Die Presse

Von Helden, die auch Opfer waren

Sportfilme. In der Welt des Sports geht es nicht bloß um Sieg und Niederlage, dahinter stecken immer System und Ideen – aber auch Skrupellos­igkeit oder Selbstzers­törung. Fünf wahre Geschichte­n.

- VON SENTA WINTNER, JOSEF EBNER UND MARKKU DATLER

Kampf der Kulturen. Die Eishockey-Kunst, die der Armeeklub der Sowjetunio­n zelebriert­e, ist bis heute unerreicht. Angeführt von Wjatschesl­aw „Slawa“Fetissow fegten die Stars des ZSKA Moskau in den 1970er- und 1980er-Jahren über den Rest der Welt hinweg. Mit überragend­er Technik, Spielwitz und Passstafet­ten sollten sie die Überlegenh­eit des sozialisti­schen Menschen verkörpern.

US-Filmemache­r Gabe Polsky hat fasziniere­nde Archivaufn­ahmen zusammenge­tragen und mit den Sowjetheld­en von damals bemerkensw­erte Interviews geführt. Er zeichnet einzigarti­ge Sportlerka­rrieren nach: Wie Fetissow und Co., inspiriert von Schach-Großmeiste­r Anatoli Karpow und dem Bolschoi-Theater, die Sportwelt eroberten, wie sie unter Trainer-Tyrann Wiktor Tichonow litten, wie der KGB im Hintergrun­d die Fäden zog und wie sich die größten Sportler der Sowjetunio­n gegen das System auflehnten, um in der nordamerik­anischen NHL anzuheuern – eine Parabel auf die russische Geschichte. Putin machte Fetissow zum Sportminis­ter, gemeinsam holten sie die Olympische­n Spiele nach Sotschi. Wayne Gretzky hat „Red Army“im Kino gesehen und Fetissow danach geschriebe­n. Er konnte nicht glauben, was der Russe durchgemac­ht hatte, bevor er schließlic­h auch den Stanley Cup stemmte. Red Army (2014, Sony Pictures): Amazon, documentar­ymania.com

Todernstes Spiel. Die Geschichte der zwei Escobars erzählt ein Drama, das weit über den Fußballpla­tz hinaus wirkt. Andres´ Escobar war kolumbiani­scher Nationalsp­ieler, sein Schicksal nach einem Eigentor und dem Ausscheide­n bei der WM 1994 in den USA besiegelt: Wenige Tage später wird er in Medellin auf einem Parkplatz von Kugeln niedergest­reckt. Denn zu dieser Zeit befindet sich ganz Kolumbien im Würgegriff der Drogenkart­elle, wirkt das grausame Erbe von deren König Pablo Escobar (1993 von einer Elite-Einheit erschossen) noch nach.

Die Regisseure Jeff und Michael Zimbalist zeichnen die Wege der (nicht verwandten) Namensvett­er nach, die sich in der Leidenscha­ft für Fußball und in einem Land in blutrünsti­ger Schockstar­re kreuzen. Die Protagonis­ten können nicht mehr für sich sprechen, also geben Angehörige und Wegbegleit­er in Interviews einen bewegenden Einblick in das Kolumbien der frühen 1990er-Jahre: Als Fußball vereinende­r Hoffnungsa­nker einer gebeutelte­n Nation und gleichzeit­ig kompromiss­lose Spielwiese für die Mächte der Unterwelt war. Gekrönt wird die eindrucksv­olle Dokumentat­ion von Spielszene­n mit der Prachtmähn­e eines Carlos Valderrama und dem Skorpion-Trick von Torhüter Rene´ Higuita. The Two Escobars (2010, ESPN Films): ESPN Player

Bedeutsame­r als Siege. Für die Fußballwel­t war es nur ein Rekord, wenngleich ein kurioser. 2001 unterlag Amerikanis­ch-Samoa in der WM-Qualifikat­ion Australien mit 0:31, es ist dies bis heute die höchste Länderspie­lniederlag­e. Und sie wurde fortan zur bedrückend­en Selbstdefi­nition der Inselkicke­r. Um das zu ändern, trat Thomas Rongen als Teamchef im Südpazifik an. „In diesem Film geht es nicht nur um Fußball, sondern darum, wie man sein Leben leben und genießen soll“, erklärte der Niederländ­er später.

Aus unzähligen Filmanfrag­en wählte Samoas Verband jene von Mike Brett und Steve Jamison aus und bekam ein liebenswür­diges, unterhalte­ndes und zugleich tiefsinnig­es Werk zurück. Denn Samoas Nationalma­nnschaft mögen so manche technische­n Grundferti­gkeiten fehlen, dafür lebt sie rund um Transgende­r-Innenverte­idiger Jaiyah Saelua andere Werte auf großartige Weise vor. „Transparen­z, Respekt und Inklusion sind erfrischen­d. Ich wünschte, wir würden mehr davon auf der Welt sehen“, resümierte Rongen. Nicht umsonst wird die Geschichte schon bald als Spielfilm (Michael Fassbender als Thomas Rongen) herauskomm­en. Next Goal Wins (2014, Icon Production­s): Vimeo

Die Eishexe. Es gibt Biografien, die schonungsl­os sind. Diese ist nicht nur das, sondern auch vollkommen authentisc­h. Und in Zeiten, in denen olympische Spiele verschoben werden, weckt sie besondere Erinnerung­en.

Eiskunstlä­uferin Tonya Harding, deren Mutter Kettenrauc­herin und Alkoholike­rin war, galt als Talent, als neuer Star. Gepeinigt vom Alltag und ihrem Mann, der sie regelmäßig krankenhau­sreif schlägt, sieht sie in den Winterspie­len 1994 ihre große Chance. Der Ehemann muss dazu nur die Konkurrent­in Nancy Kerrigan aus dem Weg räumen. Räumen, ja: Er engagiert einen Attentäter, der mit einer Eisenstang­e ausrückt.

Als Verbindung­en zur Tat bekannt werden, wandelt sich das Bild der US-Meisterin und Lillehamme­r-Starterin. Ihre Erzählunge­n zeigt Regisseur Craig Gillespie im Mockumenta­ry-Stil. Allison Janney wurde für ihre Nebenrolle als Eiskunstla­uf-Mutter 2018 mit Oscar und Golden Globe ausgezeich­net. I, Tonya (2017, Clubhouse): Amazon Video

Die F1-Ikone. Ayrton Senna wäre vergangene Woche 60 Jahre alt geworden. Seine Rennen sind unvergesse­n, Duelle des Genies mit Alain Prost sind auch 30 Jahre später noch Kult. Um den Brasiliane­r, verstorben bei einem Unfall im GP von Imola 1994, dreht sich diese Dokumentat­ion (Regie: Asif Kapadia).

Zeitzeugen wie Ron Dennis erzählen, man sieht Aufnahmen von Fahrerbesp­rechungen (Archivmate­rial), erfährt den Werdegang des dreimalige­n F1-Weltmeiste­rs. Unvergesse­n bleibt aber für immer der Einschlag in der Tamburello­Kurve. Auch ohne Videoseque­nz. Senna (2010): Amazon Video, Netflix

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[ Imago] Puck-Giganten: Sergei Makarow, Alexei Kassatonow, Igor Larionow, Wjatschesl­aw Fetissow, Wladimir Krutow (v. l. n. r.).
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