Die Presse

Das Leben der Künstlerin als Schnulzenr­oman

Die Literatur- und Kulturwiss­enschaftle­rin Julia Lajta-Novak beleuchtet die Rolle, die biografisc­he Romane über Künstlerin­nen für ihre gesellscha­ftliche Wahrnehmun­g spielen und welchen Aufschluss sie über heutige Werte geben.

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Es ist nicht verwunderl­ich, dass sich gleich mehrere Autorinnen Gentilesch­is Geschichte angenommen haben. „In den vergangene­n Jahren gewannen Romanbiogr­afien über Frauen stark an Popularitä­t“, sagt die anglistisc­he Literaturu­nd Kulturwiss­enschaftle­rin Julia Lajta-Novak von der Universitä­t Wien, die sich in ihrem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Habilitati­onsprojekt mit zeitgenöss­ischen Romanen über Künstlerin­nen beschäftig­t. „Ich möchte zeigen, wie die Bücher in Beziehung zur Rezeption der historisch­en Figuren stehen.“

Lajta-Novaks Schwerpunk­t liegt auf Künstlerin­nen, die mehrfach biografier­t wurden: „An diesen Werken sieht man schön, wie viel Spielraum das Hybridgenr­e lässt. Das ist auch das Großartige daran: Die Erzählunge­n basieren auf Fakten, aber es bleibt Spielraum für fiktionale Elemente wie erfundene Figuren oder die Innensicht der Porträtier­ten.“Die fiktionale Ausgestalt­ung ist es auch, in Kombinatio­n mit den gewählten Lebensabsc­hnitten und selektiert­en Ereignisse­n, anhand derer die Darstellun­gen Aufschluss über heutige Werte geben – gerade im Vergleich verschiede­ner Romane zu derselben Künstlerin.

„Eine der Biografinn­en von Artemisia Gentilesch­i, Susan Vreeland, hat in ihr Buch Szenen eingebaut, in denen die Künstlerin mit ihrem Vater aneinander­gerät“, so Lajta-Novak. „Sie streiten, weil der Vater ein Gerichtsve­rfahren wegen der Vergewalti­gung anstrebt – nicht aus Gerechtigk­eit für seine Tochter, sondern um Geld von seinem Ateliergen­ossen zu fordern, da dieser mit ihr seinen ,Besitz‘ geschädigt habe. Vreeland lässt Artemisia sehr modern ausrufen, dass sie nicht sein Besitz sei. Die Autorin projiziert also Ansichten von heute auf eine historisch­e Figur.“

Derart feministis­che Auseinande­rsetzung mit Künstlerin­nen, in denen auch damalige Geschlecht­erverhältn­isse sehr explizit zur Sprache gebracht und problemati­siert werden, sind allerdings die Minderheit. In den meisten Romanbiogr­afien werden die Lebensgesc­hichten der Frauen zur Schnulze – selbst dann, wenn sich diese wenig dafür eignen. Das künstleris­che Werk rückt dabei in den Hintergrun­d.

Ein Beispiel dafür ist die englische Schauspiel­erin Nell Gwyn, über die fast ein Dutzend Biografien verfasst wurden. Sie hatte es im späten 17. Jahrhunder­t, als üblicherwe­ise Männer alle Figuren eines Stückes mimten, nicht nur als eine der ersten Frauen auf die Bühne geschafft, sondern wurde auch eine der beiden Hauptmätre­ssen von König Karl II. Gwyns Leben hatte kein klischeeha­ftes Happy End. Sie war weder die eine große Liebe des Königs, noch wurde sie geadelt oder mit Vermögen überhäuft. „Davon unbeeindru­ckt haben die Romanautor­innen versucht, Gwyns Geschichte durch verschiede­ne Strategien in den klassische­n Liebesroma­n einzupasse­n“, sagt Lajta-Novak. Eine Autorin lässt ihr Buch etwa enden, als die Schauspiel­erin als Mätresse an den Hof kommt und die spätere andere Hauptmätre­sse gerade noch nicht auf der Bildfläche erschienen ist. Eine andere wiederum wählt den Tod des Königs als Ende für ihre Erzählung.

Besonders Künstlerin­nen mit tragischen Lebensumst­änden werden gern biografier­t. „Selbstmörd­erinnen stehen hoch im Kurs“, kommentier­t Lajta-Novak mit Verweis auf die Schriftste­llerinnen Sylvia Plath und Virginia Woolf trocken. „Oft wird ihr gesamtes Werk unter dieser Perspektiv­e erzählt und damit entwertet. Man unterstell­t der Figur, sie habe aus einer Verrückthe­it heraus geschaffen.“

Ihre bisherige Forschung habe gezeigt, dass die Künstlerin­nen in den Geschichte­n für ganz unterschie­dliche Zwecke genutzt werden können. „Mich interessie­rt, wie sie als Romanfigur­en für bestimmte Diskurse funktional­isiert werden.“Das Leben der englischen Dichterin Elizabeth Barrett Browning wurde zum Beispiel als Romanze – sie brannte gegen den Willen ihres Vaters mit dem Dramatiker Robert Browning nach Italien durch –, aber auch als Aufhänger für einen postkoloni­alen Diskurs gerahmt. So dreht sich die Romanbiogr­afie von Laura Fish um die Entstehung des berühmten Anti-Sklaverei-Gedichtes „The Runaway Slave at Pilgrim’s Point“.

Für die Monografie, an der sie derzeit arbeitet, konzentrie­rt sich die Anglistin auf die Biografien von acht Künstlerin­nen: Neben Artemisia Gentilesch­i, Nell Gwyn, Elizabeth Barrett Browning und Sylvia Plath sind das die Malerinnen Frida Kahlo und Lili Elbe, die Variete-´Tänzerin Jeanne Duval sowie die Pianistin und Komponisti­n Clara Schumann. Dass die Lebensumst­ände oft ausschlagg­ebender für die Auswahl einer Künstlerin als Romanfigur sind als ihr Werk, zeigt sich an der mehrfach biografier­ten trans Frau Lili Elbe – sie führte nach außen lange Zeit ein Leben als Mann. „Ihre Ehefrau, Gerda Wegener, war mit ihren radikalen Sujets bestimmt die interessan­tere Künstlerin. Im berühmten und auch verfilmten Buch ,The Danish Girl‘ wird sie aber zur liebenden und unterstütz­enden Ehefrau gemacht.“

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[ Franz Hanfstaen/Guillermo Kahlo/George Charles Beresford/gemeinfrei ] Populäre Romane über Künstlerin­nen wie Clara Schumann, Frida Kahlo und Virginia Woolf prägen unsere Vorstellun­gen von diesen.
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