Der Vorwurf: Sabotage der k. u. k. Armee
Otto Hans Resslers Novelle über die Geisteshaltung der Justiz in der Donaumonarchie.
Von einem klaren Verleumdungsfall ausgehend, beleuchtet Otto Hans Ressler anhand eines Gerichtsverfahrens die verhängnisvolle Beeinflussung der Strafjustiz durch zeitgeistige antisemitische Strömungen im Österreich der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Diese (gesellschafts-) politische Seite der Novelle stellt Oliver Rathkolb in seinem Vorwort in den Vordergrund: massiver Antisemitismus in zwei politischen Lagern, jenem Georg von Schönerers und Karl Luegers.
Ein jüdischer Unternehmer wehrt sich erfolgreich gegen die Verleumdung, wonach ihm von einem deutschnationalen Reichsratsabgeordneten vorgeworfen worden war, funktionsuntüchtige Gewehre an die Armee geliefert zu haben. Der Unternehmer erwirkt im Verfahren gegen den angeklagten Politiker dessen Verurteilung. Durch die wörtliche Wiedergabe der Aussagen des Angeklagten, seines Verteidigers und des Staatsanwaltes wird deren Geisteshaltung drastisch vorgeführt. Anders als in Schnitzlers Drama „Professor Bernhardi“(Uraufführung 1912 nicht in Wien, sondern in Berlin), der einen ähnlich gelagerten Prozess nur referieren lässt und dadurch dieses gravierende Problem viel dezenter, aber um nichts nachhaltiger aktualisiert.
Der Verfasser unterlegt den Protagonisten des Buches ein Narrativ der aktiven Politiker der heutigen Zeit. Der Hintergrund war der immer stärkere Einfluss des Antisemitismus auf die etablierten Parteien und damit auf die Innenpolitik des damaligen Österreich-Ungarn. Trotz einer massiven tendenziösen Berichterstattung über dieses Verfahren – heute nennt man das Litigation-PR – verkündet das Gericht souverän den Schuldspruch, allerdings überwiegt die nachhaltige, negative Berichterstattung über das Verfahren gegenüber dem Prozessausgang in der Öffentlichkeit.
Die Charaktere der Beteiligten
Neben diesem Hauptanliegen des Verfassers interessieren die Charaktere der Akteure aus dem Justizmilieu: den emeritierten Anwalt vor allem die Persönlichkeit des Anwalts des Anzeigers, der als Ich-Erzähler auftritt, und das doch einigermaßen gespaltene Verhältnis des Rechtsanwaltes („Advokat“hat in Österreich eine eher abschätzige Bedeutung) zur Strafverteidigung, das der Autor recht gut zum Ausdruck bringt.
Der Verfasser transferiert den authentischen Fall und das folgende Gerichtsverfahren von Berlin nach Wien, allerdings sind einige deutsche Verfahrensrelikte erhalten geblieben, wie zum Bespiel „Landesgerichtsdirektor“, „Justizrat“und der deutsche „Oberstaatsanwalt“(bei uns ein Gruppenleiter der Staatsanwaltschaft). Auch dessen Antrag im Plädoyer auf ein konkretes Strafmaß gibt es nur im deutschen Strafverfahren.
Den konkreten Inhalt der Novelle möchte ich nicht weiter kommentieren, weil sie zum Teil an einen Kriminalroman erinnert und die Spannung den Lesern nicht genommen werden soll. Nur so viel: Die zwei Gegenspieler, Anzeiger und Angeklagter, sind am Ende tot. Der Ich-Erzähler überlebt. Überlebt auch die Strafjustiz? Vom positiven Bild des Vorsitzenden des Schöffensenats aus gesehen: ja! Und in ihrer integren, von der Politik unbeeinflussbaren Erscheinungsform.
Von meiner Warte aus gesehen in Hinblick auf die letzte Entwicklung in Österreich bezweifle ich das, obwohl ich es erhoffe.