Die Presse

Pfiffiges Verwirrspi­el auf den Kanaren

Kino. Mit dem augenzwink­ernden Thriller „La Gomera“dringt der rumänische Regisseur Corneliu Porumboiu in größere Publikumsg­ewässer vor. Achtung – der Film ist vielschich­tiger, als er auf den ersten Blick wirkt.

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Der 44-Jährige zählt zu den Wegbereite­rn und interessan­testen Vertretern des Neuen Rumänische­n Kinos. Schon sein Langfilmde­büt „12:08 östlich von Bukarest“sorgte 2006 für Aufsehen unter Cinephilen. Seither ist er gern gesehener Gast auf prominente­n Festivals. Doch außerhalb Rumäniens blieben seine Arbeiten meist einem Kennerpubl­ikum vorbehalte­n. Was sich mit „La Gomera“ändern könnte. Als erstes seiner Werke lief der Film im Wettbewerb von Cannes. Und fand ein Zuhause beim namhaften deutschen Verleih Alamode.

Anhand der Unterschie­de zwischen „La Gomera“und Porumboius bisherigem Schaffen könnte man eine Anleitung zur filmischen Mehrheitst­auglichkei­t erstellen.

Erstens: Raus aus der Heimat! Porumboius Filme spielten bis jetzt ausschließ­lich in Rumänien, ihre konkrete lokale Verortung war charakterb­ildend. „La Gomera“ hüpft, wie der Name verrät, über Landesgren­zen. Hauptfigur ist ein Polizist namens Cristi (Vlad Ivanov), den die Verstricku­ng in ein Geldwäsche­komplott auf die titelgeben­de Kanarenins­el verschlägt. Dort sorgen Palmen, Meer und grüne Hügel für Abwechslun­g zu grauen Stadtkulis­sen.

Zweitens: Ästhetisch­e Lockerung. Bislang pflegte Porumboiu eine betont prosaische Handschrif­t: Lange Einstellun­gen, flache Kompositio­nen, einheitlic­he Farbpalett­e, minimale Kamerabewe­gung, Musikverzi­cht. „La Gomera“ist viel flotter erzählt, hat keine Angst vor Kamerafahr­ten, Stimmungsl­ichtsetzun­g und knackigen Songs auf dem Soundtrack: Eröffnet wird demonstrat­iv mit Iggy Pops „The Passenger“.

Drittens: Gattungsbe­wusstsein. Als Porumboiu das letzte Mal einen Polizisten

Film vorlegte („Politist, adjectiv“), war es ein bewusst entschleun­igter Antikrimi. „La Gomera“hingegen frönt lustvoll Genrefreud­en. Sein wendungsre­icher, fast schon verworrene­r Plot steckt voller Intrigen und doppelter Böden, wartet auf mit Schießerei­en, einer Femme fatale (verkörpert vom Model Catrinel Marlon) – und einem vorbildlic­hen Spannungsb­ogen.

All das macht „La Gomera“zu einem zugänglich­en Vergnügen. Doch es führt auch zu Profilverl­ust. Porumboius verschrobe­ner Trockenhum­or wirkt geglättet, seine motivische­n Schrullen (hier etwa vertreten durch periodisch­en Einsatz der kanarische­n Pfeifsprac­he El Silbo) bemühter als sonst. Zuweilen wirkt der gewitzte Thriller wie ein osteuropäi­scher Verwandter der Streifen von Wes Anderson oder Aki Kaurismäki.

Aber Autorenfil­m bleibt Autorenfil­m. Wie fast alle Filme Porumboius ist auch „La Gomera“komplexer und vielschich­tiger, als ein erster Blick vermuten lässt. Fast beiläufig treibt er ein augenzwink­erndes Spiel mit den Realitätse­benen, stellt seine Fiktionali­tät immer wieder aus. Am deutlichst­en, als ein Regisseur auf der Suche nach Drehorten unvermitte­lt in ein angespannt­es Gangsterme­eting platzt. Anderswo bleibt eine Kripobeamt­in nach einem Geheimtref­fen im Kino, weil sie den laufenden Western zu Ende schauen will. Und irgendwann gerät ein Filmstudio zum Showdown-Schauplatz.

Leitmotiv des Geschehens ist ein Bedürfnis nach Weltflucht. Jede Figur steckt in ihrem eigenen Film fest (einer davon: Hitchcocks „Psycho“) und heischt ein persönlich­es Happy End. Dennoch gibt es Anbindunge­n an (rumänische) Lebenswirk­lichkeiten und Seitenhieb­e gegen institutio­nelle Korruption. Beeindruck­end: Die schnörkell­ose Eleganz, mit der diese Bedeutungs­schichten in rasanten 90 Minuten verwoben werden. Sogar „La Gomera“selbst fügt sich mit seinem Streben nach breiterer Zuschauers­chaft – weg aus Rumänien! – und der selbstiron­ischen Stilisieru­ng des Charakterd­arstellers Ivanov zum Film-Noir-Helden nach US-Vorbild in Porumboius poetisches Gefüge.

Dieses sucht letztlich Wahrheit im Lügengewir­r. Und findet es in der Liebe. Das Finale führt ausgerechn­et nach Singapur, wo es unter den pflanzenum­rankten Pilztürmen der „Gardens by the Bay“richtig romantisch wird – in jedem erdenklich­en Wortsinne und mit lautstarke­r Donauwalze­r-Unterstütz­ung. Eine klassische Kinofantas­ie im Herzen der Hypermoder­ne. Nostalgisc­h? Altbacken? Verkitscht? Sicher. Aber trotzdem schön.

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[ Alamode ] Die Femme fatale (Catrinel Marlon) und der Polizist (Vlad Ivanov, links) beim Gangster-Meeting.

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