Wenn Erben um Minuten streiten
Hinterlassenschaft. Ein Ehepaar kam bei einem Unfall zu Tode. Aber blieb der Mann etwas länger am Leben als die Frau? Von dieser Frage hing ab, wer was erbt.
Ein Ehepaar starb bei einem Autounfall. Aber starb die Frau früher? Davon hängt ab, wer was erbt.
Es war ein tragischer Verkehrsunfall, in den ein Ehepaar vor fünf Jahren verwickelt war. Die ärztliche Kunst war bald erschöpft, man musste den Tod des Paares feststellen. Längerfristig war nur noch die juristische Kunst gefragt, ging es doch um die Aufteilung des Erbes. Denn für die Frage, wer wie viel erbt, war es entscheidend, ob man den Tod von Mann und Frau auf den exakt selben Zeitpunkt datieren kann oder nicht. Und diesbezüglich sprach nun der Oberste Gerichtshof ein Machtwort, in dem er die Entscheidungen der Vorinstanzen umdrehte.
Das rechtliche Problem: Auch wenn man seinen Ehepartner nur kurz überlebt, erbt man zwischenzeitlich von ihm. Dadurch kann die weitere Verteilung des Vermögens ganz andere Wege nehmen. Und in diesem Fall war der Unterschied von Bedeutung. Denn der Mann hatte drei Kinder, die Frau zwei, aber keines hatte das Paar gemeinsam. Ein Testament gab es auch nicht. Also kam die gesetzliche Erbfolge zum Tragen.
Wären Mann und Frau gleichzeitig verstorben, würden die zwei Kinder der Frau ihr ganzes Vermögen erben (jeder die Hälfte). Hätte aber der Mann etwas länger gelebt, hätte er kurzzeitig ein Drittel von seiner Frau geerbt, das nun den Erben des Mannes zukommen würde. Während die zwei Kinder der Frau von ihrer Mutter nur noch je ein Drittel ihres Vermögens erhielten.
Laut den Sterbeurkunden war der Todeszeitpunkt der Frau 09:31. Bei der Frau erfolgten aber noch bis 10.30 Uhr Wiederbelebungsversuche. Beim Mann gab es noch länger eine „Schnappatmung“, die als Zeichen dafür, dass er noch lebte, galt. Mit einem „Restkreislauf“wurde der Mann ins Krankenhaus eingeliefert, das um 10.50 Uhr den „medizinischen Tod“konstatierte.
Nur im Zweifel gleichzeitig gestorben
Aber die Sache schien nicht eindeutig zu sein, weswegen die Kinder der Frau vor Gericht gingen. Die Verlassenschaft des Mannes wurde von einem Kurator vertreten. Und das Bezirksgericht Graz-West gab den klagenden Kindern recht. Für den Todeszeitpunkt komme es nämlich auf den vollständigen und irreversiblen Funktionsverlust des gesamten Gehirns an, meinte das Gericht. Und wann dieser beim Mann eingetreten ist, sei nicht klar. Deswegen komme die Zweifelsregel im Todeserklärungsgesetz zur Anwendung. Und dort heißt es: „Kann nicht bewiesen werden, dass von mehreren gestorbenen oder für tot erklärten Menschen der eine den anderen überlebt hat, so wird vermutet, dass sie gleichzeitig gestorben sind.“
Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen bestätigte diese Entscheidung. Man müsse wegen der Zweifel beide Ehegatten für gleichzeitig tot erklären. Deswegen habe der Mann nie von der Frau geerbt, und die Kinder der Frau bekämen mehr Geld.
Nein, so dürfe man das Gesetz nicht lesen, entgegnete aber der Oberste Gerichtshof (OGH). Hier lägen schließlich zwei Todesurkunden vor. Deswegen sei zunächst einmal der volle Beweis dafür erbracht, dass einer den anderen überlebt hat. Die von den Unterinstanzen angewandte Zweifelsregel des Gesetzes, laut der beide für gleichzeitig tot erklärt werden müssten, greife also nicht.
Der Beweis durch die Todesurkunde sei aber kein endgültiger, fuhr der OGH fort. Man könne vor Gericht geltend machen, dass die Urkunde falsch ausgestellt wurde. Allerdings müsse dann derjenige, der das behaupte, seine These auch beweisen. In diesem Fall aber haben die Vorinstanzen nur erklärt, dass man nicht ausschließen könne, dass das Ehepaar gleichzeitig starb.
Und das sei zu wenig, um die Todesurkunde in Frage zu stellen, befanden die Höchstrichter. Dafür würde man schon einen klaren Beweis brauchen, laut dem die beiden wirklich nicht zu der in der Urkunde angegebenen Zeit verstarben.
Erben des Mannes profitieren
Ob der Tod im Rechtssinn mit dem Hirntod eintrat oder anderes relevant war, ließen die Höchstrichter (2 Ob 62/19k) aber offen. „Da ohnehin nicht erwiesen ist, dass der Hirntod nicht zu den in den Sterbeurkunden bezeugten Zeitpunkten eingetreten ist, kommt es auf diese Frage im konkreten Fall nicht an.“
Fest steht aber: Die Sterbeurkunden gelten, der Mann verschied nach der Frau. Die Kinder der Frau bekommen deswegen weniger Geld, die Erben des Mannes mehr.