Immer wieder auferstanden
Coronakrise. In der Renaissance begann ihr Aufstieg, im Risorgimento folgte die Trennung von Österreich. Sie wurde zum Wirtschaftsmotor Italiens. Eine Geschichte der Lombardei.
Es ist eine bizarre Koinzidenz: Atalanta Bergamo, ein Klub, der im europäischen Fußball eigentlich keine größere Rolle spielt, ist ausgerechnet in dieser Saison die Mannschaft der Stunde in der (nun sistierten) Champions League. Der krasse Außenseiter, nach drei Niederlagen en suite in der Gruppenphase schon knapp vor dem Aus, rappelte sich noch einmal auf – und steht nach einem 4:3 im spanischen Valencia nun sogar im Viertelfinale.
Die unerwarteten Erfolge von Atalanta Bergamo werden den Lombarden nur ein schwacher Trost sein. Keine Region außerhalb Chinas war bisher von der Coronapandemie so sehr betroffen wie die italienische Lombardei. Und kaum eine Stadt so wie Bergamo.
Covid-19 war in seinen Anfängen in Europa eine Erkrankung, die eher vermögendere Regionen und mobilere Menschen traf, selbst in Österreich sind die am wenigsten betroffenen Bundesländer die traditionell ärmsten – das Burgenland und Kärnten. Die Lombardei ist der Wirtschaftsmotor Italiens, eine der ökonomisch erfolgreichsten Regionen Europas seit jeher, genauer gesagt seit dem Spätmittelalter und vor allem seit der Renaissance.
Die Renaissance war nicht nur die Wiedergeburt der griechischen und römischen Antike im neuen Gewand im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts. Sondern es war gewissermaßen auch die tatsächliche Wiedergeburt der (europäischen) Menschheit nach der Pest, bis heute die Seuche aller Seuchen, im kollektiven Bewusstsein Europas verankert, künstlerisch vielfältig bearbeitet und solcherart in Erinnerung behalten. Der Schwarze Tod stand Pate am Übergang des Mittelalters zur Renaissance.
Die Lebensfreude war zurück in der Renaissance. Und nirgendwo entfaltete sie sich – bezugnehmend auf die doch verhältnismäßig diesseitig orientierte Antike – stärker als in Italien, in der Toskana und auch in der Lombardei. Was die Medici in Florenz, das waren die Sforza in Mailand – das Geschlecht des Aufstiegs.
Die Dynastie der Sforzas
Der Gründer der Dynastie war Francesco Sforza. Er war Soldat, ein sogenannter Condottiere, kämpfte mal gegen die Venezianer, den Hegemon der damaligen Zeit, mal mit ihnen, dann gegen den Papst, dann wiederum mit ihm. Sein bedeutendster Erfolg war aber die Heirat mit der Tochter des Herzogs von Mailand, Filippo Visconti.
Nach dessen Tod und dem damit verbundenen Ende der auch schon glanzvollen Visconti-Herrschaft über Mailand fegte Francesco Sforza die kurzzeitige Ambrosianische Republik hinweg und übernahm die Nachfolge seines Schwiegervaters – und gleich auch noch die Viper der Visconti in sein eigenes, neu erfundenes Wappen.
„So gewann Sforza, der illegitime Sohn eines Soldaten bäuerlicher Abkunft, den Thron eines der mächtigsten Staaten Italiens. Es war eine märchenhafte, schon von Zeitgenossen bestaunte Laufbahn“, schrieb Bernd Roeck in „Der Morgen der Welt“, seiner Geschichte der Renaissance, über den Selfmade-Herzog der Lombardei, der sich dann auch als Förderer von Wissenschaft, Kunst und Architektur hervortat, um seine
Herrschaft ebenso kulturell zu legitimieren. Sein Sohn Ludovico, genannt „der Mohr“, erlangte dann Berühmtheit als Mäzen von Leonardo da Vinci.
Schon im Mittelalter waren die mittelund oberitalienischen Städte das Finanzzentrum Europas. Führend waren Florenz, Venedig und Genua, aber auch die Stadt des heiligen Ambrosius, Mailand, spielte zunehmend eine Rolle. Ihre Lage während der Kreuzzüge hat wesentlich dazu beigetragen.
Von „giro“bis „credito“
Damals entstanden jene Begriffe, die heute noch im Bankwesen geläufig sind – „banco“, „credito“, „giro“, „sconto“, „bancarotta“. Kreditgeber nannte man „Lombarden“. Noch heute ist der Lombardsatz oder der Lombardkredit ein gängiger Begriff.
Jahrhundertelang waren Mailand und die Lombardei dann auch heftig umkämpft – mal waren sie bei Frankreich, mal bei den Habsburgern. 1714 wurde Mailand österreichisch. Bis zur Eroberung durch Napoleon Bonaparte 1796. Nach dessen Sturz übernahm 1815 wiederum Österreich die Kontrolle. Die Lombardei und Venetien wurden zu einem Königreich zusammengefasst. König war der Kaiser in Wien.
Im Risorgimento, der „Wiedererstehung“, beginnend mit der Revolution von 1848, fand dann der Kampf um die Unabhängigkeit und die Einheit Italiens statt. Nach der Niederlage von Solferino 1859 musste Österreich die Lombardei zuerst an Frankreich abtreten, das die Region dann jedoch umgehend gegen Nizza und Savoyen mit den Italienern tauschte. 1861 war die italienische Einheit unter König Vittorio Emanuele II. aus den Hause Sardinien-Piemont, erstritten unter Giuseppe Garibaldi und ausverhandelt von Camillo Cavour, dann zu einem großen Teil vollzogen. Mit der Lombardei als einem Teil davon.
Die Uraufführung von Giuseppe Verdis „Nabucco“in der Mailänder Scala im März 1842 galt im Nachhinein als eine Ouvertüre des Risorgimento. Die Hebräer in der babylonischen Gefangenschaft dienten den Italienern als Identifikationsfigur.
Radikale politische Gegensätze
Im 20. Jahrhundert ging aufgrund der Industrialisierung und des Bankwesens der Aufstieg Mailands und der Lombardei zu einer der ökonomisch führenden Metropolen Europas weiter. Politisch war das Zentrum der Lombardei von Gegensätzen geprägt, durchaus auch von radikalen.
Die Arbeiterbewegung war hier traditionell sehr stark. In Mailand wurden von Benito Mussolini aber auch die „Fasci di combattimento“gegründet, von hier aus unternahm er seinen Marsch auf Rom. Später war Mailand dann ein Zentrum der italienischen 68er-Bewegung, auch ihres terroristischen Flügels, der Roten Brigaden.
Silvio Berlusconi begann von Mailand aus seine Expansion – zuerst mit seinem Medienunternehmen, dann mit seiner Partei. Jene Bewegung, die in den 1990er-Jahren mit der Antikorruptionskampagne Mani pulite zum Sturz der Ersten Republik führte, wovon wiederum Berlusconi profitierte, hatte ebenfalls hier ihren Ausgang.
Und auch die Lega (Nord) hatte hier ihren Ursprung – als Lega Lombarda, gegründet in den 1980er-Jahren von Umberto Bossi. Sie vertrat föderalistische, zwischenzeitlich separatistische Positionen. Kernpunkt ihrer Ideologie war, dass das in der Lombardei und anderen wohlhabenden norditalienischen Provinzen erwirtschaftete Geld nicht im römischen Zentralstaat versickern sollte. Heute ist die Lega unter Matteo Salvini, einem gebürtigen Mailander, in den Umfragen die stärkste Partei Italiens.
Atalantas „Partita zero“
Atalanta Bergamos erfolgreiches Rückspiel in der Champions League in Valencia am 10. März 2020 hatte übrigens bereits ohne Publikum stattgefunden. Das Hinspiel im Mailänder San-Siro-Stadion am 29. Februar war hingegen noch vor Publikum über die Bühne gegangen – 44.236 Zuseher saßen auf den Rängen, die Fans waren in Massen in Zügen und Bussen aus Bergamo angereist. In italienischen Medien gilt es seither auch als „Partita zero“: Von dieser sollen zahlreiche Ansteckungen mit dem Coronavirus ausgegangen sein.