Kein Home-Office für DJanes
Interview. Sonst legt Mel Merio in Lokalen auf, dank der Ausgehbeschränkungen muss sie daheim bleiben – und ihren Tag-Nacht-Rhythmus radikal umstellen.
Die Presse: Kann man als DJane so etwas wie Home-Office machen?
Mel Merio: Ich habe keine Arbeit mehr. Als DJane ist jetzt mal Zwangspause angesagt. Ich bin halt viel in der Natur draußen, mache Jail Fitness und Power Yoga. Schön langsam werde ich mein Soundcloud-Profil und meine Website updaten. Dazu kommt Home-Schooling, Lesen und Musikrecherche. Es ist o. k., auch produktiv, ohne dass man verfällt.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, Ihnen wird schnell fad. Wie schaut das bei den derzeitigen Ausgehbeschränkungen aus? Eigentlich wird mir gar nicht fad, weil ich mein Leben zu gestalten weiß. Was wichtig für mich ist, dass ich einen Rhythmus beibehalte. Ich schreibe mir gern Sachen in den Kalender, und ich plane im Voraus – das mache ich jetzt auch, nur fülle ich den Kalender mit anderen Aktivitäten. Ich stehe jetzt irrsinnig früh auf, gehe um zehn, halb elf schlafen. Ich geh mit den Hunden raus, mache gelegentlich einen Ausflug. Und dann mach ich Sport daheim, schau mir eine NetflixSerie an und gehe wieder schlafen.
Das Tag-Nacht-Schema hat sich also komplett verschoben?
Ja, total. Aber Gott sei Dank geht es vom Rhythmus, was erstaunlich ist.
Sind Sie ein Nachtmensch?
Ich arbeite in der Nacht. Ich liebe meinen Job und vermisse ihn. Toll an der Nachtarbeit ist, dass ich den ganzen Tag für mich habe. Denn auch wenn ich arbeite, bleibe ich nicht ewig lang liegen, sondern stehe um neun, halb zehn wieder auf. Und es ist alles ein bisschen out of rhythm von den anderen.
Ist es ungewohnt, in der Nacht nicht zu arbeiten, sondern zu schlafen? Überhaupt nicht, witzigerweise. Ich habe mich sofort umgestellt. Durch die Musik bin ich sonst natürlich auf einem natural high und mit Endorphinen vollgepumpt. Aber ich bin schon müde, muss Kaffee trinken in der Nacht. Wahrscheinlich wäre mein normaler Rhythmus wie der, der sich jetzt gerade zeigt.
Lernen Sie die Nacht jetzt anders kennen?
Ja, das sind verschiedene Qualitäten. Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Ich finde das Nachtleben sehr spannend, ich bin ja sehr aktiv und interaktiv mit den Leuten. Ich finde es total spannend, das zu beobachten.
Wie sieht man Leute als Djane? Da sind wohl viele in Ekstase?
Ja, das liebe ich. Ich mache ja auch Workshops zum Thema Ekstase, auch durch Körperarbeit und Tanz herbeigeführt. Ich liebe dieses Enthemmte.
Geht das Enthemmte in der Nacht leichter?
Das hat auch mit der Lichtstimmung zu tun. Ein Freund hat gesagt, er vermisst „die schwarze Luft“, weil er gerade nicht viel weggeht. Das fand ich ein tolles Bild. Man ist ein bisschen inkognito, es ist ein anderes Setting. Enthemmt, es geht auch um Öffnung, die Leute machen auf. Man zeigt sich.
Kommt man in der Nacht leichter in einen Zustand der Ekstase?
Es ist nicht nur die Nacht, es ist auch ein gewisses Setting. Der visuelle Sinn ist da nicht so präsent. Da geht es mehr ins Hören, ins Spüren, ins Angreifen. Es hat etwas mit der Dunkelheit zu tun, die man dann befüllt.
Paradox ist ja, dass man sich in der Nacht besonders herrichtet, man das im Dunkeln aber gar nicht sieht.
Man muss ein bisschen mehr auftragen, um wahrgenommen zu werden. Die schwarze Luft verschluckt einen auch irgendwie. Das hat einfach mit Celebration und Party zu tun. Aber tagsüber kann man auch feiern, nur hat sich viel in die Nacht verlagert, weil man eben arbeiten und sich konzentrieren muss – am Abend kann man dann loslassen.
Es ist also nicht gottgegeben, dass man in der Nacht feiern muss?
Wenn wir uns die Festivals anschauen, sind Feiern, Trance und Ekstase in uns angelegt. Das wollen wir zelebrieren. Wenn man in die Rave-Szene schaut, da ist viel ganz Altes, Ursprüngliches drin. Wenn man sich den Bass anschaut, die Beats per Minute, dieses In-Trance-Trommeln, was von den Urvölkern kommt, das Monotone, das ist etwas ganz Ursprüngliches. Aber ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob man in der Nacht oder am Tag feiert. Da gibt es schon eine andere Energie.
Sie haben lang in New York gelebt – ist die Nacht in Wien anders?
Es ist in Amerika wesentlich reglementierter. Ich bin jetzt schon neun Jahre zurück, aber als ich dort gelebt habe, ist Europa für die absolute Freiheit gestanden. Da waren die Partys in New York zwar geil und High Standard, aber es gab weniger Freiheit, frühere Sperrstunde. Wien ist eigentlich sehr frei. Gut, ein bisschen freundlicher ist die Stimmung in New York schon beim Weggehen.
Inwiefern freundlicher?
Es ist dieser American Style. Die Leute sind ständig am Connecten, tauschen Business-Karten aus, man will quatschen, Leute kennenlernen, schauen, wer einem einmal hilfreich sein kann. Das ist einfach eine andere Attitude. Der Wiener fährt dir halt schon auch mit dem Arsch ins Gesicht, dafür ist es viel bunter. Und wenn man in Wien ein gutes Gespräch hat, kann das hoch philosophisch werden. Ich mag das für New York nicht ausschließen, aber ich finde es in Wien fast lustiger.
Bis in die späten Neunziger war Wien ja eher ein dunkles Loch.
Ich habe in den Neunzigern mit dem Fortgehen angefangen. Ich bin ein Kind der illegalen Raves. Das war spannend und hat mich fasziniert.
Das illegale Element gibt es kaum mehr, Wien ist braver geworden.
Ja, absolut. Ich gebe ja bei der jüngeren Generation ein bisschen damit an, was ich früher alles erlebt habe. Es war noch nicht zu Tode reglementiert. Es wird immer strenger.
Wenn Sie jetzt daheim sitzen müssen, sind Sie fröhlicher oder niedergeschlagener?
Genauso wie immer. Das ist schon auch Disziplin. Natürlich macht die Situation etwas mit mir, aber ich lasse keine Existenzängste zu. Ich versuche, verantwortungsvoll mit der Situation umzugehen. Aber im Moment ist es so. Reden wir darüber, wie es ist, wenn es dann noch länger dauert. Aber vielleicht ist es ja auch mal gut, in der Nacht einfach nur zu schlafen.