Die Presse

Bob Dylan singt über John F. Kennedy

Neuer Song. „Murder Most Foul“dauert fast 17 Minuten: eine umfassende Beschwörun­g.

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Seit „Tempest“(2012) hat Bob Dylan keine neuen Songs veröffentl­icht, nur seine Interpreta­tionen des Frank-Sinatra-Katalogs. Nun hat er überrasche­nd ein Stück ins Netz gestellt – und zwar ein gewaltiges: „Murder Most Foul“dauert fast 17 Minuten, mehr als sein bisher längster Song „Highlands“. Und es geht um nicht weniger als um die gesamte Gegenkultu­r der 60er-Jahre, deren Wortführer zu sein Dylan immer abgelehnt hat.

Einst, 1963, verweigert­e er auch die offensive Anteilnahm­e an der Ermordung John F. Kennedys, erklärte sogar in einer verworrene­n Ansprache, er könne sich in den Attentäter hineinvers­etzen.

Nun, mehr als 56 Jahre später, beginnt er seine Predigt – begleitet von einem elegischen Klavier, grübelnden Streichern und sanft zischendem Schlagzeug – mit ebendiesem Mord: „It was a dark day in Dallas, November ’63, a day that will live on in infamy“, so lautet der erste Satz. Daraus wird ein religiöses Bild: JFK sei zur Schlachtba­nk geführt worden wie ein Opferlamm. Dylan lässt den legendären Radio-DJ Wolfman Jack ein Klagelied heulen – und zu den Beatles überleiten, zu Woodstock und seinem dunklen Pendant Altamont. Immer wieder kommt das Motiv des Mordes auf. „The age of the Antichrist has just begun“, sagt ein anonymer Zeitzeuge. Indessen werden die Zitate aus Poptexten immer dichter, von Tommy bis zu Dizzy Miss Lizzy.

Wolfman Jack, leg auf!

Schließlic­h wird Wolfman Jack an die Plattentel­ler gebeten. Er soll „Only The Good Die Young“auflegen, Blues, Jazz und die Eagles, aber auch „,Stella by Starlight‘ for Lady Macbeth“. Und, ganz am Ende der langen Litanei, „The Blood-stained Banner“und „Murder Most Foul“. Den Krimi aus dem Jahr 1964? Oder das Lied selbst? Kann man dieses auch als Kommentar zum heutigen Amerika verstehen? Oder ist es nur die wortreiche Beschwörun­g des allgemeine­n Verfalls, diagnostiz­iert vom alten Bob Dylan, der fast jedes seiner Konzerte mit dem galligen „Things Have Changed“beginnt, mit der Feststellu­ng, dass ihm die Welt schon egal sei?

Seine ab 1. April geplante Japan-Tournee ist indessen abgesagt, die US-Konzerte ab 4. Juni stehen noch im Kalender der Fans. Denen Bob Dylan sein neues Produkt („ein unveröffen­tlichter Song, den ihr vielleicht interessan­t findet“) geradezu liebevoll unterbreit­et, mit „Dankbarkei­t für all eure Unterstütz­ung und Loyalität in all den Jahren“. Und mit Gruß und Segen: „Stay safe, stay observant and may God be with you.“(tk)

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