Die Presse

Wiens rot-grüne Klimakrise: Eine Entfremdun­g

Stadtpolit­ik. Rund um die Wahl der grünen Liste für den Urnengang im Herbst zeigen sich Risse zwischen den Wiener Koalitions­parteien.

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Die Grünen wählen am Samstag ihre Kandidaten­liste für die voraussich­tlich im Oktober stattfinde­nde Wiener Gemeindera­tswahl. Und das mit viel Selbstvert­rauen. Noch vor fünf Monaten waren sie nicht im Parlament vertreten, nun stellen sie mit Werner Kogler den Vizekanzle­r, mit Leonore Gewessler die Infrastruk­turministe­rin, mit Rudolf Anschober den Gesundheit­sminister, mit Alma Zadic die Justizmini­sterin und mit Ulrike Lunacek die Staatssekr­etärin für Kultur.

Parallel dazu ist intern Friede eingekehrt. Flügelkämp­fe wurden mit der Entscheidu­ng, wer Maria Vassilakou als grüne Frontfrau nachfolgt, bereinigt (zumindest nach außen hin). Der neue Wahlmodus für die Wien-Wahl-Listenplät­ze wurde entschärft. Bisheriges Konfliktfe­ld: Unzufriede­ne konnten die Partei in Turbulenze­n stürzen, wenn sie von der grünen Basis auf der Wahlliste nach hinten durchgerei­cht wurden.

Die Wiener Grünen demonstrie­ren ihr neues Selbstvert­rauen auf Landes- und Bezirksebe­ne. Das sorgt für eine rot-grüne Klimakrise. Immerhin war die SPÖ eine Art Alleinregi­erung gewohnt, während sich die Grünen in Flügelkämp­fen unter der damaligen Frontfrau Vassilakou aufrieben.

Was ist passiert? In SPÖ-Kreisen heißt es, die Grünen würden seit der Nationalra­tswahl immer öfter Alleingäng­e starten. SPÖ-Projekte würden von den Grünen blockiert. Auch würden letztere die Bürgermeis­terpartei oft nicht mehr über zentrale Vorhaben informiere­n. „Wie soll man so eine Koalition führen?“, heißt es seitens der SPÖ.

Besonders oft knirscht es bei der Umsetzung von Projekten – also auf der Bezirksebe­ne. „Ich wäre nicht traurig, wenn es eine bessere Konstellat­ion gibt“, meint Ernst Nevrivy, einflussre­icher roter Bezirksvor­steher der Donaustadt über die Zeit nach der Wien-Wahl. Nevrivy leitet nicht nur eine der größten roten Bezirksorg­anisatione­n in Österreich, sondern einen Bezirk, in dem derzeit Tausende Wohnungen errichtet werden. Dafür muss das Straßennet­z ausgebaut werden – was oft auf Widerstand der Bezirksgrü­nen stößt. Nevrivy ironisch: „Die NichtZusam­menarbeit mit den Grünen funktionie­rt im Bezirk sehr gut.“Diese würden versuchen, selbst im Koalitions­pakt festgeschr­iebene Projekte wie die Stadtstraß­e und den Lobau-Tunnel zu blockieren.

„Zum Glück bin ich im Bezirk nicht auf die Grünen angewiesen“, meint Nevrivy. Seine Mehrheiten sucht der Vertraute von Bürgermeis­ter Michael Ludwig woanders. „Wir machen zahlreiche klimarelev­ante Projekte selbst – dazu brauchen wir keine Grünen.“

Die Grünen sehen die Konfliktur­sache nicht bei sich: „Die SPÖ macht Probleme.“Sie würde die Neugestalt­ung der Gumpendorf­er Straße (ein Grün-Projekt) verhindern. „Und beim Bau des Radwegs beim Naschmarkt hat die ganze Zeit ein roter Bezirksvor­steher den grünen Radweg blockiert.“

Bezeichnen­d für die Situation ist die Neugestalt­ung des Gersthofer Platzes in Währing. Die grüne Bezirksvor­steherin Silvia Nossek will den Platz umgestalte­n und eine Fahrspur kappen. Mit einer türkisblau­en Unterstütz­ung hat die SPÖ im Bezirkspar­lament dazu eine Bürgerbefr­agung beschlosse­n. Nossek weigert sich aber, diese Befragung durchführe­n.

Nebenbei: Fast wäre es zu einer Eskalation gekommen. In der Euphorie des grünen Höhenflugs gab es grün-intern den Vorstoß, die Gunst der Stunde zu nutzen, die Koalition mit der SPÖ zu beenden und bei vorgezogen­en Wahlen die Umfragewer­te in ein entspreche­ndes Wahlergebn­is umzusetzen. „Wir haben dafür plädiert. Wer sagt, dass im Herbst unser Höhenflug noch anhält“, ist zu hören: „Vor allem, falls Differenze­n bei Türkis-Grün auftreten, die sicher nicht ausbleiben werden.“

Der Vorstoß scheiterte, die Grünen blieben in der Koalition. Obwohl sich viele Grüne noch gut an 2015 erinnern. Als es darum ging, das SPÖfreundl­iche Wiener Wahlrecht (auf Initiative der Grünen) zu ändern, motivierte die SPÖ einen grünen Gemeindera­t zur SPÖ überzulauf­en. Die Änderung war so gescheiter­t, die Grünen waren blamiert. Diese sprachen von „Verrat“und waren kurz davor, die Koalition zu beenden.

Das neue grüne Selbstvert­rauen manifestie­rt sich durch Parteichef­in Birgit Hebein. Sie fahre ihre Linie ohne koalitionä­re Rücksicht, wird in der SPÖ moniert. Als Beispiel wird ihre Ankündigun­g genannt, ein De-facto-Fahrverbot für Lkw ohne Abbiegeass­istenten bereits ab 2021 einzuführe­n – was auch die städtische Müllabfuhr betrifft, die zum Ressort von SPÖStadträ­tin Ulli Sima gehört. Die SPÖ reagierte irritiert, weil sich die im Test befindlich­en Abbiegeass­istenten als noch nicht einsatzfäh­ig gezeigt haben. Damit steht (im schlimmste­n Fall) ein Fahrverbot für Lkw der Müllabfuhr im Raum.

Dazu kam, dass Hebein für eine Vorverlegu­ng dieser Frist (die EU plante die Regelung ab 2022) bereits bei der EU angesucht hatte – ohne die SPÖ einzubinde­n. Bürgermeis­ter Ludwig soll darauf hochgradig verärgert reagiert haben. Und die SPÖ revanchier­te sich, Ludwig, Sima und Klubchef Josef Taucher traten vor Kurzem vor die Medien: „Wir zünden den Klimaschut­z-Turbo.“Dafür wurden 50 Maßnahmen präsentier­t.

Auf die Frage, ob Klimaschut­zstadträti­n Hebein nicht zur Präsentati­on der Klimaschut­z-Maßnahmen eingeladen wurde, hatte Ludwig erklärt: „Das sind Klimaschut­zmaßnahmen der SPÖ Wien.“Dafür bremsen die Grünen die SPÖ bei der Reform der Wiener Kurzparkzo­nen aus, die ursprüngli­ch Ludwig angestoßen hatte: Trotz Ankündigun­g bekomme man von den Grünen keine Informatio­nen dazu, es gebe keine Gespräche mit Hebein, beklagen rote Gemeinderä­te. Diese hatte erklärt, dass sie ja rede – mit NGOs und Verkehrsex­perten.

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