Die Presse

Die Affäre Pawlenski

Frankreich. In der Affäre um den wegen Sexvideos zurückgetr­etenen Pariser Bürgermeis­terkandida­ten Griveaux wird nun die Rolle des russischen Drahtziehe­rs hinterfrag­t.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Paris diskutiert über den russischen Künstler, der sich einst auch schon den Mund zugenäht hat.

Die Interventi­onen von Pjotr Pawlenski sind nichts für schwache Nerven oder zart besaitete Gemüter. Der russische Aktionist drehte in den Jahren 2012 bis 2015 beständig an der Eskalation­sspirale, um gegen die Einschränk­ung der Künstleris­chen Freiheit durch die Regierung von Wladimir Putin zu protestier­en: 2012 nähte er sich den Mund zu; ein Jahr später nagelte er sich am Hodensack auf dem Roten Platz in Moskau fest; 2014 schnitt er sich im psychiatri­schen Gewahrsam das Ohr ab; und 2015 zündete er das Eingangsto­r zum Hauptquart­ier des russischen Geheimdien­sts FSB an.

Nachdem er 2016 wegen sexueller Nötigung angeklagt wurde, setzte sich Pawlenski nach Frankreich ab und erhielt dort als Dissident politische­s Asyl. Zur Ruhe kam er nicht. 2017 legte er Feuer vor dem Portal einer Filiale der französisc­hen Nationalba­nk. Und seit Samstag befindet sich Pawlenski wieder in Polizeigew­ahrsam. Der 35-Jährige wurde wegen einer gewaltsame­n Auseinande­rsetzung in der Silvestern­acht polizeilic­h gesucht. Zusammen mit Pawlenski wurde in einem Pariser Hotel auch dessen Freundin, eine angeblich 29-jährige Frau aus Metz festgenomm­en.

Dass sich die „Affaire Pavlenski“mittlerwei­le zu einem Politikum ausgewachs­en hat, hat nichts mit dem Verdacht der Körperverl­etzung zu tun, sondern mit der Verletzung der Privatsphä­re von Benjamin Griveaux. Der Pariser Bürgermeis­ter-Kandidat der französisc­hen Präsidente­npartei LREM und Vertrauter von Staatschef Emmanuel Macron musste sich am Freitag unfreiwill­ig aus dem Rennen zurückzieh­en, nachdem bekannt wurde, dass er einer jungen Frau im Mai 2018 Videos mit angeblich pornografi­schem Inhalt geschickt haben soll.

Pawlenski hat selber erklärt, sich diese kompromitt­ierenden Videos beschafft und sie auf seiner Website in Umlauf gebracht zu haben. Mehrere Personen, darunter ein LREM-Abgeordnet­er, haben sie sogleich weiter verbreitet. Sie haben sich damit nach Ansicht von Griveaux’ Anwalt einer Verletzung der Privatsphä­re strafbar gemacht, die in Frankreich mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden kann. Pawlenski erhebt den Anspruch, mit dieser Publikatio­n die „Heuchelei“eines Politikers entlarvt zu haben, der sich in seiner Wahlkampag­ne ständig als braver Familienva­ter vorgestell­t hat.

„Griveaux ist ein Dummkopf“

Ist der Ex-Minister und Spitzenkan­didat in eine (ziemlich plumpe) Falle getappt? Bereits blühen allerhand Verschwöru­ngstheorie­n. Griveaux wird darin zum Opfer einer heimtückis­chen Machenscha­ft und der Enthüllung seiner Intimität. Ein wenig schnell wird dabei verdrängt, dass Griveaux selber diese Videos aufgenomme­n und an eine ihm offenbar kaum bekannte Person verschickt hat. Das wäre zwar nicht illegal, aber für einen exponierte­n Mann, der Oberbürger­meister von Paris werden wollte, doch zumindest unglaublic­h unvorsicht­ig oder sogar sträflich blöde. Der frühere „Liberation“-´Chef Serge July meint darum ohne Nachsicht: „ In der Epoche der sozialen Netzwerke muss ein führender Politiker aufpassen. Wer dies nicht macht, ist ein Dummkopf. Griveaux ist ein Dummkopf.“

Griveaux war von Anfang an ein enger Mitarbeite­r von Macron und diente ihm als Sprecher bei seiner Präsidents­chaftskamp­agne. Dass er nun über Pornovideo­s stolpert, wirft nach der „Affaire Benalla“um einen gewalttäti­gen Ex-Sicherheit­sbeauftrag­ten des Präsidente­n Fragen auf über Macrons Fähigkeit, sich mit integren und kompetente­n Leuten zu umgeben.

Der französisc­he Präsident reagierte am Rande der Sicherheit­skonferenz in München auf seine Weise, indem er „Russland“beschuldig­te, die Politik im Westen bei Wahlen „destabilis­ieren“zu wollen: „Russland wird in den kommenden Monaten extrem aggressiv sein“, sagte Macron – ohne Konkretes zu nennen.

Die erste Runde der Kommunalwa­hlen findet am 15. März statt. Die Hauptstadt hat wegen ihrer politische­n und wirtschaft­lichen Bedeutung einen großen Symbolchar­akter. Die nächste Riesenhera­usforderun­g für die Millionenm­etropole sind die Olympische­n Spiele im Jahr 2024. Regiert wird Paris derzeit von der Sozialdemo­kratin Anne Hidalgo – die in aktuellen Umfragen vor der konservati­ven Ex-Ministerin Rachida Dati liegt. Die derzeitige Gesundheit­sministeri­n Agn`es Buzyn soll Griveaux als LREM-Spitzenkan­didatin ersetzen

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[ AFP ] Der Aktionskün­stler und sein Werk: Pjotr Pawlenski vor dem brennenden Portal des russischen Geheimdien­sts FSB.

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