Die Presse

Eine Begegnung der Genies der Renaissanc­e

Eine Studie über Leonardo da Vinci und Niccol`o Machiavell­i.

- VON GÜNTHER HALLER

Für viele Italiener ist der Palazzo Ducale von Urbino der schönste Palast der Welt. Die berühmtest­en Renaissanc­ekünstler haben ihn ausgestalt­et. Ende Juni 1502 wurde Urbino von einem Kriegsherr­n erobert, mit solcher Kühnheit und Unverfrore­nheit, dass sein Name rasch berühmt wurde: Cesare Borgia erschütter­te durch seine Feldzüge in der Romagna die politische Ordnung Italiens. Er galt als der Fürst einer neuen Zeit.

Nun hält er Hof im Herzogspal­ast von Urbino. Er empfängt den Sekretär der Florentine­r Regierung, Niccolo` Machiavell­i, einen Meister der Sprache und Philosophe­n wider Willen, der glüht, in die Politik einzusteig­en und hier die neue Zeit studieren will. Cesare Borgia wird später in seinem berühmten Werk „Der Fürst“(„Il principe“) eine zentrale Rolle spielen. Noch einer ist im Palast, er ist zwanzig Jahre älter als die beiden anderen, fünfzig, und ist ein berühmter Mann, der Künstler der Renaissanc­e schlechthi­n: Leonardo da Vinci. Auf der Suche nach einem neuen Mäzen hat er sich Borgia angeschlos­sen, als Ingenieur, er inspiziert Festungen und zeichnet Karten.

Welche Ideen haben die drei ausgetausc­ht, was haben sie besprochen? Kein einziges Dokument, nicht ein Satz, gibt darüber Auskunft. Wir wissen nur, dass die Begegnung stattfand. Es gibt auch keine Notiz darüber, was Leonardo und Machiavell­i gesprochen haben, als sie sich ein Jahr später an einem militärisc­hen Projekt der Stadt Florenz, der Umleitung des Flusses Arno, beteiligte­n. Warum erzählen sie uns nichts voneinande­r? Eine unerklärli­che Leerstelle der Geschichte.

Verlockend ist es, sie zum Sprechen zu bringen. Es braucht einen Historiker, der Mut zur Spekulatio­n hat, auf den Fußnotenap­parat verzichtet und sich fragt: Was hätten sie einander erzählen können? Patrick Boucheron stellt sich dieser Frage in seinem Leonardo-Machiavell­i-Doppelport­rät über die Weltsicht des berühmten Malers und des scharfsich­tigen politische­n Analytiker­s. Der elegant formuliert­e Essay über die „Geschichte einer unbekannte­n Begegnung“erschien im Original in Frankreich bereits vor acht Jahren und wurde nun übersetzt. Er will das „tiefe Einverstän­dnis zweier Welten, Träume und Ambitionen“beschreibe­n, „das von den Stürmen äußerer Ereignisse bewirkt wurde, die Leonardo unaufhörli­ch als Zeichnunge­n in seinen Notizbüche­rn festhielt und deren zwingende Kraft Machiavell­i auf seine Weise zu beschreibe­n versuchte“.

Ein Beispiel dafür: Da Vinci malte „Die Schlacht von Anghiari“, ein Bild über die „Wirklichke­it des Krieges“, ohne göttliche Vorsehung und ohne Vertrauen auf einen unabwendba­ren Lauf der Dinge. Fortuna ist blind. Es ist dieselbe Auffassung, die auch Machiavell­is Geschichts­schreibung bestimmt. Der Skeptiker misstraut dem menschlich­en Glauben an die Kausalität im Handeln.

Man muss Boucheron bewundern für dieses gedankenvo­lle Buch über die Renaissanc­e. Und dies trotz der absoluten Zurückhalt­ung der Quellen, ein Faktum, an der sich die Arbeit des Historiker­s bewähren muss. Sie wird auch von dem Autor ständig selbst reflektier­t. Er beschreibt sich als einen, der Bruchstück­e zusammense­tzt, ein paar trockene Hinweise, über die Archive verstreut „wie Steine in jenem Fluss, auf die man springen muss, von einem zum nächsten, wenn man die Furt überqueren will“. Zweifellos ein schönes Bild über die Arbeit des Historiker­s.

 ??  ?? Patrick Boucheron „Leonardo und Machiavell­i“
Übersetzt von Sarah Heurtier und Sebastian Wilde
Wolff Verlag
170 Seiten
19,50 €
Patrick Boucheron „Leonardo und Machiavell­i“ Übersetzt von Sarah Heurtier und Sebastian Wilde Wolff Verlag 170 Seiten 19,50 €

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