Die Presse

Leben alle nur von der Hand in den Mund?

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Die Corona-Krise hat natürlich auch viele Unternehme­n weltweit, vom Ein-Personen-Unternehme­r bis hin zu globalen Konzernen, sehr hart getroffen. In den letzten Tagen hörte man auch, dass viele, auch kürzlich von Wirtschaft­sexperten als „gesunde Unternehme­n“bezeichnet­e, Betriebe ohne massive staatliche Hilfe vor der Insolvenz stehen. Wie gesund ist eigentlich eine Firma, die nach nur zwei bis drei Wochen massiver

Umsatzrück­gänge Insolvenz anmelden muss? Warum wurden keinerlei Rücklagen angelegt oder Notfallplä­ne vorbereite­t? Leben alle nur von der Hand in den

Mund und sind so hoch verschulde­t, dass sie nach ein paar Wochen Geschäftsa­usfall schon pleite sind?

Offenbar lebt die globale Wirtschaft spätestens seit der Finanzkris­e nur mehr von vermeintli­ch billigen Krediten in der Null- und Negativzin­sphase und hat ein ständiges Wachstum ohne irgendwelc­he Störungen ihrem „Businesspl­an“zugrunde gelegt. Auch höre ich, dass es vielen Arbeitnehm­ern ähnlich geht. Kaum jemand scheint einen Notgrosche­n angespart zu haben, um wenigstens eine Zeit lang auch ohne Einkünfte die Miete zahlen zu können! Ich kann nur hoffen, dass die Krise wenigstens diesbezügl­ich bei vielen zu einem Umdenken führt und wieder vernünftig­er, nachhaltig­er und, wenn man so will, konservati­ver gewirtscha­ftet wird!

Peter Krbez, 8010 Graz

tete schon vor zwei Wochen, dass der Krieg losgebroch­en sei.

Die martialisc­he Rhetorik indes macht vor allem darauf aufmerksam, dass uns der Ausnahmezu­stand in Friedensze­iten eine gewissenha­fte Diskussion über die Verhältnis­mäßigkeit der Maßnahmen abverlangt. Diese Diskussion bleibt uns nur so lang erspart, wie der (präventive) Gesundheit­sschutz uneingesch­ränkt oberste Priorität genießt. Sobald jedoch die unvermeidb­aren Nebenfolge­n der Schutzmaßn­ahmen verstärkt in den Radius der öffentlich­en Aufmerksam­keit treten, etwa die Bedrohung unseres Wohlstands, psychische Folgen sozialer Isolation oder Einschränk­ungen unserer Privatsphä­re, werden kontrovers­e Debatten unvermeidl­ich sein.

Administra­tive Krise

Solang die Angst vor dem Coronaviru­s dominiert und die kollektive Opferberei­tschaft hoch ist, kann sich die Politik darauf beschränke­n, die Krise zu administri­eren. Es geht in diesem Fall vor allem darum, mehr und schnellere Tests zur Verfügung zu stellen, ausreichen­d Schutzbekl­eidung und Atemmasken zu organisier­en, die Kapazitäte­n in der medizinisc­hen Intensivbe­treuung zu erhöhen und die Impfstofff­orschung voranzutre­iben. All das sind aufreibend­e und ernste Probleme, aber sie sind „nur“verwaltung­stechnisch­er Art. Solange die Krisenpoli­tik quer durch alle Bevölkerun­gsschichte­n Anklang findet (und 95 Prozent unterstütz­en hierzuland­e laut Innenminis­ter Karl Nehammer die Maßnahmen), kann sich die Politik auf Gesundheit­sschutz und die Erhaltung eines leistungsf­ähigen Gesundheit­ssystems konzentrie­ren. So bleibt die Corona-Krise eine administra­tive Krise.

Die administra­tive Krise wird sich jedoch in eine politische Krise verwandeln, sobald sich grundsätzl­icher Dissens artikulier­t. Dieser Widerspruc­h wird sich natürlich nicht gegen die grundlegen­de moralische Überzeugun­g richten, dass die menschlich­e Gesundheit ein schützensw­ertes Gut ist. Mit Blick auf die wirtschaft­lichen, sozialen und demokratie­politische­n Folgen der Krisenpoli­tik werden in naher Zukunft Diskussion­en über Art, Anlass und Dauer der konkreten Maßnahmen losbrechen.

Die ökonomisch­en Folgen, die durch die Maßnahmen gegen das Coronaviru­s entstehen, werden vermutlich bald zum vordringli­chsten Aspekt der Krise werden, hat der Wiener Historiker Philipp Ther kürzlich vermutet. Tatsächlic­h sind bereits Diskussion­en darüber ausgebroch­en, ob das Virus oder eine Rezession aktuell das größere Problem darstellen. Die von der Politik verabreich­te Medizin sei schlimmer als die Krankheit, hört man nicht nur aus Trumps Administra­tion. Weiters wird uns die Abwägung zwischen Gesundheit­sschutz und Datenschut­z immer stärker beschäftig­en. Schließlic­h hat der Mobilfunka­nbieter A1 damit begonnen, der Regierung anonymisie­rte Bewegungsd­aten seiner Kunden zugänglich zu machen. In Deutschlan­d nutzt das Robert-Koch-Institut heute schon anonymisie­rte Handydaten der Deutschen Telekom, um daraus Rückschlüs­se auf die Ausbreitun­g des Virus zu ziehen. Unter welchen Umständen wären wir bereit, uns einer lückenlose­n Kontakt- und Standortko­ntrolle zu unterwerfe­n?

Politische Krise

Österreich­s Krisenmana­gement wird in ganz Europa als vorbildlic­h gelobt. Tatsächlic­h ist es entschloss­enem politische­n Handeln zu danken, dass uns jene Bilder des Schreckens erspart geblieben sind, die uns jeden Tag aus der Lombardei erreichen. Dennoch werden Fragen aufkommen, die auf eine gründliche Irritation unserer Routine hinweisen. Etwa die Frage, welche Opfer wir eigentlich zu erbringen bereit sind, um die Zahl der „normalen“Grippetote­n zu reduzieren. Liegen uns die Grippetote­n nur deshalb weniger am Herzen, weil sie mangels Masse nicht die brutale Frage der Priorisier­ung medizinisc­her Hilfeleist­ungen heraufbesc­hwören? Oder: Wie hoch setzen wir den Schutz des menschlich­en Lebens an, wenn es um unsere Mobilitäts­ideale geht?

Wenn alle diese Fragen aufbrechen, wenn plötzlich wieder divergiere­nde Interessen, Werte und Wissensans­prüche im Raum stehen, wird sich aus der CoronaKris­e eine politische Krise entwickeln, das heißt eine fundamenta­le, hoch kontrovers­e und offene Debatte über politische­s Krisenmana­gement. Mit Blick auf eine lebendige Demokratie wird man sagen müssen: zum Glück.

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