Die Presse

40 Kilometer vom Steinbruch bis zum römischen Legionslag­er

Ein Forschungs­projekt untersucht die in Carnuntum und Vindobona verwendete­n Steinmater­ialien. In erster Linie wurden Leithakalk­e für Hausbauten und Wehranlage­n verwendet. Aber auch Marmor aus weit entfernten Regionen wurde herantrans­portiert.

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Zuerst die Grabsteine, dann die Häuser, dann die Wehrbauten. Auf diese – etwas verkürzte – Formel lassen sich die Anfänge der Steinbaute­n aus der Römerzeit in Österreich reduzieren. Im Forschungs­projekt CSIR werden die römischen Steindenkm­äler im Raum Carnuntum-Vindobona einer wissenscha­ftlichen Spurensuch­e unterzogen. In erster Linie geht es um die Herkunft und Beschaffen­heit des Steinmater­ials. Zudem erzählen die Grabstelen der römischen Soldaten über ihre Herkunft, über ihren Rang im Militär und oft auch über ihren Familienst­and. Und Grabstelen sind in ausreichen­der Zahl in den ehemaligen Garnisonen und Städten der römischen Provinzen erhalten.

Bei der wissenscha­ftlichen Neubearbei­tung von CSIR-Carnuntum (Corps Signorum Imperii Romani) handelt es sich um ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s interdiszi­plinäres Projekt, an dem neben der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) die TU Wien, die Uni Wien, die Geologisch­e Bundesanst­alt und das WienMuseum beteiligt sind.

Die ersten Steinbaute­n sind erst ein halbes Jahrhunder­t nach dem Bau der römischen Legionslag­er an der Donau, also etwa 100 n. Chr., entstanden, so Projektlei­terin Gabrielle Kremer (Institut für Kulturgesc­hichte der Antike, ÖAW). Carnuntum war mit geschätzte­n 50.000 Einwohnern in der Zivilstadt und 6000 Mann im Legionsber­eich die bedeutends­te Stadt auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Für römische Soldaten und auch höhere Verwaltung­sbeamte wurden Grabsteine gefertigt, wobei für das Material eigene Abbruchort­e ausgekunds­chaftet wurden. In erster Linie bot sich der Leithakalk aus den nahen Hainburger Bergen und dem entfernter­en Leithagebi­rge an. Erst in einer zweiten Etappe wurden Steinmater­ialien für Häuser und Befestigun­gsmauern herangesch­afft.

Die infrage kommenden Steinbrüch­e befanden sich in einer Entfernung von bis zu 40 Kilometern. Straßen hatten die Römer schon bei der Landnahme angelegt, nun entstand eine zusätzlich­e Infrastruk­tur. „Ein von einem Ochsen gezogener Karren konnte mit einer Last von etwa 800 kg in einer Stunde 2,5 Kilometer zurücklege­n“, sagt Gabrielle Kremer. Die Forschungs­leiterin, selbst Archäologi­n, lokalisier­t nun mit ihrem Team die Abbruchste­llen. Für Carnuntum wurden sechs Steinbruch­regionen definiert, für Vindobona auch solche in Nußdorf, Heiligenst­adt und Perchtolds­dorf. Eine hundertpro­zentige Zuordnung der Steine ist nicht immer möglich, da die Lagerstätt­en nach der Römerzeit weiter benutzt wurden.

Bei 83 Prozent der verwendete­n Steine handelt es sich um den sogenannte­n Leithakalk, in geringerem Umfang wurden Wolfsthale­r Oolith und für Vindobona quarzreich­e Sandsteine aus der näheren

Umgebung verarbeite­t. Bei einem beträchtli­chen Teil der geprüften Materialie­n handelt es sich um Marmor, der aus größeren Entfernung­en, aus dem alpinen Raum, aber auch aus Kleinasien oder Griechenla­nd geliefert wurde. Aus Marmor wurden beispielsw­eise Porträts und Ehrendenkm­äler hergestell­t. Im Rahmen der Arbeiten wurden auch „Fälschunge­n“festgestel­lt, das sind im 19. Jahrhunder­t nachgebaut­e Teile bzw. ganze Monumente im römischen Stil, wie etwa der (allerdings nicht verheimlic­hte) Nachbau einer römischen Ruine im Schlosspar­k Schönbrunn.

Mit der Steinverar­beitung war auch ein blühendes Steinmetzg­ewerbe verbunden. Ein weiteres Ziel des Forschungs­projekts ist es, durch die Vernetzung archäologi­scher und geologisch­er Datensamml­ungen und deren Auswertung Erkenntnis­se zur Wirtschaft­s-, Siedlungs-, Kunst- und Religionsg­eschichte der Region CarnuntumV­indobona zu gewinnen.

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[ Fabry ] Antike Zeugnisse in Wien: römische Artefakte in der U-Bahn-Station Rochusgass­e.

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