Her mit der Schönheit!
Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Ein Aufruf zu mehr Schönheit im Leben und im Alltag.
Roland Gnaigers Aufruf zu mehr Schönheit im Leben und im Alltag.
Als er sich endlich bewegte, blitzte hinter den weit entfernten Gebirgsketten die Sonne hervor und übergoss die Gipfel mit ihrem Licht, so weich und schön, dass er hätte lachen können vor reinem Glück.
Robert Seethaler
Schönheit will gefühlt, nicht verstanden werden. Ich nähre mich von Schönem. Es inspiriert meine Arbeit, überlistet mein mangelhaftes Gedächtnis, hegt meinen Gleichmut und lichtet meine Gestimmtheit. Eine vor vierzig Jahren auf Kreta gesehene Vase ist in mir lebendig, als hätte ich sie gestern gesehen, laufe ich an einem liebevoll gepflegten Garten entlang, wird mein Schritt leicht und beschwingt. Trete ich am Ende eines aufreibenden Tages vor mein Haus, um in den sternenklaren Himmel zu sehen, beruhigt und erhellt sich mein Gemüt. Dabei sind mein kunsthistorisches und mein biologisches Wissen dürftig und endet mein astronomisches Verständnis bei „unvorstellbar weit und alt“. Schönheit verändert mich: Im Hof von Haus R oder unter der Kuppel von B breitet sich in mir eine freudvolle Erregung aus. Taucht das einmalige Licht eines jener goldenen Herbsttage die Wälder und Abhänge in diese unvergleichliche Buntheit, dann werden die Grenzen zwischen mir und der Welt durchlässig und unbestimmbar. Schaffe ich bei einem Entwurf den „Durchbruch“, dann senkt mich Beglücktheit in den Sessel.
Botho Strauß kommt mit seiner Feststellung „Das Hässliche ist erklärbar, das Schöne nicht“der Sache schon sehr nahe. Je näher man der Schönheit mit Begriffen tritt, umso entschiedener weicht sie zurück. Wir alle kennen sie als Erfahrung, aber Erklärungen scheint sie zu fliehen. Überraschen muss das nicht. Ob in der Musik, im Blick auf eine Blume, im Öffnen eines Buches, beim Überqueren eines Platzes, dem Griff nach einem Apfel, am Ende eines Gesprächs, angesichts einer klug konstruierten Brücke, der Formulierung einer Mathematikformel oder eines erhellenden Gedankens – die Ereignisse, Anlässe, Auslöser und Formen unserer Schönheitserfahrung könnten verschiedener nicht sein. Es gibt schöne Dinge, Gedanken und Ereignisse, aber „die“Schönheit gibt es nicht. Schönheit ist in ihrer Größe, Vielfalt und Vielschichtigkeit undefinierbar. Sie will erlebt und gefühlt, nicht verstanden werden. Darin gleicht sie der Freundschaft, der Liebe, der Kunst, der Intuition, der Weisheit und anderen großen Dingen.
Der Umstand, dass Schönheit undefinierbar ist, dass sie in unterschiedlichen Feldern anzutreffen ist und zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichsten Kleidern erscheint, dass sie individuell erlebt werden muss, Vermittlerdienste ablehnt und jeden Kanon flieht, dass sie sich nur zögerlich preisgibt und auch noch Ansprüche an unser Wahrnehmen stellt, bedeutet nicht, dass sie beliebig und nur subjektiv ist und auf billige Weise relativierbar wäre. Wir vermögen sehr wohl zu gewissen Fragen ihrer Qualität ein hohes Maß an Einigkeit zu erzielen, auch Übereinstimmungen, die Zeiten überdauern.
Doch selbst ohne Aussicht, über Schönheit etwas unverrückbar Gültiges zu sagen – die Befassung mit Schönheit ist weit mehr als eine geistige Überlebensfrage. Als solche bedarf sie im Angesicht einer überbordenden, allgegenwärtigen Hässlichkeit und einer bedrohten Welt eines neuen Impulses.
Der Verrat an der Schönheit. Es scheint Kulturen und Epochen gegeben zu haben, in denen Schönheit den Erzeugnissen und Äußerungen des Alltags auf eine Weise immanent war, dass sie keiner ausdrücklichen Erörterung bedurfte. Spätestens mit der Antike lässt sich ein dezidiertes Nachdenken über das Schöne, sein Wesen, seine Voraussetzungen und Wirkungen verfolgen. An welcher Stelle sich diese Reflexion verläuft,
Geboren 1951 in Bregenz. Architekt. Studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Roland Rainer und an der Technischen Universität Eindhoven. Symposion zum Thema am 27. Februar von 15 bis 20 Uhr: Behutsam oder radikal?“ ist weniger wichtig als der Umstand, dass sich Schönheit als Anliegen, Berufung und Bildungsauftrag bis heute verflüchtigt hat. Selbst Bildungsinstitutionen waren daran beteiligt, die ästhetische Schulung und ein reflektierendes Sensorium für Schönes ins Abseits zu drängen.
Noch in meiner Kindheit zählte neben dem Inhalt die „äußere Form der Arbeit“zu den Beurteilungskriterien einer Schularbeit. Ob diese Formulierung glücklich war, sei dahingestellt. Immerhin, sie belegt eine themenaffine Ausrichtung und Haltung. Irgendwann ist „Schönschreiben“zum Unwort geworden, und so hat auch die Sache selbst abgedankt. Das Wesen der Formgebung: hinwenden, eindringen, Ordnungen und Beziehungen herstellen und in die Wirklichkeit transformieren verlor an Bedeutung. Schritt um Schritt kam dem Prozess der Herstellung jene Aufmerksamkeit abhanden, die im selben Maß die Resultate gewannen.
Der Bedeutungsverlust des Schönen hinterließ kein Vakuum, sondern ein Diktat von Form und Schönheit. Mit kräftiger Unterstützung der Werbewirtschaft und einer nie gekannten medialen Macht haben sich Konsumtreiber der Definitionsgewalt bemächtigt: „Schön ist, was makellos, glatt, schlank und vor allem jung ist!“Diese „Schönheit“verpflichtet uns auf das Perfekte, Dynamische und ewig Jugendliche. Gehalt- und Bedeutungsverlust kompensiert sie mit Lautem, Schrillem und Exaltiertem, mit sündhaft Teurem und kultisch Überhöhtem oder, dem Wechsel zuliebe, mit Schäbigem, Lumpigem und Ausgefranstem. Erheischte Aufmerksamkeit und Kurzlebigkeit sind die bestimmenden Konstanten einer solcherart deklarierten „Schönheit“. Auch in Moderne und Vormoderne hat es postulierte Stile und Schönheitsideale gegeben, immerhin haben deren Vertreter (mitunter mit quasireligiösem Eifer) selbst an diese geglaubt. Heute glaubt und folgt nur der verführte, anhaltend um echte Erfahrungen betrogene Konsument.
Mode ist der postmoderne Maßstab. Nichts ist ihr dienlicher als Orientierungslosigkeit und die um Verwirrung bemühte Schlagzahl des fortwährend Neuen. Gründlich von den Gesetzen des Visuellen dominiert, wird die Welt gemäß diesen Verhältnissen durchdesignt. Die solcherart herbeibeschworene „Schönheit“erhebt den Anspruch, eine universelle Schönheit zu sein, eine global gültige, eine, die sich nicht um Umstände und Bedingungen und um keine sozialen, kulturellen und geschichtlichen Verhältnisse zu kümmern hat, die befreit ist von Inhalten, Verantwortung und Verpflichtung.
Schönheit ist kein Kriterium der Kunst,
sondern des Lebens. Hat Schönheit eine Vertretung, eine Lobby? Wessen Anliegen sollte Schönheit sein? Wer ist ihr verpflichtet? Wer ist es der ihr seine Stimme leiht? somit selten genug –, lädt man Künstler oder Theoretiker der Kunst zu Wort. Meist mit dem Ergebnis, dass sie keinen Unterschied machen zwischen ihrer Kunst und unser aller Leben. Welch ein Missverständnis! Auch wenn mancher Schöngeist sich das so wünscht: Die Kunst ist nicht die Repräsentantin der Schönheit. Man stelle sich Shakespeare vor oder die altgriechische Tragödie ohne Verleumdung, ohne hässliche Bosheit und abscheulichen Mord. Oder einen Kubin ohne Düsternis, einen Hieronymus Bosch ohne seine Fratzen. Der Kunst gehört das gesamte Spektrum der Ausdrucksmittel. Das heißt nicht, dass Kunst nicht Schönes schaffen dürfe und in vielen Fällen auch tut. Doch nicht die Kunst ist der Schönheit verpflichtet, sondern der Alltag. Die Verantwortung für Schönheit an die Kunst zu delegieren wäre so, als würden wir die Zuständigkeit für Ethik bei den Vertretern der Kirche belassen. In der Gestaltung unseres Lebensumfelds ist Hässlichkeit kein Ausdrucksmittel, sondern Ausdruck mangelnder Verbundenheit mit der Welt, von Unvermögen und Versagen oder Ignoranz gelegt werden. Die Tapezierer, die Schreiner und Schlosser, die Kleidermacher, auch die Bäcker, die Grafiker, alle Möbelbauer und Raumgestalter, die Haushälter . . ., natürlich die Möbelhäuser und Baumärkte auch, alle sind wir der Kultur und der Schönheit verpflichtet. Für Schönheit sind Architekten, Städte- und Straßenbauer, die Kommunalpolitiker, auch die Gärtner und die Wirte verantwortlich. Stellen Sie sich Landwirte nicht als Wüteriche gegen das Schöne vor, Bauern, die nicht jeden Hain, jeden Baum und Strauch, jedes Blühen einer Hecke ihrer monogrünen Wüste opfern, die sich vom Druck befreien, jeden Bach zu begradigen, jede Mulde einzuebnen und jeden Weg zu planieren. Denken Sie an Landgestalter, die unsere Sehnsucht nach bunten Wiesen nicht ins Gebirge – und bei der Zuständigkeit für blühende Bäume und Sträucher nicht an die Städte verweisen.
Wie wäre es, wenn Investoren, wenn auch alle Reichen zu Wortführern des Schönen würden, wenn sie nur noch schüfen, was wieder Sinn, Wert und Dauer verspricht? Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Schönheit jenseits von Kunstsinn, Luxus und Reichtum! Statt zur Kunst gehört die Schönheit der Lebenskunst, sie gehört in den Alltag und in unser Leben.
Das Schöne ist Frucht, nicht Ziel unserer
Arbeit. Vor zwanzig Jahren habe ich formuliert: „Kunst ist besser das Ergebnis der Arbeit als der Anfang der Diskussion.“Daran hat sich nichts geändert, und doch würde ich heute sagen: Das Schöne ist besser die Frucht als das Ziel unserer Arbeit. Denn die Geschichte warnt uns vor dem Erschlaffen im Formalismus, vor seinen Ausschweifungen und dem in Dekadenz und Wahn gekippten ästhetischen Exzess. Und wir wissen um eine Ästhetik, die sich der Abwesenheit alles Lebendigen verdankt.
Noch bleiben wir bei der Herstellung von Schönem und nicht bei ihrem Erleben. Schönheit als Ertrag menschlichen Tuns bedingt Arbeit, mitunter auch Anstrengung.
Der Verzicht auf Absicht und Ziel macht den Blick für die Prozesse und die Bedingungen frei, denen Schönheit allenfalls erwächst:
– der Fähigkeit zu Konzentration, Gründlichkeit und Ruhe;
– einer Sorgfalt, die mit der Liebe zum Detail verbunden ist;
– dem Zugang zum Zauber und der Schönheit, die im Tun selber liegt;
– genauem Fragen und einem Gehör für die den Fragen einwohnenden Antworten, gepaart mit einer wachen Aufmerksamkeit, dem Sensorium für die zarte und noch vage Spur einer Lösung;
– dem Gleichmut gegenüber dem Zweifel, einer unerschütterlichen, durch Leer- und Irrläufe Hindernisse Fehler und Rück