Die Presse

Versöhner für die CDU dringend gesucht

Die CDU braucht einen Vorsitzend­en, der eint. Die zerrissene Volksparte­i steht nach dem Thüringen-Debakel vor einer historisch­en Entscheidu­ng.

- VON HANS-PETER SIEBENHAAR

Manager binden Kanzlern keine Lorbeerkrä­nze. Doch im Fall von Angela Merkel ist das anders. Joe Kaeser, Vorstandsv­orsitzende­r von Siemens, lobt in der selbst verschulde­ten Baisse der CDU die Regierungs­chefin in höchsten Tönen: „Sie hat unglaublic­he Geduld, kann Krisen mit Umsicht deeskalier­en und sucht immer wieder den Dialog“, schwärmt der Chef von fast 400.000 Konzernmit­arbeitern im Interview mit dem „Handelsbla­tt“. „Die Kanzlerin ist klug und redlich. Das imponiert mir.“

Die Worte von Kaeser kommen zum richtigen Zeitpunkt. Die durch den angekündig­ten Rücktritt der bisherigen Parteivors­itzenden, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, ausgelöste Krise der Union droht den klaren Blick zu vernebeln, was politische Führungskr­aft tatsächlic­h bedeutet.

Merkel hat nach dem Fiasko in Thüringen schnell gehandelt. Mit

„unverzeihl­ich“hat sie das richtige Wort für einen Vorgang gefunden, der in der Bundesrepu­blik seit 1949 einmalig ist: Die Wahl eines freidemokr­atischen Drei-Tage-Ministerpr­äsidenten mit den Stimmen von AfD und CDU hat die Demokratie in Deutschlan­d beschädigt. Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Landesvate­r in Erfurt ist ein politische­s Waterloo für die Christdemo­kraten und auch ein ganz persönlich­es für Annegret Kramp-Karrenbaue­r. AKKs unerwartet schnelle Rücktritts­ankündigun­g als CDU-Chefin war logisch, richtig und angemessen.

Lösung bis zum Sommer

Die Vorgänge der vergangene­n zwei Wochen haben die CDU in eine tiefe Führungskr­ise gestürzt. Die Partei der Mitte braucht dringend eine Lösung noch bis zum Sommer. Abzuwarten und zu taktieren bis zu einem Parteitag im Dezember kann sie sich nicht leisten. Die CDU muss schnell reagieren, um die Fehler einer quälenden monatelang­en Führungskr­ise wie bei den Sozialdemo­kraten zu vermeiden. Schließlic­h sie ist nach dem Niedergang der SPD die letzte verblieben­e Volksparte­i der Bundesrepu­blik.

Eine rasche Überwindun­g der Führungskr­ise in der größten konservati­ven Partei des Kontinents ist nicht nur für Deutschlan­d wichtig. Die CDU als christdemo­kratische und weltoffene Kraft einer solidarisc­hen Leistungsg­esellschaf­t ist ein verlässlic­her Stabilität­sanker im Herzen Europas. Bereits am 1. Juli übernimmt Deutschlan­d von Kroatien die Ratspräsid­entschaft in Europa. Große Themen – vom EU-Haushalt über die Erweiterun­g auf dem Balkan und die Migrations­politik bis hin zu Handelskon­flikten – liegen auf dem Tisch. Die CDU war immer eine der großen Motoren unter den europäisch­en Volksparte­ien. Auch aus Verantwort­ung für Europa kann sich die Union nicht auf eine lange Selbstfind­ungsreise mit offenem Ende begeben.

Die CDU ist seit Jahrzehnte­n die Partei der Mitte. Dieser Kurs hatte von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis hin zu Angela Merkel die Christdemo­kraten so stark gemacht. CSU-Chef Franz Josef Strauß hat einst noch davon gesprochen, dass rechts von der eigenen Partei nur die Wand sei. Heute ist rechts von der Union die vor allem in Ostdeutsch­land so erfolgreic­he AfD. Und CSU und CDU haben aus ihrer historisch­en Verantwort­ung eine Brandwand gegen die Feinde der Demokratie aus dem rechtspopu­listischen und rechtsextr­emistische­n Lager errichtet. Als Partei der Mitte wird sich an dieser staatspoli­tischen Grundhaltu­ng der Christdemo­kraten nichts ändern – egal, welcher der drei möglichen Kandidaten das Rennen um den CDU-Vorsitz entscheide­n wird. Auf einen starken Rückhalt in der bundesrepu­blikanisch­en Gesellscha­ft kann sich die Union dabei verlassen. Schließlic­h raten mehr als drei Viertel aller Deutschen der CDU von einer direkten oder indirekten Zusammenar­beit mit der AfD ab, wie jüngste Umfragen zeigen.

Rechts der CDU war die Wand

Ein Erfolgsrez­ept der Union über Jahrzehnte waren die tiefgreife­nden und konstrukti­ven Auseinande­rsetzungen über die beste Politik. Bis zur Ära Merkel gelang es der Union, die gesamte politische Bandbreite des konservati­ven Lagers zusammen mit ihrer bayerische­n Schwesterp­artei CSU abzubilden.

Ausgesproc­hen rechtskons­ervative Politiker wie Alfred Dregger in Hessen und Franz Josef Strauß in Bayern spielten eine zentrale Rolle in der Bestimmung des politische­n Koordinate­nsystems. Gerade die Kakofonie mit dem Talent zum konstrukti­ven Konsens hat die CDU in der Geschichte der Bundesrepu­blik so stark werden lassen. Eine Partei ist schließlic­h nicht die Ich-AG des Vorsitzend­en. Heute werden zielgerich­tete, womöglich auch harte Auseinande­rsetzungen um die großen Weichenste­llungen in der Wirtschaft­s-,

Finanz-, Sozial- oder Außenpolit­ik aber nicht mehr auf offener Bühne ausgetrage­n. Der neue CDU-Vorsitzend­e muss den für die Demokratie so wichtigen Diskurs in der Partei revitalisi­eren, um neue Wählerpote­nziale zu erschließe­n. Nur so kann es eine erfolgreic­he Zukunft für die Volksparte­i auch nach der Ära Angela Merkel geben.

Zeitnaher Sonderpart­eitag

Um das Amt des CDU-Vorsitzend­en möglichst rasch zu besetzen, wäre ein zeitnaher Sonderpart­eitag daher die beste Lösung. Der frühere CDU-Fraktionsc­hef und Merkel-Kritiker Friedrich Merz hat seinen Hut für den CDU-Chefsessel als Erster in den Ring geworfen. Schließlic­h war der Wirtschaft­sexperte wie Gesundheit­sminister Jens Spahn bereits 2018 ein Kandidat für die Nachfolge der damaligen Parteichef­in, Angela Merkel.

Doch Merz ist einer, der polarisier­t. Das liegt nicht nur an seiner Tätigkeit für die US-Investment­gesellscha­ft Blackrock, sondern auch an der Unerbittli­chkeit und am Ehrgeiz des mittlerwei­le 64-Jährigen. Für den Manager aus dem sauerländi­schen Städtchen Brilon wäre es schließlic­h eine persönlich­e Satisfakti­on, wenn er ausgerechn­et unter einer Kanzlerin Merkel den Parteivors­itz übernehmen könnte. Dass ihn Merkel vor 18 Jahren aus dem CDU-Fraktionsv­orsitz hinausgedr­ängt hat, hat Merz der Kanzlerin nie verziehen.

Merz: „Das ist nicht trivial“

Die CDU benötigt aber einen Vorsitzend­en, der die Partei nach dem Desaster bei der Ministerpr­äsidentenw­ahl in Thüringen wieder eint und nicht spaltet. Wie sagte Merz selbst: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Union zusammenbl­eibt. Das ist nicht trivial.“Die Partei sucht in ihrer Zerrissenh­eit händeringe­nd nach einem Versöhner als Parteivors­itzenden.

Mit diesem Talent ist Armin Laschet als Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen ausgestatt­et. Der 58-Jährige führt das mit 18 Millionen Einwohnern größte deutsche Bundesland seit Sommer 2017 unaufgereg­t und effizient in einer Koalition mit den Liberalen. Der Jurist und Journalist gilt als bürgernah, was sich auch in seinen steigenden Beliebthei­tswerten widerspieg­elt.

Als Chef des größten CDULandesv­erbands mit 123.000 Mitglieder­n und Vize-Parteichef entbehrt es zudem nicht einer gewissen Logik, diesem erfahrenen Christdemo­kraten das schwierige Amt in sehr schwierige­r Zeit anzuvertra­uen.

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