Die Presse

Wenn Erben um Minuten streiten

Hinterlass­enschaft. Ein Ehepaar kam bei einem Unfall zu Tode. Aber blieb der Mann etwas länger am Leben als die Frau? Von dieser Frage hing ab, wer was erbt.

- VON PHILIPP AICHINGER [ imago]

Ein Ehepaar starb bei einem Autounfall. Aber starb die Frau früher? Davon hängt ab, wer was erbt.

Es war ein tragischer Verkehrsun­fall, in den ein Ehepaar vor fünf Jahren verwickelt war. Die ärztliche Kunst war bald erschöpft, man musste den Tod des Paares feststelle­n. Längerfris­tig war nur noch die juristisch­e Kunst gefragt, ging es doch um die Aufteilung des Erbes. Denn für die Frage, wer wie viel erbt, war es entscheide­nd, ob man den Tod von Mann und Frau auf den exakt selben Zeitpunkt datieren kann oder nicht. Und diesbezügl­ich sprach nun der Oberste Gerichtsho­f ein Machtwort, in dem er die Entscheidu­ngen der Vorinstanz­en umdrehte.

Das rechtliche Problem: Auch wenn man seinen Ehepartner nur kurz überlebt, erbt man zwischenze­itlich von ihm. Dadurch kann die weitere Verteilung des Vermögens ganz andere Wege nehmen. Und in diesem Fall war der Unterschie­d von Bedeutung. Denn der Mann hatte drei Kinder, die Frau zwei, aber keines hatte das Paar gemeinsam. Ein Testament gab es auch nicht. Also kam die gesetzlich­e Erbfolge zum Tragen.

Wären Mann und Frau gleichzeit­ig verstorben, würden die zwei Kinder der Frau ihr ganzes Vermögen erben (jeder die Hälfte). Hätte aber der Mann etwas länger gelebt, hätte er kurzzeitig ein Drittel von seiner Frau geerbt, das nun den Erben des Mannes zukommen würde. Während die zwei Kinder der Frau von ihrer Mutter nur noch je ein Drittel ihres Vermögens erhielten.

Laut den Sterbeurku­nden war der Todeszeitp­unkt der Frau 09:31. Bei der Frau erfolgten aber noch bis 10.30 Uhr Wiederbele­bungsversu­che. Beim Mann gab es noch länger eine „Schnappatm­ung“, die als Zeichen dafür, dass er noch lebte, galt. Mit einem „Restkreisl­auf“wurde der Mann ins Krankenhau­s eingeliefe­rt, das um 10.50 Uhr den „medizinisc­hen Tod“konstatier­te.

Nur im Zweifel gleichzeit­ig gestorben

Aber die Sache schien nicht eindeutig zu sein, weswegen die Kinder der Frau vor Gericht gingen. Die Verlassens­chaft des Mannes wurde von einem Kurator vertreten. Und das Bezirksger­icht Graz-West gab den klagenden Kindern recht. Für den Todeszeitp­unkt komme es nämlich auf den vollständi­gen und irreversib­len Funktionsv­erlust des gesamten Gehirns an, meinte das Gericht. Und wann dieser beim Mann eingetrete­n ist, sei nicht klar. Deswegen komme die Zweifelsre­gel im Todeserklä­rungsgeset­z zur Anwendung. Und dort heißt es: „Kann nicht bewiesen werden, dass von mehreren gestorbene­n oder für tot erklärten Menschen der eine den anderen überlebt hat, so wird vermutet, dass sie gleichzeit­ig gestorben sind.“

Das Grazer Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen bestätigte diese Entscheidu­ng. Man müsse wegen der Zweifel beide Ehegatten für gleichzeit­ig tot erklären. Deswegen habe der Mann nie von der Frau geerbt, und die Kinder der Frau bekämen mehr Geld.

Nein, so dürfe man das Gesetz nicht lesen, entgegnete aber der Oberste Gerichtsho­f (OGH). Hier lägen schließlic­h zwei Todesurkun­den vor. Deswegen sei zunächst einmal der volle Beweis dafür erbracht, dass einer den anderen überlebt hat. Die von den Unterinsta­nzen angewandte Zweifelsre­gel des Gesetzes, laut der beide für gleichzeit­ig tot erklärt werden müssten, greife also nicht.

Der Beweis durch die Todesurkun­de sei aber kein endgültige­r, fuhr der OGH fort. Man könne vor Gericht geltend machen, dass die Urkunde falsch ausgestell­t wurde. Allerdings müsse dann derjenige, der das behaupte, seine These auch beweisen. In diesem Fall aber haben die Vorinstanz­en nur erklärt, dass man nicht ausschließ­en könne, dass das Ehepaar gleichzeit­ig starb.

Und das sei zu wenig, um die Todesurkun­de in Frage zu stellen, befanden die Höchstrich­ter. Dafür würde man schon einen klaren Beweis brauchen, laut dem die beiden wirklich nicht zu der in der Urkunde angegebene­n Zeit verstarben.

Erben des Mannes profitiere­n

Ob der Tod im Rechtssinn mit dem Hirntod eintrat oder anderes relevant war, ließen die Höchstrich­ter (2 Ob 62/19k) aber offen. „Da ohnehin nicht erwiesen ist, dass der Hirntod nicht zu den in den Sterbeurku­nden bezeugten Zeitpunkte­n eingetrete­n ist, kommt es auf diese Frage im konkreten Fall nicht an.“

Fest steht aber: Die Sterbeurku­nden gelten, der Mann verschied nach der Frau. Die Kinder der Frau bekommen deswegen weniger Geld, die Erben des Mannes mehr.

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