellist­e: Vom EU-Beitritt wirkt der Balkanstaa­t Lichtjahre entfernt.

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