Von Helden, die auch Opfer waren
Sportfilme. In der Welt des Sports geht es nicht bloß um Sieg und Niederlage, dahinter stecken immer System und Ideen – aber auch Skrupellosigkeit oder Selbstzerstörung. Fünf wahre Geschichten.
Kampf der Kulturen. Die Eishockey-Kunst, die der Armeeklub der Sowjetunion zelebrierte, ist bis heute unerreicht. Angeführt von Wjatscheslaw „Slawa“Fetissow fegten die Stars des ZSKA Moskau in den 1970er- und 1980er-Jahren über den Rest der Welt hinweg. Mit überragender Technik, Spielwitz und Passstafetten sollten sie die Überlegenheit des sozialistischen Menschen verkörpern.
US-Filmemacher Gabe Polsky hat faszinierende Archivaufnahmen zusammengetragen und mit den Sowjethelden von damals bemerkenswerte Interviews geführt. Er zeichnet einzigartige Sportlerkarrieren nach: Wie Fetissow und Co., inspiriert von Schach-Großmeister Anatoli Karpow und dem Bolschoi-Theater, die Sportwelt eroberten, wie sie unter Trainer-Tyrann Wiktor Tichonow litten, wie der KGB im Hintergrund die Fäden zog und wie sich die größten Sportler der Sowjetunion gegen das System auflehnten, um in der nordamerikanischen NHL anzuheuern – eine Parabel auf die russische Geschichte. Putin machte Fetissow zum Sportminister, gemeinsam holten sie die Olympischen Spiele nach Sotschi. Wayne Gretzky hat „Red Army“im Kino gesehen und Fetissow danach geschrieben. Er konnte nicht glauben, was der Russe durchgemacht hatte, bevor er schließlich auch den Stanley Cup stemmte. Red Army (2014, Sony Pictures): Amazon, documentarymania.com
Todernstes Spiel. Die Geschichte der zwei Escobars erzählt ein Drama, das weit über den Fußballplatz hinaus wirkt. Andres´ Escobar war kolumbianischer Nationalspieler, sein Schicksal nach einem Eigentor und dem Ausscheiden bei der WM 1994 in den USA besiegelt: Wenige Tage später wird er in Medellin auf einem Parkplatz von Kugeln niedergestreckt. Denn zu dieser Zeit befindet sich ganz Kolumbien im Würgegriff der Drogenkartelle, wirkt das grausame Erbe von deren König Pablo Escobar (1993 von einer Elite-Einheit erschossen) noch nach.
Die Regisseure Jeff und Michael Zimbalist zeichnen die Wege der (nicht verwandten) Namensvetter nach, die sich in der Leidenschaft für Fußball und in einem Land in blutrünstiger Schockstarre kreuzen. Die Protagonisten können nicht mehr für sich sprechen, also geben Angehörige und Wegbegleiter in Interviews einen bewegenden Einblick in das Kolumbien der frühen 1990er-Jahre: Als Fußball vereinender Hoffnungsanker einer gebeutelten Nation und gleichzeitig kompromisslose Spielwiese für die Mächte der Unterwelt war. Gekrönt wird die eindrucksvolle Dokumentation von Spielszenen mit der Prachtmähne eines Carlos Valderrama und dem Skorpion-Trick von Torhüter Rene´ Higuita. The Two Escobars (2010, ESPN Films): ESPN Player
Bedeutsamer als Siege. Für die Fußballwelt war es nur ein Rekord, wenngleich ein kurioser. 2001 unterlag Amerikanisch-Samoa in der WM-Qualifikation Australien mit 0:31, es ist dies bis heute die höchste Länderspielniederlage. Und sie wurde fortan zur bedrückenden Selbstdefinition der Inselkicker. Um das zu ändern, trat Thomas Rongen als Teamchef im Südpazifik an. „In diesem Film geht es nicht nur um Fußball, sondern darum, wie man sein Leben leben und genießen soll“, erklärte der Niederländer später.
Aus unzähligen Filmanfragen wählte Samoas Verband jene von Mike Brett und Steve Jamison aus und bekam ein liebenswürdiges, unterhaltendes und zugleich tiefsinniges Werk zurück. Denn Samoas Nationalmannschaft mögen so manche technischen Grundfertigkeiten fehlen, dafür lebt sie rund um Transgender-Innenverteidiger Jaiyah Saelua andere Werte auf großartige Weise vor. „Transparenz, Respekt und Inklusion sind erfrischend. Ich wünschte, wir würden mehr davon auf der Welt sehen“, resümierte Rongen. Nicht umsonst wird die Geschichte schon bald als Spielfilm (Michael Fassbender als Thomas Rongen) herauskommen. Next Goal Wins (2014, Icon Productions): Vimeo
Die Eishexe. Es gibt Biografien, die schonungslos sind. Diese ist nicht nur das, sondern auch vollkommen authentisch. Und in Zeiten, in denen olympische Spiele verschoben werden, weckt sie besondere Erinnerungen.
Eiskunstläuferin Tonya Harding, deren Mutter Kettenraucherin und Alkoholikerin war, galt als Talent, als neuer Star. Gepeinigt vom Alltag und ihrem Mann, der sie regelmäßig krankenhausreif schlägt, sieht sie in den Winterspielen 1994 ihre große Chance. Der Ehemann muss dazu nur die Konkurrentin Nancy Kerrigan aus dem Weg räumen. Räumen, ja: Er engagiert einen Attentäter, der mit einer Eisenstange ausrückt.
Als Verbindungen zur Tat bekannt werden, wandelt sich das Bild der US-Meisterin und Lillehammer-Starterin. Ihre Erzählungen zeigt Regisseur Craig Gillespie im Mockumentary-Stil. Allison Janney wurde für ihre Nebenrolle als Eiskunstlauf-Mutter 2018 mit Oscar und Golden Globe ausgezeichnet. I, Tonya (2017, Clubhouse): Amazon Video
Die F1-Ikone. Ayrton Senna wäre vergangene Woche 60 Jahre alt geworden. Seine Rennen sind unvergessen, Duelle des Genies mit Alain Prost sind auch 30 Jahre später noch Kult. Um den Brasilianer, verstorben bei einem Unfall im GP von Imola 1994, dreht sich diese Dokumentation (Regie: Asif Kapadia).
Zeitzeugen wie Ron Dennis erzählen, man sieht Aufnahmen von Fahrerbesprechungen (Archivmaterial), erfährt den Werdegang des dreimaligen F1-Weltmeisters. Unvergessen bleibt aber für immer der Einschlag in der TamburelloKurve. Auch ohne Videosequenz. Senna (2010): Amazon Video, Netflix