Ein weiser Rat: Lies viel, vergiss das meiste, sei langsam von Begriff
Montaigne hilft uns in Krisen. Doch wer hat ihm einst geholfen?
Unlängst, es scheint allerdings die halbe Ewigkeit einer ganzen Woche her, haben im Gegengift- Team die Furchtsamen zur Erbauung in Montaignes bewährten alten „Essais“gelesen. Bewundernd fragten sie, welche Lektüre diesen Mann so abgeklärt gemacht habe. Sarah Bakewells „How to Live. A Life of Montaigne in one question and twenty attempts at an answer“gibt in Antwort Nr. 4 nützliche Hinweise: „Lies viel, vergiss das meiste, was du gelesen hast, und sei langsam von Begriff.“Das verstehen wir!
Folgendes auch: Montaigne habe durch intensive Grammatik-Studien (Cicero und Horaz!) sein Interesse an der Literatur beinahe verloren. Aber tolerante Lehrer ließen es zu, dass er unterhaltsamere Bücher lesen durfte. Sie steckten ihm sogar Schlüpfriges zu. Schon als Knabe verschlang er also Ovids „Metamorphosen“. Sie begleiteten ihn sein Leben lang. Die holen wir jetzt auch wieder hervor.
Wann, wenn nicht in Zeiten radikaler Veränderung, ist dieser SprachZauberer aktuell? Er regte Montaignes Appetit auf die „Aeneis“des Vergil an, auf die Lustspiele von Terenz und Plautus sowie auf moderne italienische Komödien. Auch ein antiker Historiker kam dran: Tacitus, der scharfzüngige Kritiker beginnenden Verfalls. Vor allem aber dessen Zeitgenosse Plutarch. Dieser Biograf war für Montaigne ein Hort der Ideen, den er immer wieder lustvoll plünderte. Der feinsinnige, die Fantasie beflügelnde griechisch-römische Erzähler prägte ihn wohl am stärksten.
Mit
solchen Autoren kommt man durch den längsten Sommer der Quarantäne in unserer pandemischen Zeit. Wenn derzeit fremde Gestade tabu sind, soll ihr Besuch wenigstens in der Fantasie möglich sein. Satz für Satz. Längst haben wir doch vergessen, in welcher Bucht die versprengten Trojaner auf ihrem Weg nach Rom ankerten, ehe sie einer gastfreundlichen Königin begegneten.
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