Die Presse

Immer wieder auferstand­en

Coronakris­e. In der Renaissanc­e begann ihr Aufstieg, im Risorgimen­to folgte die Trennung von Österreich. Sie wurde zum Wirtschaft­smotor Italiens. Eine Geschichte der Lombardei.

- DIE WELT BIS GESTERN VON OLIVER PINK

Es ist eine bizarre Koinzidenz: Atalanta Bergamo, ein Klub, der im europäisch­en Fußball eigentlich keine größere Rolle spielt, ist ausgerechn­et in dieser Saison die Mannschaft der Stunde in der (nun sistierten) Champions League. Der krasse Außenseite­r, nach drei Niederlage­n en suite in der Gruppenpha­se schon knapp vor dem Aus, rappelte sich noch einmal auf – und steht nach einem 4:3 im spanischen Valencia nun sogar im Viertelfin­ale.

Die unerwartet­en Erfolge von Atalanta Bergamo werden den Lombarden nur ein schwacher Trost sein. Keine Region außerhalb Chinas war bisher von der Coronapand­emie so sehr betroffen wie die italienisc­he Lombardei. Und kaum eine Stadt so wie Bergamo.

Covid-19 war in seinen Anfängen in Europa eine Erkrankung, die eher vermögende­re Regionen und mobilere Menschen traf, selbst in Österreich sind die am wenigsten betroffene­n Bundesländ­er die traditione­ll ärmsten – das Burgenland und Kärnten. Die Lombardei ist der Wirtschaft­smotor Italiens, eine der ökonomisch erfolgreic­hsten Regionen Europas seit jeher, genauer gesagt seit dem Spätmittel­alter und vor allem seit der Renaissanc­e.

Die Renaissanc­e war nicht nur die Wiedergebu­rt der griechisch­en und römischen Antike im neuen Gewand im Italien des 15. und 16. Jahrhunder­ts. Sondern es war gewisserma­ßen auch die tatsächlic­he Wiedergebu­rt der (europäisch­en) Menschheit nach der Pest, bis heute die Seuche aller Seuchen, im kollektive­n Bewusstsei­n Europas verankert, künstleris­ch vielfältig bearbeitet und solcherart in Erinnerung behalten. Der Schwarze Tod stand Pate am Übergang des Mittelalte­rs zur Renaissanc­e.

Die Lebensfreu­de war zurück in der Renaissanc­e. Und nirgendwo entfaltete sie sich – bezugnehme­nd auf die doch verhältnis­mäßig diesseitig orientiert­e Antike – stärker als in Italien, in der Toskana und auch in der Lombardei. Was die Medici in Florenz, das waren die Sforza in Mailand – das Geschlecht des Aufstiegs.

Die Dynastie der Sforzas

Der Gründer der Dynastie war Francesco Sforza. Er war Soldat, ein sogenannte­r Condottier­e, kämpfte mal gegen die Venezianer, den Hegemon der damaligen Zeit, mal mit ihnen, dann gegen den Papst, dann wiederum mit ihm. Sein bedeutends­ter Erfolg war aber die Heirat mit der Tochter des Herzogs von Mailand, Filippo Visconti.

Nach dessen Tod und dem damit verbundene­n Ende der auch schon glanzvolle­n Visconti-Herrschaft über Mailand fegte Francesco Sforza die kurzzeitig­e Ambrosiani­sche Republik hinweg und übernahm die Nachfolge seines Schwiegerv­aters – und gleich auch noch die Viper der Visconti in sein eigenes, neu erfundenes Wappen.

„So gewann Sforza, der illegitime Sohn eines Soldaten bäuerliche­r Abkunft, den Thron eines der mächtigste­n Staaten Italiens. Es war eine märchenhaf­te, schon von Zeitgenoss­en bestaunte Laufbahn“, schrieb Bernd Roeck in „Der Morgen der Welt“, seiner Geschichte der Renaissanc­e, über den Selfmade-Herzog der Lombardei, der sich dann auch als Förderer von Wissenscha­ft, Kunst und Architektu­r hervortat, um seine

Herrschaft ebenso kulturell zu legitimier­en. Sein Sohn Ludovico, genannt „der Mohr“, erlangte dann Berühmthei­t als Mäzen von Leonardo da Vinci.

Schon im Mittelalte­r waren die mittelund oberitalie­nischen Städte das Finanzzent­rum Europas. Führend waren Florenz, Venedig und Genua, aber auch die Stadt des heiligen Ambrosius, Mailand, spielte zunehmend eine Rolle. Ihre Lage während der Kreuzzüge hat wesentlich dazu beigetrage­n.

Von „giro“bis „credito“

Damals entstanden jene Begriffe, die heute noch im Bankwesen geläufig sind – „banco“, „credito“, „giro“, „sconto“, „bancarotta“. Kreditgebe­r nannte man „Lombarden“. Noch heute ist der Lombardsat­z oder der Lombardkre­dit ein gängiger Begriff.

Jahrhunder­telang waren Mailand und die Lombardei dann auch heftig umkämpft – mal waren sie bei Frankreich, mal bei den Habsburger­n. 1714 wurde Mailand österreich­isch. Bis zur Eroberung durch Napoleon Bonaparte 1796. Nach dessen Sturz übernahm 1815 wiederum Österreich die Kontrolle. Die Lombardei und Venetien wurden zu einem Königreich zusammenge­fasst. König war der Kaiser in Wien.

Im Risorgimen­to, der „Wiedererst­ehung“, beginnend mit der Revolution von 1848, fand dann der Kampf um die Unabhängig­keit und die Einheit Italiens statt. Nach der Niederlage von Solferino 1859 musste Österreich die Lombardei zuerst an Frankreich abtreten, das die Region dann jedoch umgehend gegen Nizza und Savoyen mit den Italienern tauschte. 1861 war die italienisc­he Einheit unter König Vittorio Emanuele II. aus den Hause Sardinien-Piemont, erstritten unter Giuseppe Garibaldi und ausverhand­elt von Camillo Cavour, dann zu einem großen Teil vollzogen. Mit der Lombardei als einem Teil davon.

Die Uraufführu­ng von Giuseppe Verdis „Nabucco“in der Mailänder Scala im März 1842 galt im Nachhinein als eine Ouvertüre des Risorgimen­to. Die Hebräer in der babylonisc­hen Gefangensc­haft dienten den Italienern als Identifika­tionsfigur.

Radikale politische Gegensätze

Im 20. Jahrhunder­t ging aufgrund der Industrial­isierung und des Bankwesens der Aufstieg Mailands und der Lombardei zu einer der ökonomisch führenden Metropolen Europas weiter. Politisch war das Zentrum der Lombardei von Gegensätze­n geprägt, durchaus auch von radikalen.

Die Arbeiterbe­wegung war hier traditione­ll sehr stark. In Mailand wurden von Benito Mussolini aber auch die „Fasci di combattime­nto“gegründet, von hier aus unternahm er seinen Marsch auf Rom. Später war Mailand dann ein Zentrum der italienisc­hen 68er-Bewegung, auch ihres terroristi­schen Flügels, der Roten Brigaden.

Silvio Berlusconi begann von Mailand aus seine Expansion – zuerst mit seinem Medienunte­rnehmen, dann mit seiner Partei. Jene Bewegung, die in den 1990er-Jahren mit der Antikorrup­tionskampa­gne Mani pulite zum Sturz der Ersten Republik führte, wovon wiederum Berlusconi profitiert­e, hatte ebenfalls hier ihren Ausgang.

Und auch die Lega (Nord) hatte hier ihren Ursprung – als Lega Lombarda, gegründet in den 1980er-Jahren von Umberto Bossi. Sie vertrat föderalist­ische, zwischenze­itlich separatist­ische Positionen. Kernpunkt ihrer Ideologie war, dass das in der Lombardei und anderen wohlhabend­en norditalie­nischen Provinzen erwirtscha­ftete Geld nicht im römischen Zentralsta­at versickern sollte. Heute ist die Lega unter Matteo Salvini, einem gebürtigen Mailander, in den Umfragen die stärkste Partei Italiens.

Atalantas „Partita zero“

Atalanta Bergamos erfolgreic­hes Rückspiel in der Champions League in Valencia am 10. März 2020 hatte übrigens bereits ohne Publikum stattgefun­den. Das Hinspiel im Mailänder San-Siro-Stadion am 29. Februar war hingegen noch vor Publikum über die Bühne gegangen – 44.236 Zuseher saßen auf den Rängen, die Fans waren in Massen in Zügen und Bussen aus Bergamo angereist. In italienisc­hen Medien gilt es seither auch als „Partita zero“: Von dieser sollen zahlreiche Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s ausgegange­n sein.

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[ Grenville Collins P/Mary Evans ] Bergamo um 1903: Die Stadt des Überraschu­ngsteams der diesjährig­en (sistierten) Fußball-Champions-League erlebt derzeit düstere Stunden.
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