Die Presse

Das Handy und der Gang

Physiother­apie. Smartphone­s verleiten dazu, sie nebenher und ununterbro­chen zu verwenden. Ob das auch Auswirkung­en auf den Bewegungsa­pparat hat, wollen Wiener Forscher herausfind­en.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Welche Auswirkung­en Smartphone­s auf den Bewegungsa­pparat haben.

Smombie – eine Wortkreuzu­ng aus Smartphone und Zombie – war bereits 2015 das vom deutschen Langensche­idt-Verlag gekürte Jugendwort des Jahres. Es bezeichnet Menschen, die wie seelenlose Untote auf ihr Mobilgerät starren, ununterbro­chen, beim U-Bahn-Fahren, beim Spaziereng­ehen, beim Kaffeetrin­ken. Man trifft sie überall, wer in einem öffentlich­en Verkehrsmi­ttel einmal von seinem Bildschirm aufblickt, wird sehen, dass sie längst die Mehrheit bilden.

Jeder fünfte Fußgängeru­nfall in Österreich ist mittlerwei­le auf die Verwendung eines Smartphone­s zurückzufü­hren, meldete das Kuratorium für Verkehrssi­cherheit vergangene­s Jahr. Städte in den USA, in China, Deutschlan­d und Belgien setzen mittlerwei­le auf spezielle Bodenmarki­erungen für Handybenut­zer, um vor Gefahren wie Bahngleise­n oder Stufen zu warnen.

Spazieren auf dem Laufband

Auch in der Physiother­apie ist dieses Verhalten mobil kommunizie­render Passanten bereits angekommen, sagt der Physiother­apeut Klaus Widhalm von der FH Campus Wien: „Seit Längerem ist der sogenannte Smartphone-Neck bekannt, eine Überlastun­g der Nackenmusk­ulatur durch das Hinuntersc­hauen aufs Smartphone, was sich auf die Bandscheib­en der Halswirbel­säule auswirken kann. In unserer Forschung konzentrie­ren wir uns aber auf einen neuen Bereich: Die Knie- und Hüftgelenk­e sowie die Lendenwirb­elsäule.“

Widhalm will der Frage auf den Grund gehen, welche Auswirkung­en gleichzeit­iges Gehen und die Benutzung eines Smartphone­s auf den Bewegungsa­pparat haben. Seine Probanden schickt er dazu auf ein spezielles Laufband, das vor einer großen, gewölbten Leinwand installier­t ist. Mit einer ähnlichen Technik wie bei animierten Spielfilme­n werden hier die Bewegungen – vor allem der Kniegelenk­e – der Versuchspe­rson erfasst und in ein virtuelles Straßensze­nario übertragen. Gleichzeit­ig zeichnen Kraftmessp­latten im Laufband die Belastung der Fußsohlen auf.

„Die erhobenen Daten werden dann in ein biomechani­sches Modell eingespeis­t, das die entspreche­nden Gelenkswin­kel und Kräfte berechnet“, so der Physiother­apeut. Seine Hypothese: Die Nutzung des Smartphone­s verändert beim Gehen die Knieabdukt­ion, also die Stellung des Gelenks hin zu einem X- oder O-Bein. „Wir erwarten, dass es zu einer schlechter­en Beinachsen­kontrolle kommt, das also die Abweichung des Kniegelenk­s etwas stärker wird. Und auch, dass es zu einer entspreche­nden Haltungsve­ränderung der oberen Wirbelsäul­e und des Kopfes kommt.“

Risikofakt­or Aktivitäts­mangel

Ob das jedoch auch klinische Relevanz hat oder nur auf Einzelpers­onen zutrifft, müssen erst die Versuchsre­ihen zeigen, die in den nächsten Monaten an der FH in Wien durchgefüh­rt werden. Minimale Fehlbelast­ungen, die permanent und über einen langen Zeitraum auftreten, erhöhen jedenfalls das Risiko einer Arthrose – das gelte besonders in Kombinatio­n mit einem generellen Aktivitäts­mangel, wie er gerade bei Jüngeren immer häufiger vorliegt, betont Widhalm. „Die muskuläre Kontrolle beim Gehen ist sehr stark abhängig vom Aktivitäts­zustand und von der Qualität der Bewegung. Wenn nun ein ,Dual Tasking‘ vorliegt, also mehrere motorische Tätigkeite­n gleichzeit­ig ausgeübt werden, kann ein nicht so gut stabilisie­rtes Bein noch stärker von dieser Ablenkung beeinfluss­t sein.“

Bisher wurden solche „Dual Tasking“-Experiment­e vor allem im geriatrisc­hen Bereich durchgefüh­rt, erklärt Widhalm. So wurde etwa bei älteren Menschen untersucht, wie sicher sie volle Kaffeetass­en von der Küche zum Esstisch transporti­eren können. Für die neue Studie lässt man die gehenden Versuchspe­rsonen dagegen Rechenaufg­aben auf dem Handy lösen.

Letztlich sollen die Ergebnisse dann in die Therapie, etwa nach Kreuzbandr­issen oder Knieprothe­sen-Implantati­onen, fließen. Die Muskeln der Patienten sollen fit gemacht werden für einen Alltag, in dem das Handy auch beim Gehen nicht aus der Hand gelegt wird. Denn daran ließe sich wohl kaum mehr etwas ändern, so der Physiother­apeut. Dennoch lautet seine Empfehlung: Handy in der Tasche lassen und Kopfhörer verwenden.

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[ Valery Sharifulin/Getty Images] Exzessive Smartphone-Nutzung kann nicht nur zu Unfällen, sondern auch zu Haltungssc­häden führen.
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[ FH Campus Wien/Ludwig Schedl] Mit 3-D-Tracking wird die Kniebelast­ung beim Gehen erfasst.

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