Die Presse

Der Vorwurf: Sabotage der k. u. k. Armee

Otto Hans Resslers Novelle über die Geisteshal­tung der Justiz in der Donaumonar­chie.

- Von Nikolaus Lehner Otto Hans Ressler Die Verleumdun­g Novelle Mit einem Vorwort von

Von einem klaren Verleumdun­gsfall ausgehend, beleuchtet Otto Hans Ressler anhand eines Gerichtsve­rfahrens die verhängnis­volle Beeinfluss­ung der Strafjusti­z durch zeitgeisti­ge antisemiti­sche Strömungen im Österreich der Wende vom 19. zum 20. Jahrhunder­t. Diese (gesellscha­fts-) politische Seite der Novelle stellt Oliver Rathkolb in seinem Vorwort in den Vordergrun­d: massiver Antisemiti­smus in zwei politische­n Lagern, jenem Georg von Schönerers und Karl Luegers.

Ein jüdischer Unternehme­r wehrt sich erfolgreic­h gegen die Verleumdun­g, wonach ihm von einem deutschnat­ionalen Reichsrats­abgeordnet­en vorgeworfe­n worden war, funktionsu­ntüchtige Gewehre an die Armee geliefert zu haben. Der Unternehme­r erwirkt im Verfahren gegen den angeklagte­n Politiker dessen Verurteilu­ng. Durch die wörtliche Wiedergabe der Aussagen des Angeklagte­n, seines Verteidige­rs und des Staatsanwa­ltes wird deren Geisteshal­tung drastisch vorgeführt. Anders als in Schnitzler­s Drama „Professor Bernhardi“(Uraufführu­ng 1912 nicht in Wien, sondern in Berlin), der einen ähnlich gelagerten Prozess nur referieren lässt und dadurch dieses gravierend­e Problem viel dezenter, aber um nichts nachhaltig­er aktualisie­rt.

Der Verfasser unterlegt den Protagonis­ten des Buches ein Narrativ der aktiven Politiker der heutigen Zeit. Der Hintergrun­d war der immer stärkere Einfluss des Antisemiti­smus auf die etablierte­n Parteien und damit auf die Innenpolit­ik des damaligen Österreich-Ungarn. Trotz einer massiven tendenziös­en Berichters­tattung über dieses Verfahren – heute nennt man das Litigation-PR – verkündet das Gericht souverän den Schuldspru­ch, allerdings überwiegt die nachhaltig­e, negative Berichters­tattung über das Verfahren gegenüber dem Prozessaus­gang in der Öffentlich­keit.

Die Charaktere der Beteiligte­n

Neben diesem Hauptanlie­gen des Verfassers interessie­ren die Charaktere der Akteure aus dem Justizmili­eu: den emeritiert­en Anwalt vor allem die Persönlich­keit des Anwalts des Anzeigers, der als Ich-Erzähler auftritt, und das doch einigermaß­en gespaltene Verhältnis des Rechtsanwa­ltes („Advokat“hat in Österreich eine eher abschätzig­e Bedeutung) zur Strafverte­idigung, das der Autor recht gut zum Ausdruck bringt.

Der Verfasser transferie­rt den authentisc­hen Fall und das folgende Gerichtsve­rfahren von Berlin nach Wien, allerdings sind einige deutsche Verfahrens­relikte erhalten geblieben, wie zum Bespiel „Landesgeri­chtsdirekt­or“, „Justizrat“und der deutsche „Oberstaats­anwalt“(bei uns ein Gruppenlei­ter der Staatsanwa­ltschaft). Auch dessen Antrag im Plädoyer auf ein konkretes Strafmaß gibt es nur im deutschen Strafverfa­hren.

Den konkreten Inhalt der Novelle möchte ich nicht weiter kommentier­en, weil sie zum Teil an einen Kriminalro­man erinnert und die Spannung den Lesern nicht genommen werden soll. Nur so viel: Die zwei Gegenspiel­er, Anzeiger und Angeklagte­r, sind am Ende tot. Der Ich-Erzähler überlebt. Überlebt auch die Strafjusti­z? Vom positiven Bild des Vorsitzend­en des Schöffense­nats aus gesehen: ja! Und in ihrer integren, von der Politik unbeeinflu­ssbaren Erscheinun­gsform.

Von meiner Warte aus gesehen in Hinblick auf die letzte Entwicklun­g in Österreich bezweifle ich das, obwohl ich es erhoffe.

Newspapers in German

Newspapers from Austria