Demonstratives „Grüß Gott“und strammes „Guten Tag“
„Behüte dich wohl“ist gerade derzeit ein schöner Wunsch: Über das Grüßen auf dem Land und in der Stadt – das auch Weltanschauliches verrät. Als mich die Kassierin mit „Griaß di“begrüßte, wurde mir klar, wie konservativ ich geworden war.
Wenn man für einige Wochen (oder gar Monate?) von der Stadt auf das Land zieht, überschreitet man eine Grenze. Keine Landesgrenze meine ich, sondern eine unsichtbare: Die Demarkationslinie zwischen dem Sie und dem Du.
Begegnet mir hier jemand auf dem Marktplatz, sagt er „Griaß di!“. Anfangs dachte ich, das könne nur ein Volksschulfreund sein, an den ich mich nicht mehr so recht erinnere. Seltsam nur: Die Schulfreunde wurden immer zahlreicher! Als mich aber die junge Kassierin im Lebensmittelgeschäft freundlich mit „Griaß di“begrüßte, wurde mir klar, wie konservativ ich geworden war. „Es gibt nichts Konservativeres als einen konservativen Sozialdemokraten“, hatte mein Freund und zweites Ich im Zukunftsfonds einmal liebenswürdig-ironisch bemerkt. Wie wahr. Tatsächlich habe ich in allen Berufen selbst nach vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit Mitarbeiterinnen immer per Sie angesprochen – aus Respekt und um sie nicht vor anderen in eine Art plumpe Vertrautheit zu ziehen. Das Du, das mir Respektspersönlichkeiten angeboten haben, habe ich stets als Auszeichnung empfunden und nicht öffentlich verwendet. Es wäre mir nie eingefallen, bei einer Veranstaltung oder in einer Sitzung einen Minister, Bürgermeister oder den Bundespräsidenten mit dem vertraulichen Du oder gar dem Vornamen anzureden. Man wählte einfach die respektvolle indirekte Form: „Der Herr Bundesminister hat gesagt?“Oder „Meint der Herr Bürgermeister?“Gästen aus bundesdeutschen Landen mag das barock erscheinen und nach „Rosenkavalier“klingen: „Mon Cousin“, „der Herr Vetter“, „Euer Liebden“und „Gräfin“– streng unterschieden, je nach Stand der Vertrautheit, von „Frau Gräfin“.
Auf dem Land hat es das Du immer gegeben, allerdings nicht als IkeaAnrede. Beim Bergsteigen sagten alle Du. Wie vielfältig aber waren die Anreden noch in den 1970er-Jahren im Unterrichtsministerium! Welche weltanschauliche Linie verlief zwischen dem strammen „Guten Tag“und dem demonstrativen „Grüß Gott“. „Habe die Ehre“hörte man selten, „Mahlzeit“umso öfter, auch schon am frühen Vormittag. Ich zog mich meist mit
„Guten Morgen“aus der Affäre – bis ich merkte, dass ich diesen Gruß bis in den frühen Nachmittag verwendete.
Auf dem Land aber dominieren „Griaß di“und „Pfiat di“. Ich habe mich daran gewöhnt und finde beide Grußformen sympathisch. „Sei gegrüßt“ist höflich, und „Behüte dich wohl“gerade in Zeiten wie diesen ein schöner Wunsch. Vor Kurzem soll eine Landwirtschaftsministerin gesagt haben, Wien erkenne man daran, dass ein freundlicher Gruß oft unerwidert bleibe. Nie grüße jemand zurück, meinte sie. Die Stadt, so der implizierte Vorwurf, sei eben nicht höflich. Sollte ich der Frau Bundesministerin einmal begegnen, werde ich sie mit einem lauten „Grüß Gott!“begrüßen. Das ist respektvoll, ihr wohl vertrauter – und mir immer noch sympathischer als das allgegenwärtige „Hallo!“.