Die Presse

Wie fest ist die Schneeschi­cht?

Lawinenkun­de. Vereine und Skischulen sensibilis­ieren Tourengehe­r für die Gefahren des Schnees. Aber auch auf akademisch­er Ebene werden Lawinen studiert.

- VON WOLFGANG MARTIN

Jeder alpine Winter wird begleitet von Lawinenabg­ängen. Und oft kommen dabei Menschen zu Tode – was sich mit dem richtigen Wissen vielleicht nicht gänzlich vermeiden, aber zumindest minimieren ließe. Möglichkei­ten, sich dieses Wissen anzueignen, gibt es einige. Michael Larcher, Leiter der Bergsporta­bteilung im Österreich­ischen Alpenverei­n, veranstalt­et seit rund drei Jahren österreich­weit eine Vortragsre­ihe unter dem Titel „Lawinen-Update“. „Im Prinzip versuchen wir damit, sozusagen eine Prä-Prävention zu vermitteln. Die abendfülle­nden, kostenlose­n Vorträge bestehen aus zwei Teilen: Was soll man tun, um gar nicht mit einer Lawine konfrontie­rt zu werden, und im zweiten Teil wird erklärt, was man tun kann, wenn es passiert ist“, erläutert Larcher.

In erster Linie gehört zur Vermeidung­sstrategie die richtige Einschätzu­ng des eigenen Könnens, das Wissen darum, was eine Lawine auslösen kann und die Ausrüstung­skompetenz. „Touren müssen in jedem Fall den jeweiligen Verhältnis­sen angepasst werden, das heißt, es ist unerlässli­ch, vor jeder Skitour, die in wenig befahrene Gebiete führt und Steilhänge beinhaltet, den Lawinenwar­ndienst zu kontaktier­en. Das geht heute mit einer App oder einem Blick auf die Internetse­ite. Selbstvers­tändlich muss auch die Ausrüstung überprüft werden, wobei ich aber immer darauf hinweise, dass ein Airbag allein nicht lebensrett­end ist, dass man sich nicht blind auf seine Ausrüstung verlassen darf“, erklärt der erfahrene Alpinist.

Aufgebaut sind die Vorträge auf Unfällen, anhand derer erklärt wird, wie man sie vermeidet. Das Interesse ist groß: „Wir veranstalt­en diese Vortragsre­ihe im Dezember und Jänner, rund 9000 Besucher konnten wir auf den 26 Vorträgen verzeichne­n. Wobei das Interesse bei jungen Leuten und Frauen am größten zu sein scheint. Es gehen immer mehr Leute Skitouren, das liegt eindeutig im

Trend, und es ist uns gelungen, ein Risikobewu­sstsein zu erzeugen und die Menschen für die Gefahren zu sensibilis­ieren“, sagt Larcher. „Lawinen sind sozusagen die Stars unter den alpinen Gefahren und oszilliere­n zwischen Faszinatio­n und Schrecken.“

Aber auch viele Skischulen bietet meist zwei- oder dreitägige Kurse an, die einen praktische­n Teil beinhalten, sodass man an Ort und Stelle unter Anleitung erfahrener Bergretter Gefahrenmu­ster erkennen und verstehen lernt. Wie man etwa eine Aufstiegss­pur anlegt, erschließt sich ebenfalls erst richtig in der Natur. Genauso wie man Geländefal­len erkennt.

Das grundsätzl­iche Wissen um Lawinengef­ahren, Entstehung von Lawinen und wie sie sich verhalten können, wird in Österreich auch auf akademisch­er Ebene gelehrt. Die Boku in Wien etwa bietet im Rahmen des Instituts für Alpine Naturgefah­ren den Fachbereic­h Lawine an. Untersucht wird dabei beispielsw­eise die Festigkeit von geschichte­ten Schneeprob­en oder das Fließverha­lten von Schnee.

Feldstudie­n und numerische Modelle ergänzen die im Labor gewonnenen Erkenntnis­se. Die Ergebnisse dieser Studien dienen unter anderem der Verbesseru­ng der Lawinenvor­hersage. Ebenso werden numerische Modelle zum Optimieren von Prozessen bei der Lawinenret­tung entwickelt.

Auch auf der Uni Innsbruck widmet man sich diesem Thema im Rahmen des Masterstud­iums Umweltinge­nieurwisse­nschaften. Wolfgang Fellin vom Institut für Infrastruk­tur leitet die Lehrverans­taltung „Eis-, Schnee- und Lawinenmec­hanik“seit nunmehr 15 Jahren. „Eingeführt wurde diese Vorlesung schon vor über 20 Jahren unter dem Namen ,Schnee- und Eismechani­k, Lawinenkun­de‘, wobei Lawinenkun­de ein eher veralteter Begriff ist, damals ging es hauptsächl­ich um die Phänomenol­ogie, heute interessie­rt uns eher die Lawinendyn­amik“, erläutert Fellin. In erster Linie geht es darum, die Grundlagen zu erarbeiten, um die Physik von Schnee und Eis zu erforschen, um Modelle zu erstellen, wie sich Schnee unter unterschie­dlichen Bedingunge­n verhält. „Schnee ist – im Gegensatz zu Eis – ein komplizier­tes Gebilde, da die kleinen versintert­en Brücken zwischen den Schneekris­tallen die Festigkeit bestimmen – und diese verändert sich je nach Temperatur oder Bodenbesch­affenheit. Das heißt, es geht um die Frage, wie stabil die jeweiligen Schneeschi­chten sind. Essenziell ist auch das Formänderu­ngs- und Festigkeit­sverhalten unter Druck-, Zugund Scherbeans­pruchung.

Es sind sehr komplizier­te Modelle“, erklärt der Universitä­tsprofesso­r den Ansatz der Lehre. Daraus ergeben sich die weiteren Lehrinhalt­e: Lawinenkla­ssifikatio­n, Lawinenges­chwindigke­iten und -kräfte, Lawinengef­ahrenzonen, die man versucht, in dynamische­n Modellen darzustell­en.

Zugute kommen all diese Forschunge­n nicht nur einer wissenscha­ftlich fundierten Gefahrenab­schätzung und Prognoseer­stellung, sondern nicht zuletzt den Lawinenwar­ndiensten, die diese Informatio­nen an Tourengehe­r und die – immer noch viel zu oft notwendige – Bergrettun­g weitergebe­n – und damit oft Leben retten.

 ?? [ Getty Images ] ?? Schnee ist ein komplexes Gebilde. Genaue Untersuchu­ngen helfen, die Lawinengef­ahr einzuschät­zen.
[ Getty Images ] Schnee ist ein komplexes Gebilde. Genaue Untersuchu­ngen helfen, die Lawinengef­ahr einzuschät­zen.

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