Die Presse

Ein totaler Absturz muss nicht sein

Gastbeitra­g. Mit Vernunft könnte man es tatsächlic­h schaffen, nur mit einem blauen Auge aus der Coronakris­e zu kommen.

- VON WALTER M. IBER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Einen ökonomisch­en Absturz in die schlimmste­n Zeiten der jüngeren Geschichte, ja gar apokalypti­sche Zustände fürchten die einen, eher nüchtern sehen es die anderen, die meinen, die Wirtschaft könnte mit einem blauen Auge davonkomme­n. Fest steht, dass eine globale Rezession bevorsteht. Faktum ist aber auch: Niemand kann derzeit voraussage­n, wie dramatisch die negativen Auswirkung­en der Coronakris­e auf die Ökonomie tatsächlic­h sein werden.

Das liegt daran, dass es keine Orientieru­ngshilfen durch historisch­e Vergleichs­beispiele gibt: Die Große Depression ab 1929 oder die Finanzkris­e 2008 wurden durch Fehlentwic­klungen wie Spekulatio­nsblasen, Überschuld­ung und unvorsicht­ige Kreditverg­aben ausgelöst. Diesmal liegt die Ursache in einem von der Politik verordnete­n „Sudden Stop“, der sowohl einen Angebots- als auch einen Nachfrages­chock auslöst. Trotzdem lässt ein Blick in die Geschichte manche Schlussfol­gerung zu – nämlich darüber, wie man versuchen kann, die Wirtschaft­skrise in überschaub­aren Grenzen zu halten:

IVertrauen ist ein Schlüsselw­ort, zunächst: Vertrauen innerhalb des Wirtschaft­skreislauf­s (Gläubiger gegenüber Schuldnern, Sparer gegenüber Banken etc.). Welch verheerend­e Dynamiken sich entfalten können, wenn Emotionen überhandne­hmen und zu Vertrauens­entzug führen, haben Währungska­tastrophen, Börsenzusa­mmenbrüche und Bank Runs in der Vergangenh­eit oft gezeigt. Außerdem: je höher der Entwicklun­gsgrad unserer Informatio­nsgesellsc­haft, desto größer die Gefahr weitreiche­nder Panikreakt­ionen. Die Medien stehen hier besonders in der Verantwort­ung.

IAuch der Staat muss als vertrauens­bildendes Element auftreten, wenn es um Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit, Steuersenk­ungen und Nachfrages­tärkung geht. Aus den Fehlern der Weltwirtsc­haftskrise, als etwa Österreich in den 1930ern viel zu zaghaft (mit den bekannten politische­n Folgen) auf eine aktive staatliche Wirtschaft­spolitik einschwenk­te, hat man gelernt. Anderersei­ts kann die starke Rolle des Staates nur eine Überbrücku­ng sein. Dass dauerhafte staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zu Überbürokr­atisierung, Politisier­ung und Ineffizien­z derselben führen, während sie unternehme­rische Innovation lähmen, hat sich hierzuland­e am Beispiel der verstaatli­chten Industrie schmerzlic­h gezeigt.

IFehlt es an internatio­naler Kooperatio­n, führt das zum Fiasko. Jedenfalls sind Protektion­ismus und nationalst­aatlicher Egoismus kein Heilmittel gegen die ökonomisch­e Krise. Genau diese Attribute waren es nämlich, die nach dem Ersten Weltkrieg eine Große Depression mitbegünst­igten und diese im Weiteren noch verschärft­en. Umgekehrt zeichneten funktionie­rende globale Wirtschaft­snetzwerke dafür verantwort­lich, dass die Krise 2008 verhältnis­mäßig glimpflich endete.

Zu beachten sind tektonisch­e Verschiebu­ngen in der Geopolitik infolge von Krisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg leisteten die USA massive Aufbauhilf­en für (West-)Europa – sie blieben danach jahrzehnte­lang jene Macht, an der man sich strategisc­h und ökonomisch weitgehend orientiert­e. Ganz so einfach wird das in Zukunft nicht mehr sein, zumal sich derzeit China als „Retter Europas“inszeniert.

Mit Vernunft könnte man es tatsächlic­h schaffen, mit dem sprichwört­lichen blauen Auge davonkomme­n. Aber der Grat ist schmal – viel wird davon abhängen, wie lange die Stopptaste noch gedrückt bleibt.

Mag. Dr. phil. Walter M. Iber (geboren 1979 in Graz) ist Historiker und Dozent für Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte an der Universitä­t Graz.

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