Um 21.45 Uhr läuten die Glocken
Dresden 1945. Vor 75 Jahren wurde die historische Altstadt Dresdens durch britische Bomber zerstört. Wut, Reue, Leid und Entsetzen bestimmen bis heute die Erinnerung.
Im Februar 1945 gab es kaum noch eine deutsche Stadt, die vom alliierten Bombardierungsprogramm verschont geblieben war. Die nahezu schutzlose deutsche Zivilbevölkerung zahlte einen furchtbaren Preis für den Sturm, den ihre verbrecherische Regierung gesät hatte. Ein Drittel der deutschen Bevölkerung litt unter diesem Luftkrieg, ein Viertel aller Wohnungen wurde zerstört. Zuerst, ab 1942, waren es Städte in Nord- und Westdeutschland, sie waren von der britischen Royal Air Force am leichtesten zu erreichen. Die nächtlichen Flächenbombardements wurden ab 1943 durch Präzisionsangriffe der USA ergänzt (sie waren teilweise alles andere als präzis, wie Wien 1945 zeigte). Bei einem besonders verheerenden Angriff auf Hamburg kamen im Juli 1943 etwa 40.000 Menschen in Feuerstürmen ums Leben. Immer ineffektiver wurde die Abwehr durch die deutsche Luftwaffe.
Dann kamen der 13. und 14. Februar 1945 und jene alliierten Luftangriffe auf die historische, wegen ihrer Schönheit „Elbflorenz“genannte Altstadt Dresdens. Sie wurde binnen weniger Stunden in Schutt und Asche gelegt. 640.000 Einwohner waren Ziel zweier Angriffswellen der Briten mit Brandund Sprengbomben, die in dem trockenen und kalten Winterwetter einen Feuersturm auslösten und die Altstadt zum Inferno machten. Um die Mittagszeit des zweiten Tages folgte ein weiterer schwerer Luftangriff, diesmal von den Amerikanern. Menschen erstickten in ihren Unterständen oder in den Kellern, oder sie verbrannten im Feuersturm auf der Straße. Die Leichen waren oft mumienartig zusammengeschrumpft oder zu Asche verbrannt. Mit dem Leben davonzukommen war reines Glück, manche erreichten das Elbufer oder sprangen in das Wasser eines Beckens im Stadtzentrum.
Das Ereignis wurde wie Hiroshima und Nagasaki zum Symbol für die Obszönität des Totalen Kriegs. Es erhielt in der Erinnerung der Menschen in all der Palette von Tod und Zerstörung im Zweiten Weltkrieg einen besonderen Stellenwert. Gewiss haben andere Städte Deutschlands proportional gesehen mehr gelitten als Dresden, das 25.000 Opfer zu beklagen hatte. Außer dem schrecklichen Feuersturm in Hamburg wurde etwa auch die Stadt Pforzheim nur einige Wochen nach Dresden bombardiert und hatte in wenigen Minuten prozentual noch mehr Verluste zu beklagen.
War der Grund der Aufmerksamkeit also der, dass die Residenz der sächsischen Könige ein künstlerisches „Schmuckkästchen“ohne Beispiel war? Dürfen wir das, um einen besonders schönen Ort mehr trauern, während andere Städte noch barbarischer traktiert wurden? Und war das moralische Dilemma gerade in Bezug auf diese Stadt besonders vertrackt? Sie lag tief in Nazideutschland und hatte sich schon früh und enthusiastisch für die menschenverachtende Politik Hitlers begeistert. Vor einem großen Bombardement hatte die sorglose Bevölkerung wenig Angst: Elbflorenz war doch immer ein Lieblingsort amerikanischer und britischer Besucher gewesen. Anders als in anderen Städten hatte das Regime hier keine Luftschutzbunker bauen lassen, die Flugabwehrkanonen waren abgezogen worden. Nichts und niemand hielt die Bomber ab.
Warum also Dresden? Es gab lang die Lehrmeinung, Stalin hätte bei der Konferenz von Jalta Luftangriffe auf Berlin, Leipzig und Dresden verlangt. Auch der britische Luftwaffengeneral Sir Arthur Harris hat später auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges behauptet, der Plan sei „von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs“gekommen. Doch Dresden stand bereits vor Jalta auf der Liste des britischen Luftfahrtministeriums, das Vorhaben war ein Plan des Westens. Absicht war, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen und damit ihren Widerstandswillen zu brechen. Wir wissen heute, dass der Demoralisierungsplan vor allem im östlichen Teil Deutschlands nicht aufgegangen ist: Hier war die Angst vor den heranrückenden Sowjets größer als die vor dem abscheulichen Regime.
Großmeister der Geschichtswissenschaft haben das Thema gründlich durchgeackert. Der bedeutende Londoner Professor Richard Overy hat mit seinem Werk neue Maßstäbe in der Erforschung des Luftkriegs gesetzt, Frederick Taylor hat das Geschehen in Dresden exemplarisch geschildert. Noch ein Buch, diesmal von einem Journalisten, Sinclair McKay ist sein Name, erscheint entbehrlich, auch wenn es gerade einen Jahrestag gibt. Doch die Leser in England, dem Land, aus dem die Idee des moral bombing stammt, bekommen anscheinend nicht genug von dem Thema. McKays Buch steht derzeit in allen Buchhandlungen Londons und wird diskutiert.
Das Buch bewegt die Menschen in England. Die Diskussion, ob das Bombardement Dresdens, das bewusste Töten von Zivilisten, ein Kriegsverbrechen war, ist hier nie ganz zur Ruhe gekommen. Man sprach in der Londoner Bevölkerung schon 1945 von Terrorbombardements. Das gab Premier Winston Churchill, der Wahlen schlagen musste, zu denken, es kam zum Zerwürfnis mit Harris. In Churchills Geschichte des Zweiten Weltkriegs, immerhin sechs Bände, kam Dresden nicht vor. Eine große Zahl an Literatur spiegelt dieses Unbehagen in der britischen Bevölkerung wider, ein Arthur Harris-Denkmal wurde kurz nach der Enthüllung mit Farbe überschüttet. Dass Dresden bombardiert wurde, Auschwitz aber nicht, macht den Geschichtsbewussten unter den Briten zu schaffen.
McKay gelingt auch tatsächlich eine anschauliche Darstellung. Sie berührt emotional, weil der routinierte Autor zurückgreift auf Zeitzeugenschilderungen aus dem Dresdner Stadtarchiv. Dass auf dem Buchumschlag ausgebombte Danziger Frauen zu sehen sind, ist ein bedauerlicher Fehlgriff des Verlags. McKay erzählt das Geschehen aus der Perspektive von Menschen aus allen Bevölkerungskreisen. Er mischt alles sehr geschickt, Briefe, Tagebücher, Augenzeugenberichte, auch die Vorgeschichte, und vermeidet platte Urteile. Es ist nicht verwunderlich, dass ein britischer Autor das Augenmerk auch auf die jungen Männer in den 976 Lancaster-Bombern richtet, von denen jeder dritte solche Angriffe nicht überlebte und die sich vor Angst beinahe in die Hosen schissen. Er erzählt auch, wie viele Briten sich heute schämen für Sir Arthur Harris, den „Butcher“, und ihn als Kriegsverbrecher bezeichnen. Er selbst nimmt das Wort aber nicht in den Mund, er führt auch die militärstrategischen Ziele, den Kampf gegen Fabriken und Schienen an. „Es war eine Gräueltat“, so der Autor, das Wort „Kriegsverbrechen“mit all seinen rechtlichen Implikationen meidet er.
Wut, Reue, Leid und Entsetzen – sie folgten in den unterschiedlichsten Abstufungen in der Auseinandersetzung bis heute. Das wiederaufgebaute Dresden heute zu besuchen, kann man nicht, ohne das Vergangene in der Gegenwart mitzuerleben. Sich an den 13. Februar 1945 zu erinnern, sollte aber auch das Gedenken an das, was zuvor passiert war, miteinbeziehen, von Guernica bis Coventry. Das fiel nicht immer leicht. Die Hoheit über die Erinnerung wurde zum Schlachtfeld. Extremisten haben die Ereignisse dieser zwei Tage, das massenhafte Sterben in der Vergangenheit für ihre Zwecke ausgeschlachtet. Bis heute wird über die Zahl der Opfer gestritten. Der Vorsitzende der deutschen AfD hat in dieser Woche wieder die Falschmeldung, die vor 75 Jahren von Joseph Goebbels in die Welt gesetzt worden war, aufgewärmt, dass 100.000 Opfer zu beklagen gewesen waren. 2010 war eine Historikerkommission nach jahrelangen Recherchen zum Ergebnis gelangt, dass es 25.000 Opfer waren. Genau diese Zahl haben 1945 auch die nationalsozialistischen Behörden offiziell bekannt gegeben.
Eine weitere Mär, die verbreitet wurde, war die der Tausenden Ost-Flüchtlinge, die in der Stadt zusammengepfercht waren und ums Leben kamen. Tatsächlich war die Stadt Sperrgebiet, ankommende Flüchtlinge mussten sofort weiterziehen. „Nicht nur Tausende Menschenleben wurden in jener Nacht ausgelöscht – auch in der Kultur und Erinnerung zerbrach etwas an jenem Tag“, schreibt Sinclair McKay und er spricht von einem „Shakespeare-artigen Spektrum an grausamen ethischen Fragestellungen.“
Heute läuten um 21.45 Uhr die Glocken in Dresden. Es war dies der Zeitpunkt des ersten Fliegeralarms 1945.