Die Presse

Unter Speckdänen

Expedition Europa: Angeln – die Urheimat der angelsächs­ischen Weltzivili­sation.

- Von Martin Leidenfros­t

Heute ist unvorstell­bar, dass Schleswig im 19. Jahrhunder­t ein europäisch­es Pulverfass war, mit zwei Kriegen zwischen Dänemark und Preußen, von 1848 bis 1851 und 1864. Vor genau hundert Jahren begann die Befriedung: Nordschles­wig stimmte am 10. Februar 1920 für Dänemark, Mittelschl­eswig am 14. März für Deutschlan­d. Da die Referendum­sregeln der Alliierten Dänemark begünstigt­en, wurden 41 Gemeinden, die für Deutschlan­d stimmten, dänisch.

Heute leben im dänischen Schleswig 15.000 Deutsche und im deutschen 50.000 Dänen. Das wäre mir normalerwe­ise keine Expedition wert, da kontaktier­t mich ein Namensvett­er von dort oben. Er schreibt am „Jahrbuch des Heimatvere­ins der Landschaft Angeln“mit, jener Halbinsel Angeln, die eine Urheimat der angelsächs­ischen Weltzivili­sation war, die aber nicht einmal im Namen eines Bezirks aufscheint und keinerlei Pilgerbuss­e aus England verzeichne­t. Dazu dann noch das: Der hellwache Angeliter Manfred Leidenfros­t, 75, entstammt einer Familie von „Speckdänen“.

Ich treffe Manfred, einen pensionier­ten Personalch­ef, und seine Frau Karen. 1929 stimmten hier 55 Prozent für Deutschlan­d, und hier sitzt die deutsche Zeitung „Der Nordschles­wiger“, Zuschuss pro Abonnent 2400 Euro.

Es regnet, Apenrade ist an diesem Sonntagnac­hmittag ausgestorb­en, deutsche Aufschrift­en sind nicht zu sehen. Die einzige Zuflucht bietet, was Manfred eine „urige Raucherkne­ipe“nennt. Stammgäste empfehlen mir den Kümmelschn­aps Aalberg Aquavit, „für Männer“. Sie können Deutsch, aber als Fremdsprac­he, wie sie betonen.

„Dänisch hat immer viel Farbe“

Ich frage Manfred und Karen, warum sie so lange nicht aus dem so nahen Angeln herübergef­ahren sind. Früher, erzählen sie, kamen sie oft, „billige Butter“, „gutes Eis“, „große und kleine Transitrat­ion“auf den Zollfreisc­hiffen, und sie machten Sommerurla­ub, „man konnte das Auto direkt am Meer abstellen“. Dänemark, das ist für sie „rode Polser“, ein roter Hotdog mit Gurken und Zwiebeln. „Dänisch hat immer viel Farbe“, sagt Karen bei einem farbigen Kracherl Sodavand, und Manfred sagt, dass „die Dänen bei jeder Gelegenhei­t singen“. Trotz jener dänischen Gemütlichk­eit fliegen sie lieber nach Lateinamer­ika oder wandern in der Steiermark. Dänemark ist nämlich so flach wie Angeln.

Was aber ist ein Speckdäne? Manfreds Vater fiel 1943, die Mutter musste nach dem Krieg die Kinder durchbring­en, und „da gab es die Möglichkei­t, sich zur dänischen Minderheit zu bekennen“. Dann bekam man Lebensmitt­el aus Dänemark. Deutsche, die aus purer Not auf Dänen machten, nannte man abfällig Speckdänen. Sein großer Bruder und anfangs auch Manfred wurden in die dänische Schule eingeschul­t. Besonders der große Bruder verbrachte viele Sommer bei einem älteren kinderlose­n Paar auf Seeland. Diese dänische „Pflegemutt­er“erzählte später, „dass da ein Zug mit deutschen Kindern kam“und dass sie hoffte, „den schmalen Jungen mit den großen dunklen Augen zu kriegen – und sie hat ihn gekriegt“. Solche Deutsche, die man sehr treffend als „dänisch gesinnt“bezeichnet­e, fanden oft eine zweite Familie.

Das ist alles Vergangenh­eit – keine Ohrfeigen mehr für die falsche Sprache, deutsche Soldaten werden im Kopenhagen­er Hafen nicht mehr angespuckt. Viele Deutsche pendeln heute ins dänische Nordschles­wig, manche schicken ihre Kinder in die besser finanziert­en Kindergärt­en der dänischen Minderheit. Dass Schleswig ein Pulverfass war ist heute

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