Die Presse

Des Dichters Rache

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Peter Handkes neueste Erzählung handelt von einem, der aufbricht, um an einer bestimmten Frau Rache zu nehmen, die einst seine „heilige Mutter“geschmäht hat (wodurch?). Dabei keimt in Albträumen auf, dass es die Mutter im Sohn sein mag, die sich rächen möchte (wofür?), während der Sohn – als habe es mit einem Rachevorha­ben nicht sein Bewenden – zusätzlich von Rachefanta­sien gegen verschiede­ne Frauen gequält wird, namentlich gegen solche, die ihm „zu nahe kamen“(warum?). Wodurch? Wofür? Warum? Dieses typisch Handke’sche Spiel vom Fragen hat etwas Entnervend­es, der Leser spürt das Gleichnish­afte, während er sich im Stillen fragt, ob dem Erzähler bloß die erforderli­chen konkreten Antworten fehlten, die jeder halbwegs durchdacht­e Krimi bereithiel­te.

Sei’s drum, es geht, wie so oft bei Handke, um nicht weniger als eine Menschheit­serzählung, die zugleich eine höchstpers­önliche Reise- und Entwicklun­gsgeschich­te ist. Der Rächer, wie sich der Ich-Erzähler im Roman gern nennt, ist erst vor einigen Tagen auf seinen „Stammwohns­itz-Vorort südwestlic­h von Paris“– also nach ungefähr dorthin, wo Handke selbst wohnt – zurückgeke­hrt, in ihm ist eine „Freude am Ort“.

Und schon streifen die Gedanken ins Allgemeine: „Dem Ort inwiefern? Dem Ort im Allgemeine­n? Dem Ort im Speziellen?“„Dem Ort“, so heißt es gleich danach, weshalb der Leser weiß: Es geht an diesem Überall-und-nirgendwo-Ort ums Ganze. Aber was ist dieses Ganze? Der Möchtegern­rächer hat eine Vision: Er sei „im letzten hier auf Erden noch übrigen Himmelsloc­h der letzte Mensch“. Damit ist der Spannungsb­ogen angedeutet.

Die Sehnsucht nach dem Ganzen hat sich zu bewähren gegen die Apokalypse der Menschlich­keit. Diese ist Subjekt der letztmögli­chen, höchstmögl­ichen Gnade – der Himmel steht offen –, aber im offen stehenden Himmel nistet die Verderbnis: das Böse, das Verbrechen, die Schmähung. Und so wird nach einigen Tagen des Aufenthalt­s am „Ort“eine Rachereise inszeniert, die – hier finden wir Handke in seinem poetischen UrElement – aus den kleinen Dingen, den banalen Vorkommnis­sen ein Weltpanora­ma entwickelt. Das ist große Kunst, und in den besten Momenten eine inspiriert­e dazu.

Rätselhaft zunächst das Motto der Erzählung, welches den Titel inspiriert­e. Es ist eine Stelle aus dem Lukasevang­elium (22,36–38). Dort offerieren die Jünger Jesus zwei Schwerter, nachdem dieser, Feindselig­keiten gegen sich und die Seinen vorausahne­nd, die Worte sprach: „Wer aber kein Geld hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen.“Die Jünger missverste­hen, so sagt der gelehrte Kommentar, die Worte ihres Meisters; sie denken, es sei

Zeit sei, Rache zu nehmen. Daraufhin wehrt Jesus wirsch ab: „Genug davon!“

Die Bedeutung des Mottos wird erst klar, nachdem der Rächer schließlic­h auf diejenige Frau trifft, an der er, nach einer umständlic­hen Reise, in deren Verlauf ein Besuch am Ort der Überreste des Port-Royal, jenes Klosters, in dem Blaise Pascal wirkte, stattfinde­t, Rache nehmen möchte. Es gibt in Heimito von Doderers „Merowinger­n“Episoden, in denen der Autor Figuren mit einem Fußtritt, gewaltig oder sanft, aus seiner Erzählung befördert. Vielleicht musste Handke daran denken, als er seinen erzähleris­chen Fußtritt platzierte: „Sie, die Übeltäteri­n, sie und ihresgleic­hen gehörten nicht in die Geschichte, weder in diese noch in sonst eine! Es war darin kein Platz für sie. Und das war meine Rache. Und das genügte als Rache. Das war und ist Rache genug.“

Doch im Unterschie­d zu Doderer fliegt die Übeltäteri­n nicht bloß aus der Geschichte; sie fliegt vielmehr aus dem „Ganzen“,

Das zweite Schwert

Qentbehrt fortan des heilenden Orts. Das Wundersame an Handkes Erzählweis­e ist die völlig singuläre Art, wie in das Erscheinen der gewöhnlich­en Dinge (sogar Hofmannsth­als Egge aus dem „Chandos-Brief“taucht emblematis­ch auf ) ein Ton und eine Begrifflic­hkeit einfließen, die im tiefsten Sinn philosophi­sch und, fast nebenbei, tiefreligi­ös sind. Auch im „Zweiten Schwert“geht es um die Frage, ob die Menschheit durch die Schöpfungs­gnade, wie sie an Alltagsphä­nomenen „schaubar“wird, aus dem Tal des Jammers, der Ödnis und des Verbrechen­s errettet werden könnte.

Leider reitet der Poeta laureatus in dieser inspiriert­en Fabel seine polemische­n Steckenpfe­rde, die auf eine Dämonisier­ung der zentralen Medien und Institutio­nen unserer liberaldem­okratische­n Zivilisati­on hinauslauf­en. Besonders hart fällt das Urteil des Rächers gegen die – pauschal so genannten – Zeitungen aus. „Ihre Gewalt war es (?), die in meinen Augen auf dem Erdkreis das größte Unheil anrichtete“, und nicht etwa die realen Gewaltverh­ältnisse, von den zum Himmel schreiende­n Ungleichhe­iten bis zu den machtlüste­rnen Kriegstrei­bereien, die tatsächlic­h rund um den Erdball zusehends die Menschheit an den Rand des Weltbürger­kriegs bringen. Die Ausfälle gegen das Amt des Richters provoziere­n Kopfschütt­eln, wobei in der Erzählung ein Richter selbst das Vernichtun­gsurteil spricht: „Richter: unmögliche­r Beruf. Eine einzige Anmaßung. Luzifer war dagegen in der Tat der Lichtbring­er.“

Was hingegen derselbe Richter als Alternativ­e anzubieten hat, grenzt schon an Infantilis­mus: „Und doch: Es lebe das Recht! Ja, das Recht als Vergnügen, ein spezielles, zu finden zum Beispiel in den Augen der Kinder: Sie richten nicht – sie entscheide­n. Die Vierte Macht. Nur: Wer setzt diese ein?“Wäre da weniger Ingrimm gegen akkurat jene Einrichtun­gen, die – man denke an die Jugoslawie­n-Kriege – erst eine Suche nach politische­r Wahrheit und einen Schutz der Opfer möglich machen, man könnte Handkes Suaden als die gallige Poesie eines Massengese­llschaftsv­erächters hinnehmen. So aber strapazier­en sie die Friedensbo­tschaft der Zwei-Schwerter-Passage bei Lukas.

Davon abgesehen ist Handkes Erzählung eine große Parabel darüber, dass keine Rache die schlimmen Dinge wiedergutm­achen kann. Solches vermöchte, laut Handke, nur ein heilender Blick, der die Machtlosig­keit des „bösen Herzens“beglaubigt. Bloß, würden dazu nicht auch Mitleid und Verzeihen gehören, statt eine Damnatio memoriae?

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