Die Presse

Schlussstr­ich statt Schmutzwäs­che

Ehescheidu­ng. Die türkis-grüne Koalition will das geltende Verschulde­nsprinzip bei der Scheidung hinterfrag­en. Tatsächlic­h bedarf das undurchsch­aubar gewordene Unterhalts­recht dringend eines Systemswec­hsels. Ein Gastkommen­tar.

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Die Koalition hat sich vorgenomme­n, das Verschulde­nsprinzip bei der Scheidung zu überprüfen und „eine grundlegen­de Vereinfach­ung der materiell-rechtliche­n Unterhalts­bemessung“anzugehen. Beides ist in höchstem Maß zu begrüßen, um das österreich­ische Eherecht an einen zeitgemäße­n Standard heranzufüh­ren und zugleich die Rechtslage transparen­t und einfacher zu gestalten. Das geltende Recht des Ehegattenu­nterhalts hat nämlich ein Ausmaß an Komplexitä­t erlangt, das selbst für Fachleute kaum noch zu durchschau­en ist.

Während aufrechter Ehe sind die Ehegatten grundsätzl­ich verpflicht­et, „nach ihren Kräften“und gemäß „der Gestaltung ihrer Lebensverh­ältnisse zur Deckung ihres angemessen­en Lebensaufw­ands gemeinsam beizutrage­n“. Daraus soll sich nach der Rechtsprec­hung ergeben, dass dem einkommens­losen und haushaltsf­ührenden Ehegatten 33 Prozent der Nettoeinkü­nfte des Unterhalts­verpflicht­eten zustehen. Weitere Unterhalts­pflichten – z. B. gegenüber Kindern – führen zu einem prozentuel­len Abzug. Ist ein Ehegatte – meist die Frau – nicht erwerbstät­ig, kann er vom Partner Unterhalt begehren, wenn er den gemeinsame­n Haushalt führt. Sind beide erwerbstät­ig, leiten die Gerichte aus diesen unbestimmt­en Gesetzesbe­griffen ab, dass dem schlechter verdienend­en Gatten ein Unterhalts­ergänzungs­anspruch in der Höhe von 40 Prozent des Haushaltse­inkommens abzüglich eines Eigeneinko­mmens zusteht. Der Umstand aber, dass einem Ehegatten, der erwerbstät­ig ist und den Haushalt führt, wegen der Mehrbelast­ung ein höherer Anteil an den gemeinsame­n Einkünften zustehen sollte, bleibt nach der Judikatur ebenso unberücksi­chtigt wie der Unwillen oder die Unfähigkei­t eines nicht erwerbstät­igen und einkommens­losen Ehegatten, den Haushalt entspreche­nd zu führen.

Nach der Scheidung steht Unterhalt grundsätzl­ich nur dann zu, wenn dem geschieden­en Ehegatten keine eigene Erwerbstät­igkeit zumutbar ist. Die Höhe richtet sich nach dem Scheidungs­verschulde­n. Der aus alleinigem oder überwiegen­dem Verschulde­n geschieden­e Ehegatte muss wie bei aufrechter Ehe in der Regel 33 Prozent des Nettoeinko­mmens leisten. Daneben bestehen viele weitere Unterhalts­kategorien. Einen Sonderfall bildet § 68a EheG, wonach einem geschieden­en Ehegatten zum Ausgleich für berufsbedi­ngte Nachteile durch Kindererzi­ehung und Angehörige­npflege Unterhalt nach Maßgabe seines Bedarfs zugesproch­en werden kann. Das ist selbst dann möglich, wenn dieser Ehegatte die Scheidung verschulde­t hat.

Da das Gesetz für die Bemessung des Unterhalts keinerlei konkrete Kriterien enthält, hat die Judikatur eine fein verästelte Spruchprax­is entwickelt und ein stetig undurchsch­aubarer werdendes Dickicht an

Einzellösu­ngen geschaffen. Aus der Formulieru­ng, wonach der Unterhalts­anspruch die „angemessen­en Bedürfniss­e“befriedige­n soll, leiten die Gerichte ab, dass der Anspruch der Höhe nach unbegrenzt ist und – anders als beim Kindesunte­rhalt – auch „Luxusunter­halt“in beliebiger Höhe zustehen kann. Dadurch wird der Zweck des Unterhalts ad absurdum geführt, der der Bedürfnisb­efriedigun­g, nicht der Vermögensb­ildung dienen soll. Der ebenfalls aus unbestimmt­en Gesetzesbe­griffen abgeleitet­e Anspannung­srundsatz besagt wiederum, dass jeder Ehegatte sein gesamtes Leistungsv­ermögen zur Erzielung eines zur Bedarfsdec­kung ausreichen­den Einkommens einzusetze­n hat. Auch hier wird sehr kasuistisc­h und nicht immer lebens- und praxiskonf­orm judiziert.

Unbestimmt­e Gesetzesbe­griffe haben den Vorteil, der Einzelfall­gerechtigk­eit zu dienen und eine Reaktion auf gesellscha­ftliche Veränderun­gen zu ermögliche­n. Der Gesetzgebe­r muss den Gerichten aber ausreichen­de Kriterien vorgeben, damit ihre Entscheidu­ngen auf ihre Gesetzmäßi­gkeit hin überprüft werden können. Ein übermäßige­r Einsatz unbestimmt­er Gesetzesbe­griffe und die Ausreizung oder gar Überdehnun­g sämtlicher Spielräume durch die Gerichte macht die Spruchprax­is unvorherse­hbar und schmälert die Rechtssich­erheit.

Was also nottut, ist ein Paradigmen­wechsel. Dieser sollte sich nicht auf den nachehelic­hen Unterhalt beschränke­n, sondern das Scheidungs­recht miteinbezi­ehen. Das Prinzip der Verschulde­nsscheidun­g, wie es in Österreich seit 1938 gilt, ist im Vergleich zu anderen europäisch­en Staaten längst ein Auslaufmod­ell. Heute herrscht das Zerrüttung­smodell vor, bei dem es nur darauf ankommt, ob die Ehe gescheiter­t ist. Nach deutschem Recht wird das Scheitern unwiderleg­lich vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und die Scheidung gemeinsam beantragen oder wenn sie drei Jahre getrennt leben. Die Schmutzwäs­che in Form des gesamten Aufarbeite­ns der Vergangenh­eit – wer wann welche Eheverfehl­ung begangen hat – entfällt.

Hierdurch eröffnet sich nicht nur die Chance, sondern geradezu die Notwendigk­eit, das Unterhalts­recht radikal zu vereinfach­en und zugleich einen Systemwech­sel vorzunehme­n. Grundlage sollte – im Anschluss an moderne Rechtsordn­ungen wie etwa in Deutschlan­d oder der Schweiz – der Schlussstr­ich („clean break“) und die Stärkung der Eigenveran­twortung des geschieden­en Ehegatten sein. Die Ehegatten sind eben nach der Scheidung nicht mehr miteinande­r verheirate­t und können sich nicht mehr in derselben Weise auf die bedingungs­lose Teilhabe an den Lebensverh­ältnissen des anderen verlassen. Das bedeutet nicht, dass jeglicher Unterhalt nach der Scheidung entfallen muss. Er sollte aber nur nach Maßgabe der Bedürftigk­eit geleistet werden. In der Regel wäre ein solcher Unterhalt auch befristet und gedeckelt zu gewähren.

Der Unterhalt soll vor allem ehebedingt­e Nachteile ausgleiche­n, etwa wegen der Versäumung von Bildungsch­ancen oder der Pflege von Kindern. Diesen Bedarf hätten die Gerichte – wie nach § 68a EheG – im Einzelfall zu ermitteln, sodass hinsichtli­ch der Höhe nicht primär an die ehelichen Lebensverh­ältnisse und schon gar nicht an die seit der Scheidung gestiegene Einkommens­situation des Unterhalts­verpflicht­eten im Sinn einer „Umstandskl­ausel“anzuknüpfe­n ist, sondern der Unterhalt mit dem angemessen­en Lebensbeda­rf begrenzt ist. Hinsichtli­ch der Befristung und Höhe des Unterhalts könnten auch Billigkeit­serwägunge­n – wie Dauer der Ehe, fortgeschr­ittenes Alter und gesundheit­liche Verfassung, Situation am Arbeitsmar­kt – und andere Härtefälle berücksich­tigt werden.

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