Billionen gegen den Systemkollaps
Notenbanken rund um den Globus haben seit Anfang März mit dramatischen Aktionen auf das Coronavirus reagiert. Die wichtigsten Maßnahmen im Überblick.
Wien. So schnell kann es gehen: Als vor einigen Wochen Produktionsstätten in China stillgelegt und Lieferketten unterbrochen wurden, befanden sich die Notenbanken der westlichen Hemisphäre noch in einer Warteposition. Doch spätestens seit sich das Coronavirus seinen Weg nach Europa und in die USA gebahnt hat, das Schließen von Geschäften angeordnet und Quarantänemaßnahmen ergriffen wurden, war zügiges Handeln angesagt. Den Industriestaaten steht eine Rezession ins Haus, über deren Ausmaß sich nur spekulieren lässt. Um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, haben die Notenbanken in den vergangenen Wochen massiv und mehrfach interveniert. Eine Zusammenfassung:
Praktisch überfallsartig hat die Federal Reserve am 3. März ihren Leitzinssatz um ganze 0,5 Prozentpunkte gesenkt. Ein Schritt, der an diesem Tag höchst ungewöhnlich erschien, hatte es einen solchen doch seit der Finanzkrise nicht mehr gegeben. Inzwischen hat die Fed mit einer Vielzahl an Maßnahmen nachgelegt: So stellte sie den Banken zunächst 1500 Milliarden Dollar an Liquidität zur Verfügung und verabschiedete sich von ihrer Beschränkung, monatlich „nur“60 Mrd. Dollar an Anleihen mit kurzer Laufzeit zu erwerben. Am Sonntag, dem 15. März, um zehn Uhr abends folgte dann die nächste Überraschung. Die US-Notenbank senkte ihren Leitzinssatz auf eine Spanne zwischen null und 0,25 Prozent, legte ein 500 Mrd. Dollar schweres Programm zum Kauf von Staatsanleihen auf und nahm sich nun auch des Marktes für hypothekenbesicherte Wertpapiere an.
Zurück ist auch der Kauf sogenannter Commercial Papers. Das sind Papiere, über die sich Unternehmen kurzfristig Geld beschaffen. Schon während der Finanzkrise hatte die Notenbank dieses Instrument angewandt. Der direkte Kauf von Unternehmensanleihen ist der Fed nicht gestattet, die ehemaligen Fed-Präsidenten Ben Bernanke und Janet Yellen plädierten aber bereits öffentlich dafür, diese Beschränkung aufzuheben.
Erst am Beginn dieser Woche ging die Fed dann „all in“. Sie kündigte unter anderem den unbegrenzten Kauf von US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren an. Die kurz zuvor beschlossene Obergrenzen ließ man fallen. „Das Tempo und das Ausmaß des Instrumenteneinsatzes der US-Notenbank sind beispiellos und stellen das Krisenmanagement nach 2007 weit in den Schatten“urteilt die Commerzbank. In einem raren TV-Interview erklärte Fed-Chef Jerome Powell den Amerikanern am Donnerstag zum Frühstück: Der Fed werde die Munition nicht ausgehen.
Auch die Europäische Zentralbank ist seit der ersten Märzhälfte im Handlungsmodus angekommen. Entgegen der Erwartung vieler hielt sie an ihrem Leitzinssatz von null Prozent und ihrem negativen Einlagenzinssatz von 0,5 Prozent fest. Daran hat sich bisher auch nichts geändert. Sie verkündete zunächst, bis Jahresende Anleihen im Volumen von 120 Mrd. Euro in das System pumpen zu wollen. Auch wurden Liquiditätsspritzen für Banken zu günstigeren Konditionen angekündigt. Die Maßnahmen werden von der Bankenaufsicht begleitet, die die Kapitalanforderungen für Finanzinstitute lockert. Das soll die Finanzierung insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen sicherstellen.
Kurze Zeit später erklärte die EZB, alle beschlossenen Maßnahmen gegebenenfalls anzupassen. Am 19. März, um 00.30 Uhr, war es dann so weit: Präsidentin Christine Lagarde ging mit einem weiteren und 750 Mrd. Euro schweren Notfallprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme) in die Vollen. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Handeln“, so Lagarde. Zusammen mit den bereits laufenden und geplanten Käufen von Staatsanleihen, Firmenanleihen und anderen Titeln steigt das Volumen aller Anleihenkäufe heuer damit auf 1,1 Billionen Euro.
Auch wird man sich erstmals griechische Staatsanleihen ins Portfolio legen können, die aufgrund ihres schlechten Ratings bisher nicht infrage kamen. Zuletzt waren die Aufschläge für Anleihen aus den Peripheriestaaten wieder deutlich gestiegen. Die Ankäufe funktionieren nach einem bestimmten Kapitalschlüssel, doch ist eine flexible Anwendung offenbar nicht ausgeschlossen. Am Donnerstag dieser Woche kippte die EZB dann ihre selbst gesteckte Obergrenze für den Kauf von Staatsanleihen. Diese untersagte es ihr bisher, über ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Landes zu halten. Ländern wie Italien kann man damit noch stärker unter die Arme greifen.
Inzwischen ist auch die Ausgabe von gemeinschaftlichen Schulden, Stichwort „Corona-Bonds“, nicht mehr ausgeschlossen. Auch der Einsatz des OMT-Programms (Outright Monetary Transactions) wird an den Märkten immer wieder ins Spiel gebracht. Es erlaubt den unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen einzelner Länder. Das
Programm wurde 2012 ins Leben gerufen – kam bisher aber nie zum Einsatz. Zudem müsste sich das betroffene Land in einem europäischen Hilfsprogramm befinden.
Man könnte meinen, weil Japan geografisch betrachtet näher an China liegt, hätte es das Coronavirus früher kommen sehen müssen. Doch noch Ende Jänner hatte die Notenbank ganz andere Sorgen: die niedrige Inflation. Um sie zu bewältigen, hielt man an der schon bisher extrem lockeren Geldpolitik fest. Wenige Wochen später gab es dann auch hier die ersten außerordentlichen Geldspritzen. Den Banken des Landes bot man den Ankauf von Staatsanleihen im Volumen von umgerechnet mehr als vier Mrd. Euro an. Wenige Tage später erhöhte man diesen Betrag. Wie die anderen Zentralbanken auch, beließ es die japanische nicht bei diesen Interventionen. Sie beschloss, börsengehandelte Indexfonds (ETF) in einem jährlichen Volumen von etwa zwölf Billionen Yen (umgerechnet gut 101 Mrd. Euro) zu kaufen. Das ist doppelt so viel wie bisher. Auch stellte sie zwei Billionen Yen für zusätzliche Käufe von Wertpapieren und Unternehmensanleihen bereit. Damit soll ein Einfrieren der Kreditmärkte verhindert werden.
Was die großen Notenbanken der Welt auch gemacht haben: Sie haben den Banken ausreichend Dollar zur Verfügung gestellt, die diese für Geschäfte, etwa mit Unternehmen, benötigen.