Macrons wichtigster Partner schwächelt
Analyse. Deutschlands Kanzlerin Merkel hat zum Ende ihrer Amtszeit mit innerparteilichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Große EU-Projekte des französischen Staatspräsidenten müssen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Mit großem Interesse verfolgt man die schweren innenpolitischen Turbulenzen Deutschlands dieser Tage im Elysee.´ Nach dem Rückzug von CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte die Kanzlerpartei in den nächsten Monaten vor allem mit sich selbst beschäftigt sein – und das zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt: Der Brexit hat das EU-interne Machtgefüge zugunsten von Berlin und Paris verschoben. Ein Vorankommen bei den wesentlichen Zukunftsthemen Klima, Handel oder Migration ist ohne aktives Bestreben beider
Länder undenkbar geworden. Ab Juli hat Deutschland zudem den halbjährigen Ratsvorsitz inne, in dessen Zeitraum der neue Kommissionsvorschlag zum EU-Asylwesen, der Abschluss der Verhandlungen mit London und der finale Budgetstreit über den Finanzrahmen 2021−2027 fällt, so es nicht noch im Frühling eine Einigung gibt. Eine Mammutaufgabe für die große Koalition, die trotz der innerparteilichen Schwierigkeiten beider Regierungspartner noch bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2021 bestehen soll. Kanzlerin Angela Merkel selbst hält sich zum Ende ihrer Amtszeit auf dem Brüsseler Parkett ohnehin auffallend zurück.
Diese Gemengelage lässt in Paris die Einsicht wachsen, dass die Reformideen von Emmanuel Macron mittelfristig kaum Aussicht auf Erfolg haben dürften. „Merkel ist die Verwalterin und Macron der Visionär“, meint ein deutscher Politiker diplomatisch. Dass sie ihn bei seinen Vorhaben bremst, erzeuge aber bestimmt „Frust“.
In vielen Zukunftsfragen haben beide Akteure abweichende Vorstellungen. Zuletzt wurde das in einer Grundsatzrede Macrons an der Pariser E´cole de Guerre deutlich, in der er „mehr eigenständiges Handeln der Europäer“in der Verteidigungspolitik forderte: Der Präsident will eine eigene EU-Eingreiftruppe forcieren.
Medienwirksam hatte er Monate zuvor die Nato für „hirntot“erklärt – sehr zum Ärger von Merkel. Ihre feste Überzeugung: Europa kann sich zurzeit nicht allein verteidigen. „Wir sind auf das transatlantische Bündnis angewiesen.“
Auch die EU-Erweiterung bleibt ein Streitthema zwischen Paris und Berlin. Während Merkel die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit den Westbalkanländern Albanien und Nordmazedonien befürwortet, blockiert Frankreichs Staatschef einen solchen Beschluss und fordert strengere Aufnahmekriterien für neue EU-Mitglieder.
Selbst wenn es um die künftige Ausgestaltung der Eurozone geht, knirscht es im deutsch-französischen Gebälk. Macron drängt auf eine tief greifende Reform mit einem eigenen europäischen Finanzminister und einem getrennten Haushalt für die Eurozone. Merkel aber hält wenig von derlei hochtrabenden Visionen – und lässt Macron das auch spüren. In Frankreich sei die „Enttäuschung über die späte und verhaltene Reaktion auf Macrons Vorschläge bei der Sorbonne-Rede 2017 groß gewesen“, weiß ein CDU-Abgeordneter selbstkritisch zu berichten: „Man hätte von deutscher Seite mehr Signale setzen und das Verbindende stärker in den Vordergrund stellen können.“
Deutsch-französische Projekte auf EU-Ebene, wie jüngst ein gemeinsamer Vorschlag zur Finanztransaktionssteuer, muss man mit der Lupe suchen. Und wenn es sie doch gibt, sind sie wenig ambitioniert – oder schlicht nicht durchführbar. So haben Deutschland, Frankreich und andere EU-Mitglieder im Herbst einen Vorstoß zur europaweiten Umverteilung geretteter Bootsflüchtlinge gestartet. Allen voran die Osteuropäer wollen sich aber an solch einem Plan weiterhin nicht beteiligen.
Und auch Macron hat aus innenpolitischen Gründen zuletzt eine striktere Einwanderungspolitik angekündigt – schließlich sind schon im März Kommunalwahlen zu schlagen.
Merkel selbst sieht keinen Anlass, ihre Politik des Abwartens zum Ende ihrer Kanzlerschaft zu korrigieren. Macron ist nach Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und Francois¸ Hollande bereits der vierte französische Präsident seit Beginn ihrer Amtszeit im Jahr 2005. „Gewiss, wir ringen miteinander. Es gibt Mentalitätsunterschiede zwischen uns“, gab sie vor einiger Zeit in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“zu Protokoll. Doch gelassen ergänzt sie: Das sei schon mit früheren Präsidenten so gewesen. Für Macron hingegen, der so sehr auf eine Erneuerung der Union drängt, heißt es nun, ungeduldig abzuwarten, wer sein neuer Partner auf deutscher Seite wird.
In Merkels Partei müht man sich, trotz aller Differenzen auch der derzeitigen Paarung Positives abzugewinnen: „Die EU braucht beides – Dynamik und den ruhigen Blick auf das große Ganze.“