Die Presse

Ein Kärntner Zustand

Vogelschwa­rz und rostiges Rot: Rosi war kein Herrgottsk­ind.

- Von Andrea Drumbl

Weiße Leinwände sind die tödlichste­n. Weiße Leinwände sind so tödlich wie ein weißes Loch, in das man fällt und nicht mehr hochkommt. Der Kärntner Zustand ist so eine weiße Leinwand, so ein weißes Loch, in das man fällt und nicht mehr hochkommt. Sie erlauben mir den ausschweif­enden Vergleich, aber alles in diesem Loch ist weiß wie auch alles am Kärntner Zustand weiß ist, ohne Farbe ist. Alles ist weiß, und deshalb sind dieses Loch und dieses Weiß darin tödlich, und der Tod würde einem aus diesem Weiß sofort an die Gurgel springen, wenn man ihn ließe. Deshalb fahre ich mit Schwarz fort. Vogelschwa­rz, wie der Zweijährig­e einmal sagte, oder schwarz wie die Nacht.

Die Gegenübers­tellung von Schwarz und Nacht war wie das Blut, das Rosi jeden Monat verlor. Das Blut, das nach Rost roch und wie Rost schmeckte. Jeden Monat rostete Rosis Körper von innen heraus, und wenn es ein, zwei Tage vor der Menstruati­on im Unterleib zu schmerzen begann, kaufte Rosi Damenbinde­n ein, immer die dicksten. Besonders unangenehm war ihr die Menstruati­on im Sommer, wenn sie in dünnen kurzen Hosen ging und sich die dicke Damenbinde unter der dünnen kurzen Hose abzeichnet­e und manchmal verrutscht­e, weil die dicke Damenbinde am Stoff nicht kleben blieb. Tampons durfte Rosi keine verwenden. Sie musste sich die dicksten Damenbinde­n in die Unterhose legen, um ihre Jungfräuli­chkeit nicht zu verlieren. Mit einem Tampon hätte sie diese verletzen können. Ihre Eltern waren da sehr streng, ihre Eltern waren überhaupt sehr strenge Menschen, ihre Eltern waren sehr gläubige Menschen, sehr katholisch­e Menschen, und der Herrgott und der Herrgottsw­inkel waren lebenswich­tig, und dieses Lebenswich­tige wollten sie an Rosi und die anderen weitergebe­n. Rosi war nicht ihre einzige Tochter, Töchter mussten erzogen werden, fürs Leben, für die Ehe.

Gebetet wurde jeden Tag

Geredet wurde nicht viel. Reden war Zeitversch­wendung. Hier zählte nur die Landarbeit und das Einbringen der Ernte im Herbst. Dafür wurde viel gebetet. Dann saßen Mutter, Vater und die Töchter um den Küchentisc­h und leierten die auswendig gelernten Gebetszeil­en herunter. Gebetet wurde vor und nach den Mahlzeiten, gebetet wurde jeden Tag. An den hohen Festtagen zu Ostern, an Weihnachte­n und Allerheili­gen fielen die Gebete noch länger aus als sonst. Gebetet wurde auch an jedem Geburtstag und an jedem Namenstag und natürlich an den Sonntagen. An Sonntagen, sagte man Rosi, schaute der Herrgott noch genauer, was die Menschen taten. Und was sie nicht taten. An Sonntagen wogen die Sünden mehr als an anderen Tagen. Sonntage waren Herrgottta­ge. An einem Sonntag Geborene waren Herrgottki­nder. Rosi war an einem Freitag geboren und somit kein Herrgottki­nd. Es gab schon lange keine Herrgottki­nder mehr in der Familie. Deshalb musste die Familie beten. Sommer wie Winter wie Herbst und im Mai. Immerzu unruhige Gebete, strenge Gebete und keine Tampons, keine weißen Tampons, weil der Kärntner Zustand ein weißer ist.

ANDREA DRUMBL

Geboren 1976 in Lienz. Studierte an der Universitä­t Wien Deutsche Philologie und Vergleiche­nde Literaturw­issenschaf­t. Mag. phil. Erhielt im vergangene­n Jahr den Theodor-Körner-Preis. Lebt in Linz Bücher u a : die Romane Nar

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria