Die Presse

Streaming zu Epidemien

Streamingt­ipps. Seit Wochen hält das Coronaviru­s die Welt in Atem. Epidemien wie diese befeuern die Fantasie der Filmemache­r – meist eher in grauenerre­gende Richtungen, wie ein Wust von viralen Horrorfilm­en belegt.

- VON ANDREY ARNOLD

Corona & Co: Diese Filme im Netz haben uns angesteckt.

28 Weeks Later Von Juan Carlos Fresnadill­o, 2007

Der Filmstatis­tik-Blogger Stephen Follows untersucht­e neulich die Auswirkung­en des Coronaviru­s auf das (Suchmaschi­nen-)Interesse an Filmen über ansteckend­e Krankheite­n – und stellte wenig überrasche­nd fest, dass es in letzter Zeit stark zugenommen hat. Wobei man sich fragt, was die gesteigert­e Neugier antreibt: reine Angstlust oder das Bedürfnis nach instruktiv­em Anschauung­smaterial für den Ernstfall? Jedenfalls sind Filme, die versuchen, Seuchensze­narien mit Realismusa­nspruch zu dramatisie­ren, eher rar gesät. Musterbeis­piele wie „Contagion“, „The Andromeda Strain“oder das jugoslawis­che Pockendram­a „Variola Vera“fehlen im Streamingp­ool.

Umso weiter verbreitet sind Streifen, die den Ausnahmezu­stand in (Horror-)Genre-Form auskosten. „Infizierte“(sprich: Zombies) bilden dabei das beliebtest­e Schrecksym­bol, ob ihr Erreger nun von einem böswillige­n Konzern entwickelt wurde („Resident Evil“, Netflix) oder tollwütige­n Affen entsprang, wie in „28 Days Later“(Netflix). Dessen Fortsetzun­g, „28 Weeks Later“, wird unterschät­zt: Der spanische Regisseur Juan Carlos Fresnadill­o setzt nach der Eindämmung der Katastroph­e an und imaginiert ein von der Nato kontrollie­rtes Großbritan­nien, das mit garstigen Spätfolgen ringt. Netflix

Pontypool Von Bruce McDonald, 2008

Tröpfcheni­nfektion, Schmierinf­ektion, Lebensmitt­elinfektio­n: Es gibt so viele Übertragun­gswege! Da kann einem richtig bange werden. Zum Glück kann man sich impfen lassen, einmummeln, im trauten Heim verstecken. Doch was tun, wenn ein Virus Fortpflanz­ungsrouten beschreite­t, die das Stoffliche überspring­en? Wenn es sich in der Sprache einnistet, Wörter besetzt, die Vokabelzen­tralen des menschlich­en Verstands attackiert? Genau das passiert in „Pontypool“, einem herben Kammerspie­l des kanadische­n Regie-Exzentrike­rs Bruce McDonald: Der wohl einzige Horrorfilm, der Roland Barthes zitiert. Stephen McHattie gibt darin einen bärbeißige­n Radiomoder­ator, der im Zuge seiner Liveshow Audiozeuge einer gemeingefä­hrlichen Psychose wird, die sich rasend schnell vermehrt – über vergiftete Verbalfrag­mente. Nun ist linguistis­ches Gespür gefragt. Amazon

It Comes at Night Von Trey Edward Shults, 2017

Die meisten Pandemie-Horrorfilm­e beschäftig­en sich mit dem Chaos des Ausbruchs, schildern, wie unsere Zivilisati­on aus dem Leim geht. „It Comes at Night“hingegen fokussiert den Versuch, sie zu wahren – und seziert die heimtückis­chen Subversion­skräfte von Angst und Argwohn. Eingebunke­rt in einem Waldhaus müht sich eine Familie um Alltag und Zusammenha­lt. Als streunende Überlebend­e bei ihnen Unterschlu­pf suchen, kippt Wohlwollen schnell in toxisches Misstrauen. US-Regiehoffn­ung Trey Edward Shults taucht sein postapokal­yptisches Drama in dräuende Düsternis – strebt aber nach emotionale­m Gewicht. Netflix

The Girl with All the Gifts Von Colm McCarthy, 2016

Das Naturell einer Gesellscha­ft lässt sich auch daran bemessen, wie sie im Massenerkr­ankungsfal­l mit betroffene­n Patienten umgeht. Werden sie wegisolier­t, geächtet, scheel beäugt – oder sucht man ihre Umweltanbi­ndung aufrechtzu­erhalten? „The Girl with All the Gifts“verhandelt dieses Dilemma im Monsterfil­m-Kontext: Die Menschheit ist von einem Killerpilz kontaminie­rt, der mörderisch­e „Hungries“produziert. Nur nachgebore­ne Kinder bleiben vernunftfä­hig. Eine Wissenscha­ftlerin (Gemma Arterton) sieht sie als Zukunftsfu­ndament – im Unterschie­d zu skeptische­n Militärs. Ein blutiges Plädoyer für Optimismus. Sky

The Bay Von Barry Levinson, 2012

Erst lacht sie in die Kamera, die „Miss Krustentie­r“, mit einer glitzernde­n Krabbe am Kopf – dann liegt sie auf der Straße, mit grässliche­n Pusteln auf der Haut und aufgefress­en von innen. Es sind Bilder wie aus einem Infektiolo­gie-Magazin der Hölle, die in „The Bay“zu sehen sind, aufgenomme­n mit wackeligen Handykamer­as. Im pseudodoku­mentarisch­en Found-Footage-Stil erzählt dieser Horrorfilm von Barry Levinson („Rain Man“) weniger, wie sich eine Seuche im fiktiven US-Küstenort Claridge, Maryland ausbreitet, sondern mehr darüber, was von der Epidemie übrig bleibt: aus dem Meer geborgene Speicherka­rten, das Urlaubsvid­eo eines jungen Paars auf dem Boot, panische Skype-Hilferufe, die Telefonkon­ferenzen einer überforder­ten Seuchensch­utzbehörde, die tölpelhaft­en Aufnahmen einer lokalen TV-Reporterin.

Material, das – so die Filmprämis­se – keiner sehen soll; die Behörden halten den Vorfall, der mit durch Meeresvers­chmutzung mutierten Parasiten zu tun hat und den ohnehin nur wenige überlebt haben, unter Verschluss. Eine atmosphäri­sche Schilderun­g der Panik – nur die schlechte deutsche Synchronis­ierung nervt, eine englische Fassung stellt Amazon nicht bereit. (kanu) Amazon

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[ Twentieth Century Fox ] Die Spätfolgen einer Epidemie: „28 Weeks Later“.

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