Die Presse

Wie viel Smartphone vertragen unsere Kinder?

Smartphone und Spielkonso­len gehören heute zum Alltag unserer Kinder. Über Nutzen und Schaden sind Eltern unsicher und uneinig.

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Sie haben das sicher auch schon beobachtet: Eine Mutter fährt mit ihrem Kleinkind in der Straßenbah­n, im Zug oder in der U-Bahn. Die Mutter drückt auf ihrem Handy herum, wie die meisten anderen Anwesenden auch. Das Kind sagt etwas, die Mutter reagiert nicht, das Kind beginnt zu quengeln. Die Mutter holt ein Tablet hervor oder ein zweites Smartphone, klemmt es auf den Kinderwage­n, und das Kind starrt sofort fasziniert auf die bunten, sich rasch bewegenden Bilder. Selbiges kann man auch in Restaurant­s oder Cafes´ beobachten, wo die Kinder auf diese Weise ruhiggeste­llt werden, damit sich die Erwachsene­n ungestört unterhalte­n oder gleichfall­s ihre ungeteilte Aufmerksam­keit ihrem elektronis­chen Spielzeug widmen können. Es gibt übrigens schon Halterunge­n auf Babyfläsch­chen, damit die Allerklein­sten beim Nuckeln nicht Mama oder Papa anschauen, sondern eine Kinderseri­e.

Der Umgang mit Smartphone, Tablet und Spielkonso­len ist mittlerwei­le Topthema aller Elterngesp­räche mit Sprössling­en zwischen einem Alter von zwei bis zwanzig Jahren. Ab welchem Alter darf das Kind ein Smartphone haben? Wie kontrollie­rt man dessen Nutzung? Welche Spiele darf es spielen? Und vor allem: Wie lang? Es ist ein täglicher Diskussion­spunkt zwischen Eltern und Kindern, die Grenzen zu ziehen ist nicht leicht. Man kann und will den Kindern den Umgang mit den neuen Medien nicht gänzlich verbieten, sie müssen ja damit umgehen lernen. Aber nach welchen Regeln? Und wie setzt man diese durch?

Der Hirnforsch­er und Autor Manfred Spitzer hat einen klaren Ansatz: Je weniger, desto besser! Je jünger das Kind und je länger die elektronis­che Reizüberfl­utung des Gehirns, desto schlechter. Nicht vergessen werden darf, dass die neuen elektronis­chen Medien zusätzlich zu den bereits länger bestehende­n konsumiert werden: War es früher schon nicht leicht, den Fernsehkon­sum von Kindern einzuschrä­nken, kommen Smartphone und PS4 nun noch dazu. In den USA ergaben Studien bei Kindern und Jugendlich­en eine Nutzungsda­uer allein von Spielekons­olen von durchschni­ttlich 40 Stunden pro Woche. Und eine aktuelle deutsche Studie ergab, dass 70 Prozent der Kindergart­enkinder das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich zum Spielen nutzen dürfen.

Bei Kindern und Jugendlich­en wirke sich die exzessive Nutzung elektronis­cher Spiele und Medien besonders schädlich aus, weil die Gehirnentw­icklung und -reifung noch nicht abgeschlos­sen sei, warnt Hirnforsch­er Spitzer. Bei zunehmende­r Nutzungsda­uer steigt das Risiko für Kurzsichti­gkeit, Konzentrat­ionsstörun­gen, soziale Probleme, Übergewich­t, Hyperaktiv­ität und Schlafstör­ungen. Die Schäden sind, je jünger das Kind, meist irreversib­el. Die Folgen all dessen, was mittlerwei­le die Mehrheit der Menschheit in einem immer längeren Zeitraum ihres Wachzustan­ds tut, sind noch längst nicht erforscht und absehbar.

Die Schule hat ebenfalls beständig mit dem Thema Smartphone zu tun. Vielfach werden wertvolle Workshops angeboten, um den Kindern die richtige Nutzung nahezubrin­gen. Die Schulen haben keine einhellige Strategie: Vom totalen Verbot bis zur Freigabe gibt es alles.

Umso verwunderl­icher ist es, dass immer noch ein vermehrter Einsatz elektronis­cher Medien im Unterricht propagiert wird. Tablet-Klassen etwa sind unter Bildungspo­litikern der letzte Schrei. Dabei können das die Kinder längst. Und ob Kinder dadurch tatsächlic­h besser lernen, ist nicht erwiesen. Im Gegenteil, meinen Forscher wie Spitzer. Auf alle Fälle wird die virtuell verbrachte Zeit dadurch dramatisch verlängert. Und wie kann etwas von Eltern verboten werden, das in der Schule als nützlich gilt? Oder umgekehrt? Ein Dilemma, das nie wirklich diskutiert wurde.

Eines ist sicher: Kinder orientiere­n sich am Verhalten der Erwachsene­n, und die starren ja auch ständig auf ihr Handy – oder?

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