Die Presse

Die große Krise steht uns noch bevor

Die Regierung bekommt aktuell viel Lob. Es ist aber zu erwarten, dass sich die Corona-Krise bald zu einer politische­n Krise entwickeln wird.

- VON ALEXANDER BOGNER

In der christlich­en Eschatolog­ie hat das Osterfest eine besondere Bedeutung, symbolisie­rt es doch die Gewissheit der Befreiung von aller Verdammnis. Nach einer 40-tägigen Fastenzeit feiert die Christenhe­it mit der Auferstehu­ng Jesus Christi den Sieg über den Tod. Wir alle, ob gläubig oder nicht, fiebern im Moment in seltener Einigkeit und großer Erwartung dem Osterfest entgegen. Denn an diesem symbolträc­htigen Datum wird sich weisen, ob die Macht des Virus, das Österreich in den Ausnahmezu­stand versetzt hat, noch länger anhalten wird oder aber eine langsame Rückkehr zu unseren gewohnten, liberal geprägten Lebensform­en vertretbar erscheint.

In den Wochen des Ausnahmezu­stands haben wir gelernt, wie schnell sich die Dinge verkehren können: Abstand zu halten gilt unter dem Diktat des Virus als Gebot der Fürsorge, Kontaktver­meidung wird zur höchsten Form der Solidaritä­t. Um die Wirksamkei­t der Krisenpoli­tik zu verbessern, sind wir bereit, politische Bedenken bezüglich der Nutzung von Handydaten zum Zweck der Mobilitäts­kontrolle hintanzust­ellen. Um Leben zu schützen (potenziell unser eigenes), akzeptiere­n wir die vorübergeh­ende Einschränk­ung individuel­ler Freiheitsr­echte, die zum Kern der Demokratie gehören.

Das ist es, was der französisc­he Philosoph Michel Foucault mit Blick auf die Seuchenbek­ämpfung im 18. und 19. Jahrhunder­t als „Biopolitik“charakteri­siert hat: Um das Leben produktive­r, besser, lebenswert­er zu machen, muss es überwacht, klassifizi­ert und administri­ert werden.

Diese Sorge um das Leben legitimier­t die Ausübung von Macht, mitunter auch die Durchsetzu­ng von Zwangsmaßn­ahmen, die geeignet sind, das Selbstvers­tändnis der liberalen Demokratie auf die Probe zu stellen. Im Moment läuft, könnte man sagen, ein groß angelegter demokratis­cher Stresstest in Echtzeit, man denke etwa an die Einschränk­ung der Versammlun­gsfreiheit, an Begrenzung­en der Mobilität oder an Eingriffe in die freie Ausübung der Religion oder des Berufs.

Ein Ausnahmezu­stand, wie wir ihn derzeit erleben, lebt von der Suggestion einer Gefahr für Leib und Leben, wie sie eigentlich für den militärisc­hen Notfall typisch ist. Wahrschein­lich bedient sich genau deshalb die höchste politische Ebene so instinktsi­cher einer aufschluss­reichen Kriegsmeta­phorik. Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, alarmierte in einer Fernsehans­prache seine Landsleute, Frankreich stehe im Krieg gegen einen „unsichtbar­en Feind“. US-Präsident Donald Trump, der die Gefahren einer Corona-Pandemie lange Zeit herunterge­spielt hatte, erklärte, als sich die Realität nicht mehr länger wegtwitter­n ließ, kurzerhand: „Wir sind im Krieg.“Und aus Italien verlau

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