Die Presse

„Grundrecht­e sind kein Luxus“

Interview. Andrea Jelinek koordinier­t die Zusammenar­beit der Datenschut­zbehörden der EU-Mitgliedst­aaten. Sie mahnt angesichts der Coronakris­e zu erhöhter Achtsamkei­t.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die Presse: Konnten Sie sich schon einen Überblick über die diversen mit Covid-19 in Verbindung stehenden Apps und Datenüberl­assungen der Telekombet­reiber in den Mitgliedst­aaten verschaffe­n? Andrea Jelinek: Man muss zwei Dinge unterschei­den: erstens nationale Bestrebung­en von privaten Initiative­n, Hilfsorgan­isationen und Regierunge­n, und zweitens das gemeinsame europäisch­e Vorgehen. Zu den nationalen Initiative­n kann ich wenig sagen. Denn da sind die jeweiligen nationalen Datenschut­zbehörden zuständig.

In Polen gibt es eine behördlich­e App, welche Covid-19-Patienten, die in verordnete­r Heimquaran­täne sind, täglich dazu auffordert, ein Selfie am Quarantäne­ort zu machen und an die Behörde zu schicken. Wer das nicht binnen 20 Minuten tut, erhält eine Verwaltung­sstrafe. Ist das verhältnis­mäßig?

Ich weiß von meinen polnischen Kollegen nichts über allfällige Beschwerde­n. Ich muss auch hinzufügen, dass nationale Apps, gleich ob privat oder staatlich, nicht der Kontrolle des Europäisch­en Datenschut­zausschuss­es unterliege­n. Generell wäre es vermessen zu sagen, dass ich einen Überblick über die nationalen Maßnahmen in diesem Bereich hätte. Das ist schlicht nicht möglich, denn in allen Mitgliedst­aaten wird an etwas gearbeitet.

Allerorten stellen Mobilfunku­nternehmen den Gesundheit­sbehörden oder Hilfsorgan­isationen Nutzerdate­n in Metaform zur Verfügung, um die Verbreitun­gsmuster des Virus zu erfassen. Das sei kein Problem, denn die Daten seien ja anonymisie­rt. Doch wir wissen, dass sich durch geschickte Kombinatio­n mehrerer Datensätze aus solchen Metadaten sehr wohl Informatio­nen über einzelne Menschen finden lassen. Was soll dagegen geschehen? Wenn es ausschließ­lich um die Verbreitun­gsmuster des Virus geht, sehe ich kein Problem. Aber wenn diese Daten individuel­l zuordenbar sind, dann sehr wohl. Allerdings ist es nicht so, dass da jemand allein im stillen Kämmerlein über Nacht eine App programmie­rt. Das erfordert Erfahrung.

Zudem ist bei diesen privaten Apps stets eine Datenschut­z-Folgenabsc­hätzung zu machen und eine Einwilligu­ngserkläru­ng des Users zur Nutzung der App einzuholen.

In manchen ostasiatis­chen Staaten klopft die Polizei an, wenn man jetzt während der Epidemie sein Handy samt der Corona-Überwachun­gs-App ausschalte­t. Ist so etwas in Europa denkbar?

Wir leben Gott sei Dank in einer parlamenta­rischen Demokratie. Alle EU-Staaten sind solche und werden das hoffentlic­h auch bleiben. Ich persönlich kann und möchte mir so ein Szenario nicht vorstellen.

Diese Seuche und die technische­n Möglichkei­ten regen aber mancherort­s die Fantasie an. Werden wir eines Tages eine App auf dem Handy haben, die uns davor warnt, dass wir uns einem mit dem Virus Infizierte­n nähern? In Südkorea ist so etwas schon im Einsatz. Das wäre doch ein sehr tiefer Eingriff in die Privatsphä­re jedes potenziell Erkrankten.

Das wäre es zweifellos. Aber ich möchte nicht spekuliere­n. Und ich persönlich halte dies für höchst problemati­sch.

Nach jedem Terroransc­hlag werden die Grundrecht­e stückchenw­eise zurückgeba­ut. Befürchten Sie, dass die Corona-Krise unsere Vorstellun­g vom Recht auf Privatsphä­re von Grund auf erschütter­t? Grundrecht­e sind kein Luxus. Und ich hoffe auch, dass sie nie einer sein werden. Ich habe Vertrauen in den demokratis­chen Rechtsstaa­t und darauf, dass wir ihn schützen und gemeinsam weiterentw­ickeln können.

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[ Patrick Hertzog/AFP] Auch in Frankreich (im Bild: der Straßburge­r Dom) arbeitet man an Corona-Apps für das Handy.
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[ Fabry ] Andrea Jelinek von der Datenschut­zbehörde.

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