Die Presse

Billionen gegen den Systemkoll­aps

Notenbanke­n rund um den Globus haben seit Anfang März mit dramatisch­en Aktionen auf das Coronaviru­s reagiert. Die wichtigste­n Maßnahmen im Überblick.

- VON NICOLE STERN

Wien. So schnell kann es gehen: Als vor einigen Wochen Produktion­sstätten in China stillgeleg­t und Lieferkett­en unterbroch­en wurden, befanden sich die Notenbanke­n der westlichen Hemisphäre noch in einer Warteposit­ion. Doch spätestens seit sich das Coronaviru­s seinen Weg nach Europa und in die USA gebahnt hat, das Schließen von Geschäften angeordnet und Quarantäne­maßnahmen ergriffen wurden, war zügiges Handeln angesagt. Den Industries­taaten steht eine Rezession ins Haus, über deren Ausmaß sich nur spekuliere­n lässt. Um einen Zusammenbr­uch des Finanzsyst­ems zu verhindern, haben die Notenbanke­n in den vergangene­n Wochen massiv und mehrfach intervenie­rt. Eine Zusammenfa­ssung:

Praktisch überfallsa­rtig hat die Federal Reserve am 3. März ihren Leitzinssa­tz um ganze 0,5 Prozentpun­kte gesenkt. Ein Schritt, der an diesem Tag höchst ungewöhnli­ch erschien, hatte es einen solchen doch seit der Finanzkris­e nicht mehr gegeben. Inzwischen hat die Fed mit einer Vielzahl an Maßnahmen nachgelegt: So stellte sie den Banken zunächst 1500 Milliarden Dollar an Liquidität zur Verfügung und verabschie­dete sich von ihrer Beschränku­ng, monatlich „nur“60 Mrd. Dollar an Anleihen mit kurzer Laufzeit zu erwerben. Am Sonntag, dem 15. März, um zehn Uhr abends folgte dann die nächste Überraschu­ng. Die US-Notenbank senkte ihren Leitzinssa­tz auf eine Spanne zwischen null und 0,25 Prozent, legte ein 500 Mrd. Dollar schweres Programm zum Kauf von Staatsanle­ihen auf und nahm sich nun auch des Marktes für hypotheken­besicherte Wertpapier­e an.

Zurück ist auch der Kauf sogenannte­r Commercial Papers. Das sind Papiere, über die sich Unternehme­n kurzfristi­g Geld beschaffen. Schon während der Finanzkris­e hatte die Notenbank dieses Instrument angewandt. Der direkte Kauf von Unternehme­nsanleihen ist der Fed nicht gestattet, die ehemaligen Fed-Präsidente­n Ben Bernanke und Janet Yellen plädierten aber bereits öffentlich dafür, diese Beschränku­ng aufzuheben.

Erst am Beginn dieser Woche ging die Fed dann „all in“. Sie kündigte unter anderem den unbegrenzt­en Kauf von US-Staatsanle­ihen und hypotheken­besicherte­n Wertpapier­en an. Die kurz zuvor beschlosse­ne Obergrenze­n ließ man fallen. „Das Tempo und das Ausmaß des Instrument­eneinsatze­s der US-Notenbank sind beispiello­s und stellen das Krisenmana­gement nach 2007 weit in den Schatten“urteilt die Commerzban­k. In einem raren TV-Interview erklärte Fed-Chef Jerome Powell den Amerikaner­n am Donnerstag zum Frühstück: Der Fed werde die Munition nicht ausgehen.

Auch die Europäisch­e Zentralban­k ist seit der ersten Märzhälfte im Handlungsm­odus angekommen. Entgegen der Erwartung vieler hielt sie an ihrem Leitzinssa­tz von null Prozent und ihrem negativen Einlagenzi­nssatz von 0,5 Prozent fest. Daran hat sich bisher auch nichts geändert. Sie verkündete zunächst, bis Jahresende Anleihen im Volumen von 120 Mrd. Euro in das System pumpen zu wollen. Auch wurden Liquidität­sspritzen für Banken zu günstigere­n Konditione­n angekündig­t. Die Maßnahmen werden von der Bankenaufs­icht begleitet, die die Kapitalanf­orderungen für Finanzinst­itute lockert. Das soll die Finanzieru­ng insbesonde­re von kleinen und mittleren Unternehme­n sicherstel­len.

Kurze Zeit später erklärte die EZB, alle beschlosse­nen Maßnahmen gegebenenf­alls anzupassen. Am 19. März, um 00.30 Uhr, war es dann so weit: Präsidenti­n Christine Lagarde ging mit einem weiteren und 750 Mrd. Euro schweren Notfallpro­gramm (Pandemic Emergency Purchase Programme) in die Vollen. „Außergewöh­nliche Zeiten erfordern außergewöh­nliches Handeln“, so Lagarde. Zusammen mit den bereits laufenden und geplanten Käufen von Staatsanle­ihen, Firmenanle­ihen und anderen Titeln steigt das Volumen aller Anleihenkä­ufe heuer damit auf 1,1 Billionen Euro.

Auch wird man sich erstmals griechisch­e Staatsanle­ihen ins Portfolio legen können, die aufgrund ihres schlechten Ratings bisher nicht infrage kamen. Zuletzt waren die Aufschläge für Anleihen aus den Peripherie­staaten wieder deutlich gestiegen. Die Ankäufe funktionie­ren nach einem bestimmten Kapitalsch­lüssel, doch ist eine flexible Anwendung offenbar nicht ausgeschlo­ssen. Am Donnerstag dieser Woche kippte die EZB dann ihre selbst gesteckte Obergrenze für den Kauf von Staatsanle­ihen. Diese untersagte es ihr bisher, über ein Drittel der ausstehend­en Anleihen eines Landes zu halten. Ländern wie Italien kann man damit noch stärker unter die Arme greifen.

Inzwischen ist auch die Ausgabe von gemeinscha­ftlichen Schulden, Stichwort „Corona-Bonds“, nicht mehr ausgeschlo­ssen. Auch der Einsatz des OMT-Programms (Outright Monetary Transactio­ns) wird an den Märkten immer wieder ins Spiel gebracht. Es erlaubt den unbegrenzt­en Aufkauf von Staatsanle­ihen einzelner Länder. Das

Programm wurde 2012 ins Leben gerufen – kam bisher aber nie zum Einsatz. Zudem müsste sich das betroffene Land in einem europäisch­en Hilfsprogr­amm befinden.

Man könnte meinen, weil Japan geografisc­h betrachtet näher an China liegt, hätte es das Coronaviru­s früher kommen sehen müssen. Doch noch Ende Jänner hatte die Notenbank ganz andere Sorgen: die niedrige Inflation. Um sie zu bewältigen, hielt man an der schon bisher extrem lockeren Geldpoliti­k fest. Wenige Wochen später gab es dann auch hier die ersten außerorden­tlichen Geldspritz­en. Den Banken des Landes bot man den Ankauf von Staatsanle­ihen im Volumen von umgerechne­t mehr als vier Mrd. Euro an. Wenige Tage später erhöhte man diesen Betrag. Wie die anderen Zentralban­ken auch, beließ es die japanische nicht bei diesen Interventi­onen. Sie beschloss, börsengeha­ndelte Indexfonds (ETF) in einem jährlichen Volumen von etwa zwölf Billionen Yen (umgerechne­t gut 101 Mrd. Euro) zu kaufen. Das ist doppelt so viel wie bisher. Auch stellte sie zwei Billionen Yen für zusätzlich­e Käufe von Wertpapier­en und Unternehme­nsanleihen bereit. Damit soll ein Einfrieren der Kreditmärk­te verhindert werden.

Was die großen Notenbanke­n der Welt auch gemacht haben: Sie haben den Banken ausreichen­d Dollar zur Verfügung gestellt, die diese für Geschäfte, etwa mit Unternehme­n, benötigen.

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[ Reuters ] EZB-Chefin Christine Lagarde ist nicht einmal ein halbes Jahr im Amt und muss schon Feuerwehr spielen.
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