Versöhner für die CDU dringend gesucht
Die CDU braucht einen Vorsitzenden, der eint. Die zerrissene Volkspartei steht nach dem Thüringen-Debakel vor einer historischen Entscheidung.
Manager binden Kanzlern keine Lorbeerkränze. Doch im Fall von Angela Merkel ist das anders. Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens, lobt in der selbst verschuldeten Baisse der CDU die Regierungschefin in höchsten Tönen: „Sie hat unglaubliche Geduld, kann Krisen mit Umsicht deeskalieren und sucht immer wieder den Dialog“, schwärmt der Chef von fast 400.000 Konzernmitarbeitern im Interview mit dem „Handelsblatt“. „Die Kanzlerin ist klug und redlich. Das imponiert mir.“
Die Worte von Kaeser kommen zum richtigen Zeitpunkt. Die durch den angekündigten Rücktritt der bisherigen Parteivorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer, ausgelöste Krise der Union droht den klaren Blick zu vernebeln, was politische Führungskraft tatsächlich bedeutet.
Merkel hat nach dem Fiasko in Thüringen schnell gehandelt. Mit
„unverzeihlich“hat sie das richtige Wort für einen Vorgang gefunden, der in der Bundesrepublik seit 1949 einmalig ist: Die Wahl eines freidemokratischen Drei-Tage-Ministerpräsidenten mit den Stimmen von AfD und CDU hat die Demokratie in Deutschland beschädigt. Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Landesvater in Erfurt ist ein politisches Waterloo für die Christdemokraten und auch ein ganz persönliches für Annegret Kramp-Karrenbauer. AKKs unerwartet schnelle Rücktrittsankündigung als CDU-Chefin war logisch, richtig und angemessen.
Lösung bis zum Sommer
Die Vorgänge der vergangenen zwei Wochen haben die CDU in eine tiefe Führungskrise gestürzt. Die Partei der Mitte braucht dringend eine Lösung noch bis zum Sommer. Abzuwarten und zu taktieren bis zu einem Parteitag im Dezember kann sie sich nicht leisten. Die CDU muss schnell reagieren, um die Fehler einer quälenden monatelangen Führungskrise wie bei den Sozialdemokraten zu vermeiden. Schließlich sie ist nach dem Niedergang der SPD die letzte verbliebene Volkspartei der Bundesrepublik.
Eine rasche Überwindung der Führungskrise in der größten konservativen Partei des Kontinents ist nicht nur für Deutschland wichtig. Die CDU als christdemokratische und weltoffene Kraft einer solidarischen Leistungsgesellschaft ist ein verlässlicher Stabilitätsanker im Herzen Europas. Bereits am 1. Juli übernimmt Deutschland von Kroatien die Ratspräsidentschaft in Europa. Große Themen – vom EU-Haushalt über die Erweiterung auf dem Balkan und die Migrationspolitik bis hin zu Handelskonflikten – liegen auf dem Tisch. Die CDU war immer eine der großen Motoren unter den europäischen Volksparteien. Auch aus Verantwortung für Europa kann sich die Union nicht auf eine lange Selbstfindungsreise mit offenem Ende begeben.
Die CDU ist seit Jahrzehnten die Partei der Mitte. Dieser Kurs hatte von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis hin zu Angela Merkel die Christdemokraten so stark gemacht. CSU-Chef Franz Josef Strauß hat einst noch davon gesprochen, dass rechts von der eigenen Partei nur die Wand sei. Heute ist rechts von der Union die vor allem in Ostdeutschland so erfolgreiche AfD. Und CSU und CDU haben aus ihrer historischen Verantwortung eine Brandwand gegen die Feinde der Demokratie aus dem rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Lager errichtet. Als Partei der Mitte wird sich an dieser staatspolitischen Grundhaltung der Christdemokraten nichts ändern – egal, welcher der drei möglichen Kandidaten das Rennen um den CDU-Vorsitz entscheiden wird. Auf einen starken Rückhalt in der bundesrepublikanischen Gesellschaft kann sich die Union dabei verlassen. Schließlich raten mehr als drei Viertel aller Deutschen der CDU von einer direkten oder indirekten Zusammenarbeit mit der AfD ab, wie jüngste Umfragen zeigen.
Rechts der CDU war die Wand
Ein Erfolgsrezept der Union über Jahrzehnte waren die tiefgreifenden und konstruktiven Auseinandersetzungen über die beste Politik. Bis zur Ära Merkel gelang es der Union, die gesamte politische Bandbreite des konservativen Lagers zusammen mit ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU abzubilden.
Ausgesprochen rechtskonservative Politiker wie Alfred Dregger in Hessen und Franz Josef Strauß in Bayern spielten eine zentrale Rolle in der Bestimmung des politischen Koordinatensystems. Gerade die Kakofonie mit dem Talent zum konstruktiven Konsens hat die CDU in der Geschichte der Bundesrepublik so stark werden lassen. Eine Partei ist schließlich nicht die Ich-AG des Vorsitzenden. Heute werden zielgerichtete, womöglich auch harte Auseinandersetzungen um die großen Weichenstellungen in der Wirtschafts-,
Finanz-, Sozial- oder Außenpolitik aber nicht mehr auf offener Bühne ausgetragen. Der neue CDU-Vorsitzende muss den für die Demokratie so wichtigen Diskurs in der Partei revitalisieren, um neue Wählerpotenziale zu erschließen. Nur so kann es eine erfolgreiche Zukunft für die Volkspartei auch nach der Ära Angela Merkel geben.
Zeitnaher Sonderparteitag
Um das Amt des CDU-Vorsitzenden möglichst rasch zu besetzen, wäre ein zeitnaher Sonderparteitag daher die beste Lösung. Der frühere CDU-Fraktionschef und Merkel-Kritiker Friedrich Merz hat seinen Hut für den CDU-Chefsessel als Erster in den Ring geworfen. Schließlich war der Wirtschaftsexperte wie Gesundheitsminister Jens Spahn bereits 2018 ein Kandidat für die Nachfolge der damaligen Parteichefin, Angela Merkel.
Doch Merz ist einer, der polarisiert. Das liegt nicht nur an seiner Tätigkeit für die US-Investmentgesellschaft Blackrock, sondern auch an der Unerbittlichkeit und am Ehrgeiz des mittlerweile 64-Jährigen. Für den Manager aus dem sauerländischen Städtchen Brilon wäre es schließlich eine persönliche Satisfaktion, wenn er ausgerechnet unter einer Kanzlerin Merkel den Parteivorsitz übernehmen könnte. Dass ihn Merkel vor 18 Jahren aus dem CDU-Fraktionsvorsitz hinausgedrängt hat, hat Merz der Kanzlerin nie verziehen.
Merz: „Das ist nicht trivial“
Die CDU benötigt aber einen Vorsitzenden, der die Partei nach dem Desaster bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen wieder eint und nicht spaltet. Wie sagte Merz selbst: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Union zusammenbleibt. Das ist nicht trivial.“Die Partei sucht in ihrer Zerrissenheit händeringend nach einem Versöhner als Parteivorsitzenden.
Mit diesem Talent ist Armin Laschet als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ausgestattet. Der 58-Jährige führt das mit 18 Millionen Einwohnern größte deutsche Bundesland seit Sommer 2017 unaufgeregt und effizient in einer Koalition mit den Liberalen. Der Jurist und Journalist gilt als bürgernah, was sich auch in seinen steigenden Beliebtheitswerten widerspiegelt.
Als Chef des größten CDULandesverbands mit 123.000 Mitgliedern und Vize-Parteichef entbehrt es zudem nicht einer gewissen Logik, diesem erfahrenen Christdemokraten das schwierige Amt in sehr schwieriger Zeit anzuvertrauen.