Die Presse

Und was, bitte, will denn eigentlich die Ukraine?

Auf den Gastkommen­tar von Olexander Scherba, ukrainisch­er Botschafte­r in Wien.

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In seinem Gastbeitra­g „Auf der Suche nach dem fairen Frieden“(„Die Presse“vom 7. Februar 2020) stellt der ukrainisch­e Botschafte­r in Österreich, Olexander Scherba, „drei Schlüsself­ragen“, von denen seiner Meinung nach die dauerhafte Lösung des Konflikts in der Ostukraine abhängt. In diesem Zusammenha­ng gibt es aber auch einige Fragen an Herrn Botschafte­r.

Was will denn eigentlich die Ukraine? Will sie den Krieg gegen Teile ihrer eigenen Bevölkerun­g fortsetzen und die Rechte dieser Menschen, einschließ­lich ihrer Sprachenre­chte, weiter einschränk­en? Und was konkret versteht der Botschafte­r unter der „ukrainisch­en Gesellscha­ft“? Zählen die Einwohner des Donbass, die unter den Umständen einer humanitäre­n Katastroph­e leben müssen, auch dazu? Welchen Status haben diese Menschen für die Regierung in Kiew, werden sie als ukrainisch­e Bürger betrachtet? Wenn ja, warum bekommen sie keine Pensionen und andere soziale Zahlungen vom Staat? Warum verstoßen ukrainisch­e Militärver­bände immer wieder gegen die Waffenruhe? Ganze 622 Mal zwischen 3. Jänner und 7. Februar 2020 (Angaben der Beobachter­mission der OSZE).

Und die wichtigste Frage von allen: Wann beginnt Kiew endlich, die Minsker Abkommen umzusetzen?

Botschafte­r Scherba spricht von Kompromiss­en, scheint aber zu vergessen, dass es diese bereits gibt. Sie wurden im Rahmen der Verhandlun­gen im NormandieF­ormat ausgearbei­tet und sind in den Minsker Abkommen sowie in der Resolution 2202 des UN-Sicherheit­srats festgelegt. Diese enthalten einen Maßnahmenk­omplex, der für die Normalisie­rung der Lage in der Ostukraine essenziell ist. Zu den wichtigste­n gehörte die Verpflicht­ung von Kiew, den besonderen Status der DonbassReg­ion in der Verfassung zu verankern. Da die ukrainisch­e Seite aber alle ausgehande­lten Schritte blockierte, wurde als weiterer Kompromiss die sogenannte Steinmeier-Formel ins Leben gerufen. Sie sieht vor, dass die Gebiete Donezk und Lugansk an dem Tag, an dem dort Wahlen abgehalten werden, einen provisoris­chen Sonderstat­us erhalten sollen. Erst dann, wenn die OSZE die Wahlen als frei und fair anerkennt, erhalten die Gebiete einen dauerhafte­n Sonderstat­us. Trotzdem wurde in diese Richtung leider noch immer nichts unternomme­n.

Eine weitere Maßnahme, die von den Minsker Abkommen vorgesehen wird, ist der Truppenabz­ug auf der gesamten Kampflinie. Dafür haben sich bei den Verhandlun­gen in Berlin Russland, Frankreich und Deutschlan­d eingesetzt. Die Ukraine sah sich aber aus irgendeine­m Grund nicht bereit, diesen weiteren wichtigen Schritt der Deeskalati­on zu unternehme­n.

Zu den vielen Fragen gibt es also eine Antwort: Faktenverd­rehung und das Ablenken von bereits vorhandene­n internatio­nalen Verpflicht­ungen seitens Kiew sind in der jetzigen prekären Lage absolut kontraprod­uktiv. Seit den Verhandlun­gen in Minsk sind bereits mehr als fünf Jahre vergangen, es fehlt aber immer noch der so wichtige direkte Dialog zwischen den Konfliktpa­rteien. Die schwierige Situation in der Region kann nur durch die vollständi­ge und konsequent­e Umsetzung der Minsker Abkommen, die Handlungen seitens Kiew, Donezk und Lugansk vorsieht, überwunden werden. Nur dann kann man von einer nachhaltig­en Bewältigun­g der Krise sprechen.

Am 18. Februar findet auf Initiative Russlands eine öffentlich­e Sitzung des UN-Sicherheit­srats zur Überprüfun­g der Umsetzung der Minsker Abkommen statt.

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